Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Thüringen will keine Strafzahlungen für Patienten
Um Notaufnahmen zu entlasten, sollen Hausärzte Steuerung übernehmen. Klinikgesellschaft für Notfall-reform
Erfurt. Patientensteuerung ja, Strafzahlungen nein. So reagieren die Kassenärzte in Thüringen auf die neuerliche Diskussion, ob Patienten für den direkten Gang in eine Notaufnahme zur Kasse gebeten werden sollen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KVT) setze sich für eine bessere Patientensteuerung ein, sagte deren Vorstandsvorsitzende Annette Rommel, setze dabei aber auf Hausärzte als erste Anlaufstelle. „Ein System, in dem sich ein Patient für einen Primärarzt entscheidet, der die Versorgung koordiniert, ist dafür ein sinnvoller Ansatz“, sagte Rommel. So ließen sich Doppeluntersuchungen vermeiden. Patienten, die ärztliche Hilfe benötigen, bekämen diese schnell beim richtigen Arzt, ohne sich durchfragen zu müssen.
Losgetreten wurde die Diskussion vom Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. In einem Interview warf er Patienten eine Flatrate-mentalität vor, viele würden ihre Gesundheitskarte gnadenlos ausnutzen. „Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen”, so Gassen wörtlich. Laut Kollegin Rommel ist die Versorgung der Patienten „zu wichtig für Empörungsrituale“.
Nach einer aktuellen forsaUmfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ist die Haltung der Deutschen zu Strafgebühren gespalten. Die Hälfte der Befragten spricht sich für eine Zusatzgebühr aus, wenn Patienten mit Bagatellerkrankungen die Notaufnahmen blockieren. 48 Prozent sind gegen derartige Strafzahlungen. „Medizinische Versorgung sollte keine Frage des Geldbeutels sein. Einzelne Patienten sollten nicht für ihr Verhalten sanktioniert werden“, sagt Sebastian Schulz, KKHSprecher in Erfurt. Viele würden bewusst während der Öffnungszeiten von Praxen in eine Klinik gehen. „Als Grund gab fast jeder zweite Notaufnahme-nutzer an, er fühle sich im Krankenhaus medizinisch besser versorgt als in der Arztpraxis“, so Schulz.
Bei der Barmer begrüßt man zwar die Diskussion, von Strafzahlungen hält Landeschefin Birgit Dziuk aber nichts. „Eine Steuerung über ein Bonus-malus-system, dass Patienten stärker finanziell belastet, greift zu kurz und würde nur neuen bürokratischen Aufwand erzeugen“, sagte sie. Allerdings entstünden zwischen ambulanten und stationären Leistungen derzeit zu viele Reibungsverluste. „Patienten allein den Schwarzen Peter zuzuschieben, weil sie sich auf ,falsche Versorgungspfade‘ begeben, ist nicht die Lösung. Statt dessen plädieren wir für gemeinsame Notaufnahmen von Niedergelassenen und Kliniken, die die Behandlung organisieren. In Thüringen gibt es das schon“, sagte Birgit Dziuk.
Laut Thüringer Krankenhausgesellschaft soll die Notfallversorgung insgesamt reformiert werden. Nach einem Gesetzentwurf des Bundes könnte diese künftig in Integrierten Notfallzentren stattfinden, deren Standorte das Land festlegt. „Noch sind da nicht alle Hausaufgaben gemacht. Konkret beurteilen lässt sich das erst, wenn man die Konzepte kennt“, so Geschäftsführer Rainer Poniewaß.