Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Das große Welttheater
Bündnisgrüne stoßen im Wahlprogramm die Idee für eine internatonale Schauspielschule in Thüringen an
Erfurt. Es kommt nur selten vor, dass man in einem Wahlprogramm etwas Neues oder gar Überraschendes liest. Das immerhin ist Thüringens Grünen jetzt derart gelungen, dass selbst eigene Parteifreunde, die in kulturpolitischen Sphären nicht so heimisch sind, davon wenig wissen.
„Im Bereich der künstlerisch-kreativen Hochschulbildung“, steht geschrieben, „fehlen in Thüringen die darstellenden Künste. Wir möchten den Anstoß zur Gründung einer International Academy of Performing Arts anregen, die eng mit den Thüringer Theatern zusammenarbeitet. Diese soll durch ihre soziale und kreative Struktur attraktiv für Talente aus der ganzen Welt sein und sich flexibel und offen gegenüber den Erfordernissen der globalisierten Welt, ihren künstlerischen Entwicklungen und sozialen Verhältnissen zeigen.“
Hoppla, wo kommt das denn her!? „Das ist ein schöner und neuer Gedanke, der in Thüringen erst noch etabliert werden muss, den wir aber sehr weit diskutiert haben“, sagt Landessprecherin Stephanie Erben, von Hause aus Kulturmanangerin.
Derjenige, der ihn „sehr überzeugend eingebracht“hat, heißt Bernhard Stengele. Der Schauspieler und Regisseur aus dem Allgäu ist „vom Herzen her seit Mitte der Achtziger ein Grüner“, wie er erklärt. Erst im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 aber wurde er Parteimitglied; er trat dem Thüringer Landesverband bei.
Damals sorgte Stengele gerade als Schauspieldirektor in Altenburg-gera für Furore. Er internationalisierte das Ensemble nicht nur, indem er Schauspieler aus Griechenland, der Türkei und Burkina Faso engagierte. Er inszenierte auch Koproduktionen mit Kollegen, Theatern und Festivals dieser Länder: „Frauen von Troja“nach Euripides oder das deutsch-afrikanische Projekt „Die Schutzlosen. Les Zéros-morts“über die Festung Europa, nach Aischylos.
Zum Finale brachte er 2017 die deutsch-jüdische Familiengeschichte „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“aus Altenburg in den Stadtraum zurück: mit deutschen, hebräischen und palästinensischen Kollegen. Dann ging er, nach fünf Jahren. „Ich kann an keinem Ort Theater machen, wo die Künstler, mit denen ich mich am engsten verbunden fühle, nicht leben können, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe keine gesellschaftliche Akzeptanz erfahren“, erklärte er unserer Zeitung vor einem Jahr rückblickend. Damals war er gerade als Gastregisseur nach Altenburg zurückgekehrt, für die Operette „Der Vogelhändler“. An gleicher Stelle tritt er aktuell als Direktkandidat für die Landtagswahlen an. Dieses politische Engagement verbindet er mit dem erweiterten Kunstbegriff, den einst Joseph Beuys prägte, der ja auch ein Grüner war. Entsprechend will Stengele im Wahlkampf „meine soziale Plastik voranbringen“.
Und voranbringen will er eben auch die Idee einer internationalen Schauspielschule, die er schon etliche Jahre mit sich herumträgt, ohne dass er selbst seine Zukunft dort sähe. „Ich will dabei mitwirken, das auf die Beine zu stellen. Aber es ist nicht die Realisierung eines persönlichen Traumes.“Es gebe Bedarf dafür. „Ich habe gar keine Bedenken, dass das von Theaterleuten nicht positiv aufgenommen werden würde.“
Dreizehn staatliche Schauspielschulen gibt es in Deutschland, weitere sechs deutschsprachige in Österreich und der Schweiz. Zudem bewegen sich 65 private Schauspielschulen auf dem deutschen Markt, auf den jährlich insgesamt bis zu 700 Absolventen entlassen werden.
Rein quantitativ spräche also auch aus Stengeles Sicht nicht zuletzt „ein sehr schwieriger Arbeitsmarkt“gegen eine weitere Einrichtung. Er formuliere aber ein qualitatives Angebot. „Die Schauspielszene entwickelt sich hin zur Internationalität. Dem könnte man gut dadurch Rechnung tragen, dass man eine solche Schule erstmals einrichtet.“
Stengele reagiert mithin, ließe sich sagen, auf den kulturellen und politischen Klimawandel: „dass wir in vielen Bereichen nationale oder sprachliche Grenzen nicht mehr kennen.“
Für die Bühne brauche es daher andere Trainings- und Ausbildungsformen, um zum Beispiel zu lernen, wie sich dort verschiedene Sprachen gleichzeitig nutzbar machen lassen oder welche Funktion der Bewegung im Schauspiel zukommt.
Zudem würden, nach internationaler Ausschreibung, BühnenkünstBernhard Stengele, Schauspieler und Regisseur sowie Landtagskandidat der Bündnisgrünen
ler jenseits der Spartengrenzen ausgebildet, „die zwar ihre sinnvollen Seiten haben, aber immer mehr zum Gefängnis werden“. Man müsse solche Grenzen zwischen Text, Gesang, und Tanz fließender machen.
„Die darstellende Kunst hat oft etwas Rückwärtsgewandtes“, findet Stengele. „Wir spielen immer dieselben Stücke, in verschiedenen Variationen!“International arbeiteten Künstler längst viel stärker themenbezogen an gemeinsamen Projekten, weniger an Texten eines Autors. „Die unglaublich reichhaltige Welt der darstellenden Kunst“soll sich in einer solchen Schule widerspiegeln.
Die Grünen wollen nun aber „nicht gleich eine neue Hochschule gründen“, so Landeschefin Erben, und also für das Projekt „keine Riesenhürde aufbauen.“Man trete nicht in Konkurrenz zur bestehenden Hochschullandschaft. Lieber spricht man von einer mit den hiesigen Theatern verzahnten Akademie.
Eine drei- oder vierjährige Ausbildung schwebt Stengele vor, die nach den ersten Semestern in Studios an
den Theatern fortgesetzt würde. So etwas gab es lange Zeit am Nationaltheater Weimar, wo sich eines von vier Studios der Leipziger Schauspielschule befand, bis diese ihre Studenten dort, in der Ära Stephan Märki, nicht mehr so gut aufgehoben sah.
Unter Hasko Weber arbeitete das DNT später zwei Jahre lang mit Salzburgs Mozarteum zusammen. In der Theaterhochschule Leipzig übrigens war 1953 das Deutsche Theater-institut Weimar aufgegangen, eine seit 1947 bestehende Schauspielschule im Schloss Belvedere. Zuvor existierte auch einmal in Meiningen eine Hochschule für Schauspielkunst: zwischen 1919 und 1926.
„Wir wollen ganz bewusst nicht nach Weimar oder Erfurt gehen“, sagt Bernhard Stengele jedoch, „sondern mehr nach Thüringen hinein.“Man könne die Akademie an Rudolstadt, Jena und Altenburg angliedern.
Bedenken gegenüber tiefster Provinz auch im Kopf hat Stengele kaum. Gewiss habe es in Altenburg massive Probleme gegeben, aber nicht mit dem Publikum, sondern mit Leuten, die nicht ins Theater gehen. Es gab sogar Boykottaufrufe.
„Wir hatten aber eine höhere Auslastung und mehr Akzeptanz als unsere Vorgänger, obwohl wie vergleichsweise wenige Stücke gespielt haben, die als Publikumsmagneten gelten. Das hat gut funktioniert, die Neugierde war groß!“Auf einem anderen Blatt stehen die Erfahrungen ausländischer Schauspieler mit Rassismus im städtischen Alltag.
„Unsere Kulturlandschaft hat mehr verdient als Besitzstandswahrung und Traditionspflege“, wirft unterdessen Stephanie Erben in den Raum und wirbt für die Akademie, die nicht nur reines Sprechtheater beinhalten soll. „Um das Wirklichkeit werden zu lassen, müssen wir allerdings noch eine ganze Menge weiterer Gespräche dazu führen.“Nach der Landtagswahl, soll das heißen. Mit den derzeitigen Koalitionspartnern von Linke und SPD hat man darüber bislang noch nicht geredet. Und auch unter Bündnisgrünen staunt man mitunter noch.