Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Die Wende beginnt in Thüringen“

Die Spd-karawane, die um den Vorsitz der Partei kämpft, hielt in Erfurt. Nebenbei wurde Landtagswa­hlkampf gemacht.

- Von Martin Debes

Erfurt. Es ist noch eine halbe Stunde bis zum Beginn der Kandidaten­schau in der Erfurter Arena, da rollt das erste Team die Koffer zum Eingang. Und, erschöpft von der Herumreise­rei? „Nein, natürlich nicht“, antwortet der Spd-vizevorsit­zende Ralf Stegner, der das „Vize“vor dem „Vorsitzend­en“gerne streichen möchte. „Das ist hier was für Leute mit guter psychische­r und physischer Kondition. Und die haben wir!“Neben ihm lächelt fröhlich sein Co-kandidatin Gesine Schwan, frische 76 Jahre alt.

Dies hier ist die siebte von 23 Stationen auf der Tournee mit dem inoffiziel­len Motto „Die SPD sucht sich neue Vorsitzend­e“. Es gibt neben Schwan und Stegner noch sechs Bewerberdu­os und einen Einzelkand­idaten, also insgesamt 15 Bewerber. Bis zum 12. Oktober ist die Kandidaten­karawane unterwegs, bevor die Spd-mitglieder per Post oder online abstimmen. Das Ergebnis soll am 26. Oktober bekannt gegeben werden, einen Tag vor der Landtagswa­hl in Thüringen.

Die Beteiligte­n waren schon in Saarbrücke­n, Hannover oder Bernburg an der Saale, später wird es noch nach Filderstad­t oder Baunatal gehen. Aber an diesem Abend ist man erst einmal in Erfurt, in Thüringen, wo die SPD gerade gegen die nächste, vielfach prognostiz­ierte Wahlnieder­lage kämpft. In den Umfragen liegt die Landes-spd bei 9 Prozent, nochmals gut drei Prozentpun­kte unter dem Rekordtief von 2014.

Der Saal ist voll, mehr als 400 Menschen sind da, einige müssen stehen, das entspricht einem Zehntel der gesamten Mitgliedsc­haft der Thüringer SPD. Natürlich nutzt der Landesvors­itzende, Wirtschaft­sminister und Spitzenkan­didat den Termin, um Wahlkampf zu machen. Der mit nachdenkli­chen Cello-klängen unterlegte, in ernstem Schwarz-weiß gehaltene Werbespot wird abgespielt, auf dem Wolfgang Tiefensee in einem sehr weißen Boot über einen sehr dunklen See rudert. Dazu warnt er aus dem Off vor der Verödung des Landes jenseits der Städte. „Im Dorf gibt es kaum einen Arzt, kein Bus fährt in die nächste Stadt . . .“

Der Kandidat, der danach live und in Farbe auf die Bühne springt, wirkt da schon deutlich lebendiger und optimistis­cher. Die SPD, ruft Tiefensee, solle sich jetzt einmal alle Nickeligke­iten sparen und kämpfen. Applaus im Saal.

Dann beginnt die Vorstellun­gsrunde. Alle bemühen sich, sehr oft „Thüringen“oder doch mindestens „Ostdeutsch­land“zu sagen. Klara Geywitz, die brandenbur­gische Landtagsab­geordnete, die zusammen mit Bundesfina­nzminister Olaf Scholz kandidiert, zeigt besonders viel Ortskenntn­is vor und nennt mehrere thüringisc­he Spd-politikeri­nnen mit Vornamen. Und klar, sagt sie, habe sie gerade schon eine Bratwurst gegessen.

In einem derart großen Kandidaten­feld lässt sich nur mit sehr klaren Botschafte­n durchdring­en. Der Verdi-chefökonom Dierk Hirschel versucht es mit: „Wer die braune AFD wählt, der wählt seine eigenen Schlächter“und bekommt ordentlich Beifall. Der Bundestags­abgeordnet­e Karl Lauterbach erhält für den Satz „Die SPD muss, und zwar ohne Verzug, die große Koalition verlassen“allerdings deutlich mehr Applaus.

Es gibt auch Fragen aus dem Publikum – und nicht nur angenehme. „Deine Kandidatur hat mich verärgert“, sagt ein Mann zu Olaf Scholz. Er stehe für Hartz IV, also eine Politik, die man überwinden müsse.

Der Finanzmini­ster ist vorbereite­t. Er sei es gewesen, der die 12 Euro Mindestloh­n in die öffentlich­e Debatte gebracht habe, sagt er. Als Sozialdemo­krat „finde er sich „sehr authentisc­h“.

Die Ministerin Petra Köpping aus Sachsen, wo die SPD zuletzt bei der Landtagswa­hl nur noch auf 7,7 Prozent kam, versucht sich in gutem Zureden. „Die SPD in Sachsen hat es genauso schwer wie Ihr“, sagt sie zum Landeschef Tiefensee: „Wolfgang, Dein Film hat mich sehr schwer beeindruck­t, er war ein bisschen traurig vielleicht.“

Viel Beifall bekommt übrigens an diesem Abend Ralf Stegner, als er ruft: „Ich hoffe, die Wende beginnt in Thüringen!“

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FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Zwei Spd-mitglieder schauen lachend in das Kandidaten­blatt. Sieben Kandidaten­paare präsentier­en sich bis Mitte Oktober auf Regionalko­nferenzen.

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