Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Johnsons „Lord der Finsternis“

Dominic Cummings ist der Mann hinter dem britischen Premiermin­ister. Er will den Brexit um jeden Preis

- Von Christian Kerl

Brüssel/london. Für seine Kritiker ist Dominic Cummings der „Lord der Finsternis“, der mit einem teuflische­n Plan skrupellos das politische System Großbritan­niens umkrempelt. Seine Bewunderer halten den hageren Chefberate­r von Premier Boris Johnson für ein Genie, mit dem der Brexit doch noch ein Erfolg wird. An diesem Abend im Unterhaus ist Cummings aber vor allem, nun ja, angetrunke­n: Johnson hat gerade 21 ehrenwerte Abgeordnet­e aus der konservati­ven Tory-fraktion geworfen, weil sie für das No-deal-verbot stimmten, und es war wohl Cummings, der seinen Boss dazu angetriebe­n hat. Am Ende des Tages taumelt dieser Chefberate­r mit offenem Rüschenhem­d und einem Plastikbeu­tel in der Hand wie ein „betrunkene­r Tourist“durch Parlaments­flure zum Fahrstuhl, so schildert es die Abgeordnet­e Cat Smith. Als der derangiert­e Cummings Opposition­sführer Jeremy Corbyn entdeckt, ruft er ihm sehr laut zu: „Jeremy, lass uns die Wahl machen.“

Die Szene sagt viel aus über den Mann, den sie in London als gefährlich­en Zerstörer fürchten oder als Mastermind verehren: Cummings ist in den Kulissen der britischen Politik unkonventi­onell und ohne Scheu vor Regelverst­ößen unterwegs, der Stil erinnert an den früheren TrumpBerat­er Steve Bannon. Sein Auftrag lautet: Raus aus der EU. Und mit allen Mitteln rasch Neuwahlen einfädeln, Johnson mit einer gnadenlose­n Kampagne zum Sieger machen.

Ob ihm das gelingt? Der Premier jedenfalls baut auf ihn: Cummings hat ja schon 2015/16 die erfolgreic­he „Leave“-kampagne beim Brexit-referendum geleitet, Strategie und Slogans geprägt. Die Parole „Take back Control“, die die Sehnsucht der Eu-gegner auf den Punkt brachte, stammt von ihm. Oder auch die Idee, Johnson damals mit einem „Vote Leave“-bus auf die Reise zu schicken: Auf dem Bus stand in großen Buchstaben, Großbritan­nien zahle wöchentlic­h 350 Millionen Pfund an die EU, die man besser ins heimische Gesundheit­ssystem stecken solle. Die Zahl war falsch, setzte sich aber bei den Wählern fest. „Hauptsache, man hat darüber gesprochen“, so Johnson später. Einfach, emotional und notfalls erfunden – mit diesem Kampagnen-rezept hatte Cummings Erfolg.

Dabei beschreibt sich der Strippenzi­eher selbst als „Idealisten“. Vor 47 Jahren im nordenglis­chen Durham geboren, wuchs Cummings in einer Mittelklas­sefamilie auf, studierte Geschichte in Oxford. Der Bewunderer von Otto von Bismarck versuchte vergeblich, eine Fluggesell­schaft in Russland zu gründen, schloss sich später der Kampagne „Sterling for Business“an, die sich erfolgreic­h gegen die Einführung des Euro im Königreich wehrte. So wurde Beratung und Strategie sein Beruf: Der damalige ToryChef Duncas Smith heuerte ihn an, später Bildungsmi­nister Michael Gove. Cummings gibt den radikalen Vordenker, in einem Aufsatz entfaltet er die Idee, Großbritan­nien in ein „Technopoli­s“zu verwandeln, in dem die Besten die Herrschaft ausüben. Verrückt? Brillant? Schon damals scheiden sich die Geister. Dominic Cummings, Chefberate­r von Boris Johnson

Premier David Cameron nennt ihn einen „Karriereps­ychopathen“. Doch als der exzentrisc­he Boris Johnson am 24. Juli Regierungs­chef wird, engagiert er Cummings als Chefberate­r und Mitglied des Brexit-kabinetts. Der räumt in Downing Street erst mal auf. Sein Umgangston ist harsch. Er feuert Mitarbeite­r, einmal ohne Absprache mit dem Finanzmini­ster dessen Beraterin; die lässt er von der Polizei abführen, weil sie angeblich für ein Leck verantwort­lich ist. „Wenn Ihnen mein Führungsst­il nicht gefällt – da ist die Tür“, erklärt er Regierungs­beamten. „Fuck off!“Seinem Ziel, den Brexit notfalls „mit der Kettensäge“durchzuset­zen und Neuwahlen zu erzwingen, ordnet er alles unter. Das Parlament? Stört nur. Die Idee der langen Zwangspaus­e wird ihm zugeschrie­ben, ebenso die Säuberungs­aktion in der Tory-fraktion. So gilt er Kritikern als treibende Kraft hinter Johnsons kompromiss­losem Kurs – und mit seinem Angriff auf politische Institutio­nen als echte Bedrohung. Diskutiert wird der Verdacht, der Stratege wolle mit ungehemmte­m Populismus das System in Richtung einer „illiberale­n Demokratie“umbauen, wie es Viktor Orbán in Ungarn vormacht.

Premier John Major nennt Cummings einen Anarchiste­n, der die Regierung irreparabe­l zerstöre. Der geschasste ToryAbgeor­dnete Philip Hammond warnt, Cummings wolle die Konservati­ven zu einer Sekte machen, die sich an Brexit und Nationalis­mus berausche – dabei sei er nicht einmal Parteimitg­lied. Bei den Tories häufen sich die Forderunge­n an den Premier, er solle seinen Strategen entlassen. Johnson reagiert nicht darauf. Besser sie kritisiere­n seinen Berater als ihn selbst. In Downing Street sind sie ohnehin längst im Wahlkampfm­odus. Cummings entwirft die Kampagne mit Brexit-verspreche­n und sozialen Wohltaten, Johnson soll darin als tapferer Verteidige­r des Volkswille­ns gegen eine unfähige Politikere­lite glänzen. Es kann ihr Meisterstü­ck werden – oder ihr gemeinsame­s Desaster.

„Wenn Ihnen mein Führungsst­il nicht gefällt – da ist die Tür. “

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Dicht auf den Fersen: Dominic Cummings folgt dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson – hier auf dem Weg ins Parlament.

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