Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Abgas-affäre holt VW ein
Auch Dieselmotoren der aktuellen Euro-6-norm stehen unter Verdacht. Hersteller dementiert Bericht
Berlin/braunschweig. Mit der Entdeckung von Betrugsprogrammen bei der Abgasreinigung brach im September 2015 der Dieselskandal los. Im Zentrum: der millionenfach verkaufte Dieselmotor EA189, der in den Massenmodellen aus dem Volkswagen-konzern steckte. Fast genau vier Jahre später gibt es erneut Wirbel um Dieselmotoren aus Wolfsburg. Diesmal unter Verdacht: der Nachfolger des Skandalmotors. Nach Recherchen des Senders SWR soll es auch beim Motor EA288 mit der aktuellen Abgasnorm Euro 6 unzulässige Manipulationen gegeben haben. Eine „Zykluserkennung“stelle fest, ob sich das Auto auf einem Prüfstand befinde. Das gehe aus internen VWDokumenten hervor.
Beim Dieselskandal musste VW eingestehen, dass die Abgasreinigung bei manipulierten Motoren nur in solchen Situationen korrekt arbeitet. Im Normalbetrieb wird jedoch viel mehr Stickstoffdioxid ( NOX) ausgestoßen als erlaubt. In einer technischen Beschreibung zu der aktuellen Motorengeneration sei laut SWR die Rede von „Nutzung und Erkennung“des EUAbgastests, um eine „Umschaltung der Rohemissionsbedatung streckengesteuert auszulösen“. Dies bedeute, so der Sender, es handele sich um die gleiche Abgasmanipulation, die VW im September 2015 zugegeben hatte. Volkswagen tritt dieser Ansicht entschieden entgegen. Kein Fahrzeug mit dem Dieselmotor EA288 nach Euro-norm 6 enthalte eine Zykluserkennung. Nach aktuellem Kenntnisstand sei bei jüngeren Motoren „nichts Illegales passiert“. Anlass für Zweifel sieht der Wolfsburger Konzern nicht. Auf die internen Unterlagen, über die der SWR berichtet hat, geht der Konzern nicht näher ein. Bereits im Herbst 2015 hatte VW die neue Motorengeneration untersuchen lassen. Damals war der Verdacht auf die Beeinflussung von Abgasdaten „nach gründlicher Prüfung“entkräftet worden, heißt es.
Auch das zuständige Kraftfahrt-bundesamt (KBA) hat keine eigenen Hinweise auf mögliche Manipulationen bei EA288Dieselmotoren. Wie unsere Redaktion erfuhr, bewertet das KBA die aktuellen Vorwürfe als „nicht neu“. Dies teilte das KBA dem Bundesverkehrsministerium mit. Das Kraftfahrt-bundesamt habe „zu diesen Modellen bereits in 2016 eigene Messungen, Untersuchungen und Analysen durchgeführt. Unzulässige Abschalteinrichtungen konnten dabei nicht festgestellt werden und zwar auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung.“
Sollte sich der Verdacht gegen Volkswagen jedoch erhärten, so wäre dies laut dem Automobilexperten Ferdinand Dudenhöffer ein „Riesenskandal“. Der Professor der Universität Duisburg-essen sagte unserer Redaktion: „Es handelt sich um Vermutungen, die auf internen Unterlagen beruhen. Man sollte sehr vorsichtig sein, solche Vermutungen anzustellen
und große Konzerne zu beschuldigen, ohne die Details zu kennen.“Sollte der Swr-bericht zutreffen, wäre laut Dudenhöffer die „Glaubwürdigkeit, die sich VW wieder aufgebaut hat“, dahin und damit auch die „Aussagen rund um die Elektromobilität, wie sie VW jüngst auf der IAA getroffen hat“.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, fordert die Autobranche auf, die Fakten auf den Tisch zu legen: Wann wird bei Dieselmotoren die Abgasreinigung abgeschaltet – bei welchen Temperaturen, Lenkmanövern oder Geschwindigkeiten? „Wir weisen seit vier Jahren darauf hin: Abschalteinrichtungen betreffen alle Dieselmotoren aller Hersteller, ausdrücklich auch mit Euro-6-motor. Daher müssen die Dieselkonzerne diese elf Millionen Fahrzeuge mit einer Hardware-nachrüstung reparieren“, sagt Resch. Die Umwelthilfe hat nach eigenen Angaben über 1500 eigene Messungen an Dieselfahrzeugen vorgenommen und Diesel-fahrverbote in immer mehr deutschen Städten wegen zu hoher Stickoxid-werte in der Luft erstritten.
Der Dieselskandal hat den damaligen Konzernchef Martin Winterkorn im Herbst 2015 seinen Job gekostet. Gegen ihn und weitere Manager laufen Ermittlungen, etwa bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Auch der Vorstandsvorsitzende der Konzerntochter Audi musste seinen Posten räumen, nachdem er im Juni 2018 verhaftet worden war und vier Monate lang wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft gesessen hatte. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller leitete bei VW einen Wandel zur Elektromobilität ein und übergab sein Amt 2018 an den heutigen Vorstandschef Herbert Diess.
Die Folgen des Abgasbetrugs sind eine große finanzielle Last für den weltgrößten Autohersteller. Bis Ende 2018 hat er VW rund 27 Milliarden Euro gekostet – für Strafzahlungen, den Rückkauf von Fahrzeugen und Schadenersatz, insbesondere für Kunden in den USA. Für das laufende Jahr rechnet man in Wolfsburg mit weiteren Kosten von zwei Milliarden Euro. Volkswagen ist bislang der einzige Hersteller, der Manipulationen bei der Abgasreinigung bei seiner Motorengeneration EA189 eingestanden hat. Staatliche Untersuchungen und angeordnete Rückrufaktionen bei anderen Autobauern nähren jedoch den Verdacht, dass auch sie womöglich illegale Abschalteinrichtungen eingesetzt haben.
Kraftfahrt-bundesamt sieht keine Hinweise