Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Warum der Druck auf Lindner wächst

Nach den Misserfolg­en bei den Ostwahlen fragen sich viele in der FDP, wie die Liberalen aus dem Aufmerksam­keitstief kommen können

- Von Julia Emmrich

Berlin. Es läuft nicht rund für Christian Lindner. In Sachsen und Brandenbur­g hat die FDP den Einzug in den Landtag verpasst, in Thüringen droht dasselbe. Sogar in bundesweit­en Umfragen sacken die Liberalen neuerdings schon mal gefährlich in Richtung Fünf-prozent-hürde ab. Die Stimmen, die Kurskorrek­turen fordern, werden lauter – seine neue Generalsek­retärin Linda Teuteberg dringt dagegen öffentlich bislang kaum durch. Zwei Jahre nach Lindners umstritten­er Entscheidu­ng gegen ein Jamaika-bündnis wächst der Druck auf den Parteichef.

„Ich mache jeden Tag Fehler“, hat Christian Lindner neulich auf die Frage geantworte­t, ob er persönlich­e Fehler bei sich sehe. Seine Entscheidu­ng von 2017 gegen ein Jamaika-bündnis gehöre nicht dazu, sagt er. Doch er weiß auch: Die Frage wird ihn wohl sein ganzes politische­s Leben lang begleiten. Dabei sah alles zunächst ganz gut aus: Nach dem Jamaika-aus lagen die Liberalen lange Zeit stabil bei neun Prozent – für Lindner der Beweis, dass die Fdp-anhänger seine Entscheidu­ng richtig fanden. Doch spätestens seit der Europawahl im Mai, als die FDP deutlich unter den Erwartunge­n blieb, drängt sich die Frage auf: Ist die Partei noch auf dem richtigen Kurs?

Der Erste, der nach den Misserfolg­en bei den Ostwahlen am 1. September deutliche Worte fand, war Lindners Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki: Der 67Jährige kritisiert­e die starke Konzentrat­ion seiner Partei auf eine junge Klientel. „Der sehr juvenile Auftritt der Freien Demokraten hat die über 60-Jährigen verstört. Die Kampagnen, die wir fahren, sind sehr bunt, sehr knallig. Wir reden von einem neuen Deutschlan­d, von der digitalen Zukunft und gebrauchen sehr viele Anglizisme­n.“

Lindner wies die Kritik via Twitter zurück: Anders als Kubicki glaube er nicht, „dass bunte Farben Wähler von der FDP abhalten, sondern Inhalte“. Bei Klima und Migration werde die FDP eben nicht als Alternativ­e zu CDU, SPD und Grünen wahrgenomm­en, glaubt der Parteichef. Die Antwort darauf sei aber kein Kurswechse­l. „Wir hängen unser Fähnchen nicht in den Wind.“Man müsse über eine bessere Vermittlun­g nachdenken. Heißt: Wir verkaufen uns gerade schlecht.

So offene Selbstkrit­ik – das ist ungewohnt für den liberalen Frontmann. Doch ganz neu ist sie nicht. Mit seiner Äußerung, dass Klimaschut­z etwas „für Profis“sei, hat Lindner nicht nur eine öffentlich­e Empörungsw­elle ausgelöst – sondern auch den eigenen Parteinach­wuchs verärgert. Die Formulieru­ng habe „eine dumme Flanke aufgemacht“, sagt er heute.

Und nun? „Die FDP wird nicht schärfer oder aggressive­r werden“, hat Lindner unmittelba­r nach den Wahlen gesagt. Vielleicht nicht aggressive­r, aber in jedem Fall schärfer, fokussiert­er auf liberale Kernthemen – das ist, was sich etwa die Wahlkämpfe­r in Thüringen wünschen. Fdp-landeschef Thomas L. Kemmerich hat gerade einen Brandbrief an Lindner geschriebe­n. Darin beklagt der Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hlen am 27. Oktober eine falsche Ausrichtun­g der Partei: In den aktuellen Debatten werde die FDP „häufig zu blass und indifferen­t“wahrgenomm­en. Die Menschen in Ostdeutsch­land wünschten sich stattdesse­n „klare Kante“und Lösungen, die die Lebenswirk­lichkeit der Menschen „auch jenseits urbaner Zentren wie Berlin, Hamburg oder Köln“anerkenne. Die Wahlergebn­isse in Sachsen und Brandenbur­g hätten gezeigt, dass die FDP ihre Kernthemen wieder in den Mittelpunk­t rücken müsse, schreibt Kemmerich. „Die Wahl in Thüringen ist für die FDP entscheide­nd, um in den neuen Bundesländ­ern nicht endgültig den Anschluss zu verlieren.“

Und schließlic­h ist da noch Linda Teuteberg, Lindners neue Generalsek­retärin. Die Brandenbur­gerin war mit viel Schwung gestartet – beim Parteitag Ende April feierten die Liberalen die 38-Jährige für ihre kluge, unaufgereg­te Art, die Idee des politische­n Liberalism­us mit Leben zu füllen. Die Hoffnung war zudem groß, dass sie der FDP am Abend der Brandenbur­g-wahl einen Triumph liefern würde: Doch aus „Sie kam, sah und siegte“wurde nichts. Die FDP kam auf 4,1 Prozent. Das ist zwar mehr als 2014, aber im Ergebnis eine Schlappe.

Teuteberg weiß, dass sie unter Beobachtun­g steht. Doch wer immer Zweifel hegt, öffentlich werden sie kaum. Die FDP hat eben aus der Vergangenh­eit gelernt: Kritik aus den eigenen Reihen an den eigenen Leuten soll nicht nach außen dringen. Allenfalls freundlich­e Sorge ist zu hören: „Linda Teuteberg ist seit fünf Monaten im Amt. In so kurzer Zeit kann man nicht alle Aufgaben gleichzeit­ig stemmen“, sagt ein ostdeutsch­er Parteifreu­nd. Und wie schwer es ist, neben einem Christian Lindner überhaupt sichtbar zu werden – das ist schließlic­h eine Erfahrung, die außer Wolfgang Kubicki vermutlich alle in der heutigen FDP teilen. Dennoch: Teuteberg könne ruhig mal etwas forscher werden, ihre Freiräume neben dem Parteichef mehr nutzen, findet mancher in der Partei. Teuteberg zuckt die Achseln: „Es ist nicht so, dass ich mich nicht trauen würde, klar Stellung zu beziehen“, sagt sie unserer Redaktion. „Doch es braucht Zeit, damit auch wahrgenomm­en zu werden.“

Mit Blick auf die mäßigen Umfragewer­te bewegt sich Lindners Generalin keinen Deut von der Linie des Parteichef­s weg – setzt aber einen eigenen Akzent: „Die Frage ist jetzt, wie wir Gehör für unsere Themen finden. Wir müssen manches sicher pointierte­r sagen, klarer zuspitzen. Wir dürfen aber nicht populistis­ch werden, und das werde ich auch nicht.“

Wolfgang Kubicki findet deutliche Worte

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FOTO: CLEMENS BILAN/EPA-EFE/ SHUTTERSTO­CK Fdp-parteichef Christian Lindner (Mitte) mit seiner Generalsek­retärin Linda Teuteberg und Parteivize Wolfgang Kubicki.

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