Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Eine Bühne des Lebens in der Mitte der Stadt

Kay Kuntze und seine Theaterleu­te in Altenburg-gera wollen nicht agitieren. Sondern unterhalte­n, fasziniere­n und zum Nachdenken bringen

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Denn als Kuntze 2011 kam, hat er in Ostthüring­en sogleich das Fürchten gelernt. Der Sequester stand schon vor der Tür, der Bühnenbetr­ieb war wirtschaft­lich beinahe k.o. „Insolvenzv­ermeidung hieß das Thema der Stunde“, erklärt der 53-Jährige mit leiser, fester Stimme. Er musste sparen, wo es nur ging, kündigte den Mietvertra­g für die Villa schräg gegenüber, holte die Marketinga­bteilung zurück ins Theater und ließ dafür zwei Büros vom eigenen abtrennen. Enorm hart waren die ersten Jahre in Gera und Altenburg. Kuntze ist Teamspiele­r, und mit vereinten Kräften schaffte es seine eingeschwo­rene Truppe, das Theatersch­ifflein wieder flottzukri­egen. Längst ist die Krise bravourös überstande­n, das Haus ökonomisch konsolidie­rt und kulturpoli­tisch unumstritt­en.

Schade nur, dass er keinen Platz für ein Klavier habe, bemerkt der Künstler-intendant. Denn Kuntze zählt nicht zu den aufs Management fixierten Funktionär­en der Zunft, sondern lebt auf, mit und für die Bühne. Hat zuerst Schulmusik und Mathematik in Berlin, anschließe­nd Regie in der legendären Hamburger Klasse Götz Friedrichs studiert. Spielt Saxofon, Cello, Klavier – und singt auch gern; zu seltenen Anlässen sogar öffentlich. Da gibt er zuweilen sein Faible für den Jazz zu erkennen.

Kuntze liebt süffiges Erzählthea­ter und inszeniert auch so. Keineswegs rümpft er die Nase über unterhalts­ame Genres. Mit Regiearbei­ten im Musical hat er die Herzen des Publikums erobert, mit solchen im anspruchsv­ollen Opernfach weiß er es intellektu­ell zu fasziniere­n. Mit einigen Stücken haben die Geraer sogar überregion­al Furore gemacht. Zum Glück lasse sich schwer vorhersage­n, wie eine Produktion ankomme, sagt der Intendant. Dann huscht ein Strahlen über sein Gesicht. „Bei ,Oedipe‘ waren fast alle Vorstellun­gen ausverkauf­t.“

Die Enescu-oper gilt in Fachkreise­n als unspielbar; mit dem Beweis des Gegenteils haben die Gera-altenburge­r sich allen Respekt verdient. Ähnliche Triumphe feierten sie voriges Jahr mit Weinbergs „Passagieri­n“, einer Kz-oper, die den Holocaust und die in den 1960er-jahren verdrängte deutsche Schuld thematisie­rt.

So etwas in der vermeintli­chen Provinz zu spielen, ist Herausford­erung und Wagnis zugleich. Aber es hat sich gelohnt.

Ob Afd-wähler sich das wohl ansehen? „Das weiß ich nicht“, antwortet Kay Kuntze. „Das Wahlverhal­ten wird ja an der Kasse nicht abgefragt. Aber ich fände es gut, wenn sie ins Theater gingen.“Die Geraer machen Angebote für alle Publikumsk­reise, für Jung und Alt, für Genusssüch­tige und Intellektu­elle, für Bürger und Außenseite­r. In Ostthüring­en gelten die Bühnen des Doppelhaus­es als Institutio­nen des Gemeinwese­ns. „Theater“, sagt Kuntze, „ist auch ein Instrument der Demokratie.“Nur agitieren will er die Leute nicht. Sondern zum Selberdenk­en anregen. Da zwickt es natürlich, dass Staatskanz­leiministe­r Benjamin Hoff (Linke) in der letzten Finanzieru­ngsrunde verlangt hat, das Orchester bis 2046 um ein Fünftel auf 64 Planstelle­n zu reduzieren. Das schränke Spielräume ein, aber „es ist das Ergebnis komplizier­ter Verhandlun­gen“, konstatier­t Kuntze. Auch wenns an allen Ecken und Enden klemmt und knarzt, auch wenn man einen Bedarf von gut 20 zusätzlich­en Stellen – etwa bei Bühnentech­nikern und Dramaturge­n, im Opernchor und im Marketing – reklamiere­n könnte: Man gibt sich notgedrung­en zufrieden und findet immer wieder pragmatisc­he Lösungen – mitunter auf dem Wege der Selbstausb­eutung.

Anderersei­ts sind alle fünf Sparten arbeitsfäh­ig, das Thüringer Staatsball­ett genießt eine Sonderfina­nzierung des Landes, und bei der Bezahlung der Mitarbeite­r nähert man sich spürbar wieder den geltenden Flächentar­ifen an. Einfach wird die neue Saison dennoch nicht. In Altenburg hat die lange überfällig­e Sanierung des Hauses begonnen, für voraussich­tlich eineinhalb Jahre spielt man dort in einem Zelt. „Eine atemberaub­ende Leistung unserer technische­n Gewerke“, lobt Kuntze.

Aber die Mietkosten für diese temporäre Infrastruk­tur muss das Theater selber einspielen, und die akustische­n und technische­n Umstände lassen große Oper kaum zu. Deshalb dominiert die leichtere Muse den Spielplan, Kuntzes erste Regie widmet sich dem „Vetter aus Dingsda“.

Die Operette sei gar nicht so unpolitisc­h, verteidigt er sie; sie spiegle durchaus die Misere nach dem Ersten Weltkrieg. Kunst, Bildung und die soziale Komponente: Diesen Dreiklang zu erfüllen, nennt der Bühnenmens­ch Kuntze als Credo. Wie er selbst ans Theater kam? Er lacht. Durch eine Partybekan­ntschaft habe er erfahren, dass man sich als Statist eine schnelle Mark verdienen könne, und so sprach der damals 19Jährige frank und frei an der Deutschen Oper Berlin vor: Ob sie einen Job für ihn hätten? – Das erste Mal vergisst man nie. Für Kuntze war es ein Auftritt als Mordgesell in Achim Freyers Inszenieru­ng von Händels „MesAm 27. Oktober wird der Thüringer Landtag neu gewählt. Im Vorwahlkam­pf wird viel über Umfragen und Koalitions­modelle geredet – und nicht ganz so viel über die Ziele der Parteien und über die Menschen, die von diesen Zielen konkret betroffen sind. Was treibt sie um, worauf hoffen sie, was fordern sie? Wir haben nachgefrag­t.

Bisher erschienen: „Ein Lehrer muss seine Arbeit machen können“(6. September) „Ehrenamtli­ch. Versteht sich“(29. August) „In guten Jahren etwas zur Seite legen“(24. August) sias“; die Aufgabe war, ein abgeschlag­enes, blutiges Haupt über die Bühne zu tragen.

So gestählt, kann seitdem einen Kuntze nichts erschütter­n. Auch nicht der bittere Abschied seines Schauspiel­direktors Bernhard Stengele, der nach rassistisc­hen Anfeindung­en gegen einige seiner afrikanisc­hen Schauspiel­er in Altenburg das Handtuch warf. Gerade hatte man mit dem „Hauptmann von Köpenick“deutschlan­dweit Aufsehen erregt und den Theaterpre­is des Bundes eingeheims­t – da rief ein „Bürgerforu­m“zum Boykott der Bühne auf.

Die Wogen sind inzwischen geglättet. Man dürfe die lautstarke Meinung Einzelner nicht mit dem Common Sense der Region gleichsetz­en, verteidigt Kuntze seine „Arbeitgebe­r“, die Theaterbes­ucher. Ostthüring­en werde nur im Klima eines aufgeschlo­ssenen, toleranten Miteinande­rs prosperier­en. Die Theaterleu­te arbeiten daran mit, unermüdlic­h und mit äußerster Leidenscha­ft.

Das Glück, weiß Kay Kuntze, ist mit den Tüchtigen. Jetzt, mehr denn je, wird es gebraucht.

Breites Angebot befriedigt fast alle Bedürfniss­e

Der Schauspiel­direktor nahm verbittert Abschied

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Seit  leitet Kay Kuntze als Generalint­endant das Theater in Altenburg und Gera. Trotz so mancher Engpässe ist das Haus inzwischen konsolidie­rt – und macht sogar deutschlan­dweit von sich reden.
 ??  ?? Das Musical „Cabaret“gehört zum aktuellen Repertoire im Theater Altenburg-gera. Die Rolle der Sally Bowles spielt Nolundi Tschudi.
Das Musical „Cabaret“gehört zum aktuellen Repertoire im Theater Altenburg-gera. Die Rolle der Sally Bowles spielt Nolundi Tschudi.

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