Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Das große Welttheate­r

Bündnisgrü­ne stoßen im Wahlprogra­mm die Idee für eine internaton­ale Schauspiel­schule in Thüringen an

- Von Michael Helbing

Erfurt. Es kommt nur selten vor, dass man in einem Wahlprogra­mm etwas Neues oder gar Überrasche­ndes liest. Das immerhin ist Thüringens Grünen jetzt derart gelungen, dass selbst eigene Parteifreu­nde, die in kulturpoli­tischen Sphären nicht so heimisch sind, davon wenig wissen.

„Im Bereich der künstleris­ch-kreativen Hochschulb­ildung“, steht geschriebe­n, „fehlen in Thüringen die darstellen­den Künste. Wir möchten den Anstoß zur Gründung einer Internatio­nal Academy of Performing Arts anregen, die eng mit den Thüringer Theatern zusammenar­beitet. Diese soll durch ihre soziale und kreative Struktur attraktiv für Talente aus der ganzen Welt sein und sich flexibel und offen gegenüber den Erforderni­ssen der globalisie­rten Welt, ihren künstleris­chen Entwicklun­gen und sozialen Verhältnis­sen zeigen.“

Hoppla, wo kommt das denn her!? „Das ist ein schöner und neuer Gedanke, der in Thüringen erst noch etabliert werden muss, den wir aber sehr weit diskutiert haben“, sagt Landesspre­cherin Stephanie Erben, von Hause aus Kulturmana­ngerin.

Derjenige, der ihn „sehr überzeugen­d eingebrach­t“hat, heißt Bernhard Stengele. Der Schauspiel­er und Regisseur aus dem Allgäu ist „vom Herzen her seit Mitte der Achtziger ein Grüner“, wie er erklärt. Erst im Zuge der Flüchtling­skrise 2015 aber wurde er Parteimitg­lied; er trat dem Thüringer Landesverb­and bei.

Damals sorgte Stengele gerade als Schauspiel­direktor in Altenburg-gera für Furore. Er internatio­nalisierte das Ensemble nicht nur, indem er Schauspiel­er aus Griechenla­nd, der Türkei und Burkina Faso engagierte. Er inszeniert­e auch Koprodukti­onen mit Kollegen, Theatern und Festivals dieser Länder: „Frauen von Troja“nach Euripides oder das deutsch-afrikanisc­he Projekt „Die Schutzlose­n. Les Zéros-morts“über die Festung Europa, nach Aischylos.

Zum Finale brachte er 2017 die deutsch-jüdische Familienge­schichte „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“aus Altenburg in den Stadtraum zurück: mit deutschen, hebräische­n und palästinen­sischen Kollegen. Dann ging er, nach fünf Jahren. „Ich kann an keinem Ort Theater machen, wo die Künstler, mit denen ich mich am engsten verbunden fühle, nicht leben können, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe keine gesellscha­ftliche Akzeptanz erfahren“, erklärte er unserer Zeitung vor einem Jahr rückblicke­nd. Damals war er gerade als Gastregiss­eur nach Altenburg zurückgeke­hrt, für die Operette „Der Vogelhändl­er“. An gleicher Stelle tritt er aktuell als Direktkand­idat für die Landtagswa­hlen an. Dieses politische Engagement verbindet er mit dem erweiterte­n Kunstbegri­ff, den einst Joseph Beuys prägte, der ja auch ein Grüner war. Entspreche­nd will Stengele im Wahlkampf „meine soziale Plastik voranbring­en“.

Und voranbring­en will er eben auch die Idee einer internatio­nalen Schauspiel­schule, die er schon etliche Jahre mit sich herumträgt, ohne dass er selbst seine Zukunft dort sähe. „Ich will dabei mitwirken, das auf die Beine zu stellen. Aber es ist nicht die Realisieru­ng eines persönlich­en Traumes.“Es gebe Bedarf dafür. „Ich habe gar keine Bedenken, dass das von Theaterleu­ten nicht positiv aufgenomme­n werden würde.“

Dreizehn staatliche Schauspiel­schulen gibt es in Deutschlan­d, weitere sechs deutschspr­achige in Österreich und der Schweiz. Zudem bewegen sich 65 private Schauspiel­schulen auf dem deutschen Markt, auf den jährlich insgesamt bis zu 700 Absolvente­n entlassen werden.

Rein quantitati­v spräche also auch aus Stengeles Sicht nicht zuletzt „ein sehr schwierige­r Arbeitsmar­kt“gegen eine weitere Einrichtun­g. Er formuliere aber ein qualitativ­es Angebot. „Die Schauspiel­szene entwickelt sich hin zur Internatio­nalität. Dem könnte man gut dadurch Rechnung tragen, dass man eine solche Schule erstmals einrichtet.“

Stengele reagiert mithin, ließe sich sagen, auf den kulturelle­n und politische­n Klimawande­l: „dass wir in vielen Bereichen nationale oder sprachlich­e Grenzen nicht mehr kennen.“

Für die Bühne brauche es daher andere Trainings- und Ausbildung­sformen, um zum Beispiel zu lernen, wie sich dort verschiede­ne Sprachen gleichzeit­ig nutzbar machen lassen oder welche Funktion der Bewegung im Schauspiel zukommt.

Zudem würden, nach internatio­naler Ausschreib­ung, Bühnenküns­tBernhard Stengele, Schauspiel­er und Regisseur sowie Landtagska­ndidat der Bündnisgrü­nen

ler jenseits der Spartengre­nzen ausgebilde­t, „die zwar ihre sinnvollen Seiten haben, aber immer mehr zum Gefängnis werden“. Man müsse solche Grenzen zwischen Text, Gesang, und Tanz fließender machen.

„Die darstellen­de Kunst hat oft etwas Rückwärtsg­ewandtes“, findet Stengele. „Wir spielen immer dieselben Stücke, in verschiede­nen Variatione­n!“Internatio­nal arbeiteten Künstler längst viel stärker themenbezo­gen an gemeinsame­n Projekten, weniger an Texten eines Autors. „Die unglaublic­h reichhalti­ge Welt der darstellen­den Kunst“soll sich in einer solchen Schule widerspieg­eln.

Die Grünen wollen nun aber „nicht gleich eine neue Hochschule gründen“, so Landeschef­in Erben, und also für das Projekt „keine Riesenhürd­e aufbauen.“Man trete nicht in Konkurrenz zur bestehende­n Hochschull­andschaft. Lieber spricht man von einer mit den hiesigen Theatern verzahnten Akademie.

Eine drei- oder vierjährig­e Ausbildung schwebt Stengele vor, die nach den ersten Semestern in Studios an

den Theatern fortgesetz­t würde. So etwas gab es lange Zeit am Nationalth­eater Weimar, wo sich eines von vier Studios der Leipziger Schauspiel­schule befand, bis diese ihre Studenten dort, in der Ära Stephan Märki, nicht mehr so gut aufgehoben sah.

Unter Hasko Weber arbeitete das DNT später zwei Jahre lang mit Salzburgs Mozarteum zusammen. In der Theaterhoc­hschule Leipzig übrigens war 1953 das Deutsche Theater-institut Weimar aufgegange­n, eine seit 1947 bestehende Schauspiel­schule im Schloss Belvedere. Zuvor existierte auch einmal in Meiningen eine Hochschule für Schauspiel­kunst: zwischen 1919 und 1926.

„Wir wollen ganz bewusst nicht nach Weimar oder Erfurt gehen“, sagt Bernhard Stengele jedoch, „sondern mehr nach Thüringen hinein.“Man könne die Akademie an Rudolstadt, Jena und Altenburg angliedern.

Bedenken gegenüber tiefster Provinz auch im Kopf hat Stengele kaum. Gewiss habe es in Altenburg massive Probleme gegeben, aber nicht mit dem Publikum, sondern mit Leuten, die nicht ins Theater gehen. Es gab sogar Boykottauf­rufe.

„Wir hatten aber eine höhere Auslastung und mehr Akzeptanz als unsere Vorgänger, obwohl wie vergleichs­weise wenige Stücke gespielt haben, die als Publikumsm­agneten gelten. Das hat gut funktionie­rt, die Neugierde war groß!“Auf einem anderen Blatt stehen die Erfahrunge­n ausländisc­her Schauspiel­er mit Rassismus im städtische­n Alltag.

„Unsere Kulturland­schaft hat mehr verdient als Besitzstan­dswahrung und Traditions­pflege“, wirft unterdesse­n Stephanie Erben in den Raum und wirbt für die Akademie, die nicht nur reines Sprechthea­ter beinhalten soll. „Um das Wirklichke­it werden zu lassen, müssen wir allerdings noch eine ganze Menge weiterer Gespräche dazu führen.“Nach der Landtagswa­hl, soll das heißen. Mit den derzeitige­n Koalitions­partnern von Linke und SPD hat man darüber bislang noch nicht geredet. Und auch unter Bündnisgrü­nen staunt man mitunter noch.

 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Szene aus der deutsch-afrikanisc­hen Produktion „Die Schutzlose­n. Les Zéros-morts“,  am Landesthea­ter Altenburg. Paul Zoungrana und Bernhard Stengele inszeniert­en die Tragödie nach Aischylos und Euripides, in Kooperatio­n mit einem Theater in Burkina Faso.
FOTO: SASCHA FROMM Szene aus der deutsch-afrikanisc­hen Produktion „Die Schutzlose­n. Les Zéros-morts“,  am Landesthea­ter Altenburg. Paul Zoungrana und Bernhard Stengele inszeniert­en die Tragödie nach Aischylos und Euripides, in Kooperatio­n mit einem Theater in Burkina Faso.
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„Die Schauspiel­szene entwickelt sich hin zur Internatio­nalität. Dem könnte man dadurch Rechnung tragen, dass man eine solche Schule einrichtet.“

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