Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Kliniken wappnen sich für Notfälle
Mediziner beraten in Weimar über Versorgung von Betroffenen nach Massenunfällen, Terror oder Klimakatastrophen
Weimar. 19 Minuten. So lange oder so kurz brauchte das SRHKlinikum in Suhl im April 2019 nach dem Eingang der Information über eine Massenkarambolage mit 60 Fahrzeugen auf der Bundesautobahn 71 und der Anforderung von Notfallkapazitäten, um die ersten Unfallopfer aufnehmen zu können. 19 Minuten, in denen Ärzte und Pflegepersonal über ein spezielles Alarmsystem informiert wurden, Betten für die Unfallopfer, darunter viele Kinder und Jugendliche, bereitgestellt und ein spezieller Aufnahmepunkt zur Sichtung und Gewichtung der Verletzten im Notaufnahmebereich eingerichtet waren.
„Das schafft man nur, wenn man es vorher übt und die Abläufe immer wieder überprüft und optimiert“, sagte Robert Schmidt, seinerzeit diensthabender Oberarzt, gestern in Weimar bei einem Forum zur Katastrophenalarm- und Einsatzplanung an Kliniken. Dem Unfall in Südthüringen unmittelbar vorausgegangen war im März 2019 eine große Übung unter Beteiligung des Klinikums, bei der Verletzte aus dem Autobahntunnel Berg Bock geborgen und testweise im Krankenhaus versorgt werden mussten. Klar definiert wurde auch der Umgang mit Medienvertretern. Gesundheits- und Innenministerium in Thüringen hatten mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz (BBK) Branchenvertreter zu Beratungen unter dem Motto „Krisenmanagement in den Krankenhäusern im Land Thüringen – Szenarien, Strukturen und Schnittstellen“in die Kassenärztliche Vereinigung in Weimar eingeladen. „Krankenhäuser nehmen als kritische Infrastruktur in Schadenslagen eine herausragende und zu schützende Position ein. Zwar existieren konkrete Alarmpläne für jede Klinik, jedoch ist es wichtig, diese von Zeit zu Zeit zu hinterfragen und anzupassen“, sagte Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke). In Thüringen sind Kliniken und RehaEinrichtungen per Gesetz dazu verpflichtet, im Katastrophenfall Kapazitäten zur Verfügung zu stellen sowie Alarm- und Einsatzpläne aufzustellen.
Das sei leichter gesagt als getan, fand Innenstaatssekretär Udo Götze. Unterschiedlichste Gefahren wie Terroranschläge, Folgen von Klimakatastrophen oder Pandemien, Chemieunfälle sowie der flächendeckende Ausfall kritischer Infrastruktur wie Strom oder Gas erforderten in kürzester Zeit die Bereitstellung von Personal oder zusätzlichen Behandlungskapazitäten. Hinzu komme die veränderte Demografie. „Ältere verhalten sich im Schadensfall völlig anders als Jüngere“, sagte Götze.
Auch wenn jahrelang nichts passiere, müsse man jederzeit damit rechnen, mahnte Detlef Cwojdzinski, Krisenmanager bei der Senatsverwaltung in Berlin. Nach dem Bombenanschlag auf die Discothek La Belle Mitte der 1980er-jahre sei lange nichts Vergleichbares passiert.
„Plötzlich gab es Fälle wie den Terroranschlag am Breitscheidplatz (Dezember 2016) oder den großen Stromausfall von Köpenick Anfang 2019, auf die die Notfallvorsorge in den Krankenhäusern aber größtenteils gut vorbereitet war“, sagte der erfahrene Katastrophenschützer. Ungeachtet dessen lerne man immer dazu. So habe sich die Erfassung und Dokumentation von Patienten am Unfall- oder Schadensort als besonders schwierig erwiesen. Cwojdzinski riet zu standardisierten Einsatzplänen und Checklisten.
Einsatzkräfte vor Ort sowie medizinische Einrichtungen müssten künftig nicht nur auf die Vielzahl von Einsatzlagen mit vielen Verletzten vorbereitet sein, sondern sich auch auf nicht alltägliche Verletzungsmuster einstellen, wie sie bei kriegerischen Auseinandersetzungen oder ähnlichen Konflikten vorkommen. Nicht immer sei schon bei der Alarmierung klar, worum (Amoklauf, Terror, Einsatz von Kriegswaffen, Sprengstoff oder nuklearem Material) es sich handelt. Um so wichtiger sei der schnelle und gesicherte Informationsaustausch zwischen den Einsatzkräften. Den Klinikvertretern wurde geraten, sich eng mit nichtmedizinischen Einsatzkräften wie Feuerwehr oder Polizei abzustimmen und gegebenenfalls spezielle Beauftragte in die jeweiligen Einsatzzentralen zu entsenden, die die Zusammenarbeit koordinieren.
Kritikpunkte waren unterschiedliche Informationssysteme, die den Datenaustausch erschweren. Unklar bleibe oft die Finanzierung von Übungen, Notfallstrukturen und Material. Die Übung am Tunnel Berg Bock kostete das Srh-klinikum 70.000 Euro. Dafür brauche es eine Beteiligung des Staates.
Alarmpläne von Zeit zu Zeit anpassen
Eng abstimmen mit Polizei und Feuerwehr