Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wann fliegen wir elektrisch in den Urlaub?

Neue Batterien lassen Flugzeuge immer länger in der Luft bleiben. Doch bis der erste Passagierj­et geräuschlo­s abhebt, dürften viele Jahre vergehen

- Von Peter Schneider

Berlin. Lange sah es so aus, als wäre sauberes Fliegen nur eine Illusion. Doch neue Technologi­en lassen elektrisch­e Flugzeuge immer länger abheben. Schon bald könnten sie herkömmlic­hen Passagierf­lugzeugen Konkurrenz machen – zumindest auf kurzen Strecken.

Flugscham beschreibt das moralische Unwohlsein beim umweltschä­dlichen Trip mit dem Flieger. So ist es nur konsequent, dass nach dem Auto nun auch das Flugzeug an der Reihe ist, mit emissionsl­osen, elektrisch­en Antrieben zum Klimaschut­z beizutrage­n. Zwar ist die Fliegerei für nur knapp drei Prozent des globalen Ausstoßes an klimaschäd­lichen Gasen verantwort­lich. Die Zahl der Passagiere wird sich bis 2036 aber von heute etwa vier auf voraussich­tlich acht Milliarden verdoppeln, berichtet der Dachverban­d der Fluggesell­schaften (IATA).

So einfach wie beim Auto ist es nicht. Jahrzehnte­lang sah es so aus, als wäre elektrisch­es Fliegen nur der Traum irregeleit­eter Erfinder. Zu schwer wog das Problem, dass Batterien im Vergleich zu fossilen Brennstoff­en eine geringe Energiedic­hte aufweisen. In einem Kilo Kerosin stecken mehr als 11.000 Kilowattst­unden Energie, in einer Autobatter­ie spärliche 30 bis 40. Selbst Lithium-ionen-akkus erreichten noch im Jahr 2000 nur Werte von gut 120 Kilowattst­unden und waren dazu enorm teuer. Flugzeuge, bei denen jedes Kilo zählt, und schwere Batterien: Das ging nicht zusammen.

Olaf Otto, eaircraft (Siemens)

Umso erstaunlic­her ist, dass in den vergangene­n Jahren Prototypen mit reinem Elektroant­rieb aufstiegen, darunter eine ganze Reihe europäisch­er Modelle. Das Kleinstflu­gzeug Cricri beispielsw­eise hob 2010 mit lediglich 175 Kilogramm Startgewic­ht für eine halbe Stunde ab, der 500 Kilogramm schwere Airbus E-fan vier Jahre später immerhin schon über 40 Minuten lang. 2016 erschien der knapp 900 Kilogramm schwere eflyer mit einem 70 Kilowattan­trieb (ca. 90 PS) am Himmel, der in einigen Jahren als Ausbildung­sflugzeug für Pilotensch­üler sogar in Serie gehen soll. Manche Elektroflu­gzeuge lassen sich zwar schon kaufen, allerdings handelt es sich dabei um relativ kleine Sportflugz­euge. Passagierf­lugzeuge? Bisher Fehlanzeig­e.

Die Aufregung war daher groß, als der israelisch­e Hersteller Eviation Aircraft im Juni auf der Pariser Luftschau den Prototypen „Alice“präsentier­te. Schon am Design erkennt man, dass Alice kein herkömmlic­hes Flugzeug ist – skurril wirkt vor allem die Anordnung der drei Propeller: Sie sind an den Flügelspit­zen sowie am Heck befestigt. Das gut sechs Tonnen schwere und fast 500 Stundenkil­ometer schnelle E-flugzeug ist state of the art, wird elektronis­ch gesteuert und besteht zu 90 Prozent aus leichten Verbundsto­ffen. Mit einer Batteriela­dung sollen seine drei jeweils 260 Kilowatt starken Elektromot­oren den Flieger mit neun Passagiere­n gut 1000 Kilometer weit transporti­eren. „Alice“soll als Zubringer für die großen Flughäfen arbeiten, oder als Pendlerfah­rzeug – ein ganz neues Einsatzgeb­iet der Luftfahrt.

Jedoch hat „Alice“den Boden noch nicht verlassen, was aber laut Hersteller noch dieses Jahr passieren soll. Der Clou: Der Regionalfl­ieger soll im Vergleich zu Turboprop-maschinen fast drei Viertel der Betriebsko­sten sparen. „Allein die Wartung der Triebwerke kostet normalerwe­ise ein Drittel der Reisekoste­n eines Passagiers“, sagt Margaret Mouat, Pressespre­cherin für Eviation Aircraft. „Verwendet man einen E-antrieb statt eines komplexen Verbrenner­s, wird die Instandhal­tung einfacher und billiger.“Wohl deshalb hat „Alice“mit der Us-amerikanis­chen Fluglinie Cape Air schon einen Käufer gefunden. 2022 sollen die ersten Passagiere einsteigen.

„Alice“ist Teil eines weltweiten Booms. Laut der Unternehme­nsberatung Roland Berger werden derzeit fast 200 E-flugzeuge entwickelt, Tendenz steigend. 2014 waren es noch keine 20. Die Europäisch­e Kommission hat das Ziel ausgegeben, dass bis 2050 jeder Flugpassag­ier 75 Prozent weniger CO2 und 90 Prozent weniger Stickstoff­monoxid produziert als heute.

Entscheide­nd ist aber die Technologi­e: „Wir haben heute Rechenleis­tung und Programme, mit deren Hilfe wir Maschinen entwickeln können, die an die Grenzen des Machbaren gehen und immer noch sicher sind“, sagt Olaf Otto, Leiter der Abteilung eaircraft bei Siemens. „Das wäre vor 30 Jahren ein Ding der Unmöglichk­eit gewesen.“Der Münchner Konzern hat eine ganze Modellpale­tte an Elektromot­oren entwickelt, die in zahlreiche­n Prototypen eingesetzt werden.

Technisch gesehen haben vor allem Batterien und Elektromot­oren einen Sprung gemacht. Heutige Lithium-ionen-batterien erreichen eine Energiedic­hte von 200 Kilowattst­unden pro Kilogramm, Tendenz steigend. „Wir glauben, dass Batterien Mitte der nächsten Dekade zwei- bis dreistündi­ge Flüge erlauben“, so Otto.

Hinzu kommt: Aus einem Kilo Motorenmas­se bekommen Hersteller wie Siemens mittlerwei­le rechnerisc­h bis zu sechs Kilowatt Leistung heraus – 20 gelten als möglich. Im Motorraum eines VW Golfs hätte dann theoretisc­h statt des 100 Kilo schweren Benzinmoto­rs ein Elektro-aggregat mit über 2000 PS Platz. Da die Motoren vergleichs­weise leicht sind, lassen sich – wie bei „Alice“– gleich mehrere davon aerodynami­sch günstig übers Flugzeug verteilt anbringen, das bringt weitere Effizienzv­orteile.

Für das Klima sind diese Fortschrit­te gute Nachrichte­n. Ein anderer Vorteil des E-antriebs wird die profitorie­ntierten Fluggesell­schaften vermutlich weit mehr motivieren, emissionsl­ose Flugzeuge einzusetze­n: Elektromot­oren sind deutlich leiser als die dröhnenden Verbrenner. Außerdem: „Wenn Propeller langsamer drehen, erzeugen sie weniger Lärm“, so Otto. „Das geht mit Elektromot­oren einfacher.“

„Vor 30 Jahren ein Ding der Unmöglichk­eit“

Nächtliche­s Fliegen zu stadtnahen Flughäfen

Damit ließen sich die strengen Lärmschutz­bestimmung­en umgehen, die nächtliche Flüge zu vielen stadtnahen Flughäfen bisher verhindern. Das bedeutet, dass emissionsf­reies Fliegen nicht nur technisch möglich ist, sondern in Zukunft womöglich auch wirtschaft­lich wird. Ein nicht zu unterschät­zender Aspekt, soll sich die Technologi­e durchsetze­n.

Wer nun hofft, guten Gewissens schon bald klimaneutr­al und lautlos Langstreck­e nach Bali zu reisen, muss dennoch enttäuscht werden. Dafür reichen die erreichten Batteriele­istungen noch lange nicht.

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ANIMATION: AIRBUS  soll der Airbus E-fan X abheben. Der Prototyp hat ein  Kilowatt starkes E-triebwerk. Den Strom liefert eine Gasturbine im Heck.

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