Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Die Mehrheit traut sich selber nicht“

Psychologi­n Cornelia Betsch aus Erfurt über veränderte Stimmungsl­age während der Corona-pandemie

- Von Martin Debes

Seit fast drei Monaten leitet die Psychologi­n Cornelia Betsch eine Langzeitst­udie, in der etwas 1000 repräsenta­tive ausgewählt­e Deutsche mittels eines Online-fragebogen­s zu ihrem Wissen über die Pandemie, ihrem eigenen Verhalten und den Einschränk­ungen befragt werden. Wir sprachen mit der Erfurter Universitä­tsprofesso­rin, die inzwischen in den Expertenbe­irat der Landesregi­erung berufen wurde.

Die Ängste der Menschen vor dem Corona-virus nehmen ab. Hängt dies vor allem mit der sinkenden Zahl der Neuinfekti­onen zusammen?

Nur unter anderem. Ich vermute auch einen Einfluss der staatliche­n Einschränk­ungen, die vorgenomme­n wurden. Erst als ab Mitte März das öffentlich­e Leben in Deutschlan­d herunterge­fahren wurde, stieg gleichzeit­ig das Risikogefü­hl sprunghaft. Vielleicht haben die Maßnahmen für viele die Gefahr erst verdeutlic­ht. Umgekehrt nimmt jetzt parallel zu den Lockerunge­n die Angst vor einer eigenen Ansteckung wieder ab.

Deckt sich dieses Verhalten mit früheren Studien bei Epidemien?

Ja, das war schon bei der H1n1pandem­ie so, also der sogenannte­n Schweinegr­ippe. Interessan­t ist: Die sogenannte kognitive, vernunftge­steuerte Risikowahr­nehmung bleibt relativ konstant, die Leute haben also durchaus verstanden, dass das Virus gefährlich bleibt. Aber die Angst davor sinkt.

Ist das nicht gut?

Nicht dann, wenn dadurch Leichtsinn entsteht.

Das gibt aber Ihre Umfrage so nicht her. Dort gaben zuletzt fast 90 Prozent an, den Sicherheit­sabstand einzuhalte­n. Und 82 Prozent tragen Maske, wo sie verlangt wird. Sind das nicht hohe Werte?

Grundsätzl­ich schon, wobei wir ja noch die Maskenpfli­cht haben, das heißt, das beruht nicht auf Freiwillig­keit. Und gerade bei den Jüngeren wird das Schutzverh­alten zunehmend problemati­sch. Dort sind auch die Gruppendyn­amiken größer: Insbesonde­re jene, die denken, dass sich andere nicht mehr an die Vorschrift­en halten, machen auch selbst eher Ausnahmen.

Dennoch: Die Zustimmung zu den Einschränk­ungen bleibt hoch, trotz der ökonomisch­en und sozialen Folgen und der zunehmende­n Proteste auf der Straße und im Netz.

Das stimmt. Die Daten zeigten, dass die Leute wirklich verstanden haben, dass wir uns längerfris­tig auf dieses Virus einstellen müssen. Wichtig ist, dass jetzt so etwas wie ein lokales Frühwarnsy­stem entwickelt wird. Es gibt ja verschiede­ne Alarmsyste­me, bei Waldbrände­n, bei Unwettervo­rhersagen oder auch beim Pollenflug, woraus sich dann Verhaltens­änderungen ergeben. Ich vermute, dass das auch langfristi­g besser akzeptiert werden wird als ein nochmalige­r Lockdown in ganz Deutschlan­d.

Das ist ja auch das Konzept, das Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow vorschlug. Sie haben dazu auch gefragt. Wie war die Zustimmung?

Wenn es darum geht, dass in einer Stadt oder einer Region die Einschränk­ungen stark verschärft werden, wenn eine bestimmte Zahl an Neuinfekti­onen überschrit­ten wird, ist die Zustimmung relativ hoch.

Die Maßgabe des Bundes sind 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner in einer Woche, Thüringen will die Grenze bei 35 Neuinfekti­onen festlegen.

Genau. 70 Prozent sind in dieser Situation eher bereit, sich wieder stärker einzuschrä­nken. Sogar 59 Prozent der Befragten befürworte­n, dass es dann einen lokalen Lockdown gibt.

Ramelow setzt ja auch jetzt auf eigenveran­twortliche­s Handeln, Verbote sollen nur noch Empfehlung­en sein. Ist das zu optimistis­ch?

Unsere Ergebnisse sagen ganz klar: Ja. Die Mehrheit der Bevölkerun­g traut sich da selber nicht. Wenn man die Menschen fragt, ob Gebote ähnlich effektiv sind wie Verbote, sagen nur 37 Prozent Ja oder eher Ja. Nur ein Drittel der Teilnehmer denkt, dass sich die meisten Leute an reine Empfehlung­en halten würden. Reine Freiwillig­keit funktionie­rt möglicherw­eise nur dann, wenn etwas als akute Gefahrwahr­genommen wird. Und das ist jetzt gerade nicht mehr der Fall.

Deshalb ist es also gut, dass die Maskenpfli­cht vorerst in Thüringen erhalten bleibt?

Ja. Wir haben zusätzlich zu der Befragung ein Verhaltens­experiment gemacht. Dabei haben wir festgestel­lt, dass das Tragen von Mundnasens­chutz als eine Art sozialer Vertrag wahrgenomm­en wird. Das heißt, die Leute wissen: Der Schutz ist nur dann da, wenn so gut wie alle Maske tragen. Wenn die Pflicht fällt, beruht der Vertrag auf Freiwillig­keit, viele machen dann nicht mehr mit, und das kann zu sozialen Spannungen führen – und natürlich auch zu weniger Schutz für alle.

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FOTO: M. BORGGREVE Cornelia Betsch ist Professori­n an der Universitä­t Erfurt.

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