Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Wann fliegen wir elektrisch in den Urlaub?
Neue Batterien lassen Flugzeuge immer länger in der Luft bleiben. Doch bis der erste Passagierjet geräuschlos abhebt, dürften viele Jahre vergehen
Berlin. Lange sah es so aus, als wäre sauberes Fliegen nur eine Illusion. Doch neue Technologien lassen elektrische Flugzeuge immer länger abheben. Schon bald könnten sie herkömmlichen Passagierflugzeugen Konkurrenz machen – zumindest auf kurzen Strecken.
Flugscham beschreibt das moralische Unwohlsein beim umweltschädlichen Trip mit dem Flieger. So ist es nur konsequent, dass nach dem Auto nun auch das Flugzeug an der Reihe ist, mit emissionslosen, elektrischen Antrieben zum Klimaschutz beizutragen. Zwar ist die Fliegerei für nur knapp drei Prozent des globalen Ausstoßes an klimaschädlichen Gasen verantwortlich. Die Zahl der Passagiere wird sich bis 2036 aber von heute etwa vier auf voraussichtlich acht Milliarden verdoppeln, berichtet der Dachverband der Fluggesellschaften (IATA).
So einfach wie beim Auto ist es nicht. Jahrzehntelang sah es so aus, als wäre elektrisches Fliegen nur der Traum irregeleiteter Erfinder. Zu schwer wog das Problem, dass Batterien im Vergleich zu fossilen Brennstoffen eine geringe Energiedichte aufweisen. In einem Kilo Kerosin stecken mehr als 11.000 Kilowattstunden Energie, in einer Autobatterie spärliche 30 bis 40. Selbst Lithium-ionen-akkus erreichten noch im Jahr 2000 nur Werte von gut 120 Kilowattstunden und waren dazu enorm teuer. Flugzeuge, bei denen jedes Kilo zählt, und schwere Batterien: Das ging nicht zusammen.
Olaf Otto, eaircraft (Siemens)
Umso erstaunlicher ist, dass in den vergangenen Jahren Prototypen mit reinem Elektroantrieb aufstiegen, darunter eine ganze Reihe europäischer Modelle. Das Kleinstflugzeug Cricri beispielsweise hob 2010 mit lediglich 175 Kilogramm Startgewicht für eine halbe Stunde ab, der 500 Kilogramm schwere Airbus E-fan vier Jahre später immerhin schon über 40 Minuten lang. 2016 erschien der knapp 900 Kilogramm schwere eflyer mit einem 70 Kilowattantrieb (ca. 90 PS) am Himmel, der in einigen Jahren als Ausbildungsflugzeug für Pilotenschüler sogar in Serie gehen soll. Manche Elektroflugzeuge lassen sich zwar schon kaufen, allerdings handelt es sich dabei um relativ kleine Sportflugzeuge. Passagierflugzeuge? Bisher Fehlanzeige.
Die Aufregung war daher groß, als der israelische Hersteller Eviation Aircraft im Juni auf der Pariser Luftschau den Prototypen „Alice“präsentierte. Schon am Design erkennt man, dass Alice kein herkömmliches Flugzeug ist – skurril wirkt vor allem die Anordnung der drei Propeller: Sie sind an den Flügelspitzen sowie am Heck befestigt. Das gut sechs Tonnen schwere und fast 500 Stundenkilometer schnelle E-flugzeug ist state of the art, wird elektronisch gesteuert und besteht zu 90 Prozent aus leichten Verbundstoffen. Mit einer Batterieladung sollen seine drei jeweils 260 Kilowatt starken Elektromotoren den Flieger mit neun Passagieren gut 1000 Kilometer weit transportieren. „Alice“soll als Zubringer für die großen Flughäfen arbeiten, oder als Pendlerfahrzeug – ein ganz neues Einsatzgebiet der Luftfahrt.
Jedoch hat „Alice“den Boden noch nicht verlassen, was aber laut Hersteller noch dieses Jahr passieren soll. Der Clou: Der Regionalflieger soll im Vergleich zu Turboprop-maschinen fast drei Viertel der Betriebskosten sparen. „Allein die Wartung der Triebwerke kostet normalerweise ein Drittel der Reisekosten eines Passagiers“, sagt Margaret Mouat, Pressesprecherin für Eviation Aircraft. „Verwendet man einen E-antrieb statt eines komplexen Verbrenners, wird die Instandhaltung einfacher und billiger.“Wohl deshalb hat „Alice“mit der Us-amerikanischen Fluglinie Cape Air schon einen Käufer gefunden. 2022 sollen die ersten Passagiere einsteigen.
„Alice“ist Teil eines weltweiten Booms. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger werden derzeit fast 200 E-flugzeuge entwickelt, Tendenz steigend. 2014 waren es noch keine 20. Die Europäische Kommission hat das Ziel ausgegeben, dass bis 2050 jeder Flugpassagier 75 Prozent weniger CO2 und 90 Prozent weniger Stickstoffmonoxid produziert als heute.
Entscheidend ist aber die Technologie: „Wir haben heute Rechenleistung und Programme, mit deren Hilfe wir Maschinen entwickeln können, die an die Grenzen des Machbaren gehen und immer noch sicher sind“, sagt Olaf Otto, Leiter der Abteilung eaircraft bei Siemens. „Das wäre vor 30 Jahren ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.“Der Münchner Konzern hat eine ganze Modellpalette an Elektromotoren entwickelt, die in zahlreichen Prototypen eingesetzt werden.
Technisch gesehen haben vor allem Batterien und Elektromotoren einen Sprung gemacht. Heutige Lithium-ionen-batterien erreichen eine Energiedichte von 200 Kilowattstunden pro Kilogramm, Tendenz steigend. „Wir glauben, dass Batterien Mitte der nächsten Dekade zwei- bis dreistündige Flüge erlauben“, so Otto.
Hinzu kommt: Aus einem Kilo Motorenmasse bekommen Hersteller wie Siemens mittlerweile rechnerisch bis zu sechs Kilowatt Leistung heraus – 20 gelten als möglich. Im Motorraum eines VW Golfs hätte dann theoretisch statt des 100 Kilo schweren Benzinmotors ein Elektro-aggregat mit über 2000 PS Platz. Da die Motoren vergleichsweise leicht sind, lassen sich – wie bei „Alice“– gleich mehrere davon aerodynamisch günstig übers Flugzeug verteilt anbringen, das bringt weitere Effizienzvorteile.
Für das Klima sind diese Fortschritte gute Nachrichten. Ein anderer Vorteil des E-antriebs wird die profitorientierten Fluggesellschaften vermutlich weit mehr motivieren, emissionslose Flugzeuge einzusetzen: Elektromotoren sind deutlich leiser als die dröhnenden Verbrenner. Außerdem: „Wenn Propeller langsamer drehen, erzeugen sie weniger Lärm“, so Otto. „Das geht mit Elektromotoren einfacher.“
„Vor 30 Jahren ein Ding der Unmöglichkeit“
Nächtliches Fliegen zu stadtnahen Flughäfen
Damit ließen sich die strengen Lärmschutzbestimmungen umgehen, die nächtliche Flüge zu vielen stadtnahen Flughäfen bisher verhindern. Das bedeutet, dass emissionsfreies Fliegen nicht nur technisch möglich ist, sondern in Zukunft womöglich auch wirtschaftlich wird. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, soll sich die Technologie durchsetzen.
Wer nun hofft, guten Gewissens schon bald klimaneutral und lautlos Langstrecke nach Bali zu reisen, muss dennoch enttäuscht werden. Dafür reichen die erreichten Batterieleistungen noch lange nicht.