Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Der Mann, der die Welt verpackte

Er gab der Welt einen neuen Anstrich. Jetzt ist der Installati­onskünstle­r Christo im Alter von 84 Jahren gestorben

- Von Christina Horsten und Johannes Schmitt-tegge

Wer glaubte, dass Christo in seinem silbern verpackten Berliner Reichstag oder seinen leuchtend gelben, schwimmend­en Stegen auf einem See in Italien irgendeine tiefere Bedeutung sah, der irrte. „Es ist total irrational und sinnlos“, sagte der bulgarisch-amerikanis­cher Verpackung­skünstler einmal über seine Arbeiten.

Doch die Schönheit seiner in abstrakte Objekte verwandelt­en Gebäude und Landschaft­en fasziniert­e Millionen. Am Sonntag ist Christo im Alter von 84 Jahren in New York gestorben, wie auf seiner Website mitgeteilt wurde. Zuletzt hatte der Künstler „ohne Pause“in seinem New Yorker Studio auf die Verhüllung des Pariser Triumphbog­ens hingearbei­tet, wie er noch Mitte April in einem Interview erzählte. Es hätte sein „Höhepunkt des Jahres“werden sollen, musste aber wegen der Coronaviru­s-pandemie auf 2021 verschoben werden.

Schon vor rund 60 Jahren hatte Christo die ersten Skizzen für das Projekt angefertig­t. Stets war es ein Spiel aus Form und Farbe, wenn der am 13. Juni 1935 als Christo Vladimirof­f Javacheff im bulgarisch­en Gabrovo geborene Künstler wieder ein Stück Welt mit Kunststoff­bahnen überzog. Zu den berühmtest­en seiner weltweit realisiert­en Projekte zählten die safranfarb­enen Tore im New Yorker Central Park („The Gates“), die schwimmend­e, mit Nylongeweb­e bezogene Stege auf dem Wasser des Iseo-sees in der Lombardei („Floating Piers“) sowie der 1995 verhüllte Berliner Reichstag und die verpackte Pont Neuf in Paris. Die teils aus vielen Kilometern Entfernung sichtbaren Installati­onen, etwa der „Valley Curtain“in Colorado oder gelben und blauen Riesen-sonnenschi­rme in Japan und Kalifornie­n („The Umbrellas“), entstanden bald nur noch im Team. Mit seiner Frau Jeanne-claude, mit der er seit den 90er Jahren stets als Duo auftrat, kämpfte Christo von ersten Plänen bis zur Realisieru­ng eines Projekts teils mehrere Jahrzehnte. Die aus Casablanca in Marokko stammende und am selben Tag wie Christo geborene Jeanneclau­de war 2009 im Alter von 74 Jahren in New York an einer Hirnblutun­g gestorben. „Jeanne-claude und ich, wir machen diese Dinge für uns selbst“, gab der Künstler mit dem weißen Kraushaar zu verstehen. „Wenn es jemand mag, ist es nur ein Bonus. Wir machen Dinge, die uns visuell gefallen.“

Der Weg sei dabei das Ziel: „Diese Projekte bringen uns an Orte, die so viel reicher sind als die Kunstwelt oder die Galerie oder das Museum. Wir können mit vielen verschiede­nen Menschen arbeiten.“

Die Ehe der beiden war auch eine aus Sozialismu­s und Kapitalism­us: Der in Bulgarien marxistisc­h geschulte Christo, der weder Gelder von Sponsoren noch staatliche Subvention­en akzeptiert­e, konnte die kostenlose Kunst für Millionen erst durch den Unternehme­rgeist seiner Frau verwirklic­hen. 2005 lehnten sie das Kaufangebo­t eines Finanziers über 50 Millionen Dollar für die 7500 orangefarb­enen Tore und Stoffe aus dem Central Park ab.

Christo soll auf das Angebot gesagt haben: „Ich würde sie auch für 100 Millionen nicht verkaufen“. Deshalb und auch wegen der über Kilometer sichtbaren, visuellen Durchschla­gskraft der Werke begeistert­e das Paar.

Unvergesse­n ist in Deutschlan­d vor allem der in silberne Stoffbahne­n verhüllte, mit blauen Seilen verschnürt­e Berliner Reichstag. Das Spektakel über zwei Wochen im Jahr 1995 sei nicht weniger gewesen als ein nachgeholt­es Sommerfest zum Mauerfall, erinnerte sich Rüdiger Schaper vom Berliner „Tagesspieg­el“zum 20. Jubiläum. Auch für das Reichstags-projekt hatte das Künstler-paar jahrzehnte­lang um eine Genehmigun­g gekämpft – und diese schließlic­h per offizielle­r Bun- destags-abstimmung, angesetzt von der damaligen Bundestags­präsidenti­n Rita Süssmuth, bekommen. „Sie hat Jeanne-claude und mich in ihr Haus nach Bonn eingeladen, um mit ihr zu reden“, erinnerte sich Christo. „Ich sage immer, wenn Rita Süssmuth nicht gewählt worden wäre, hätte das Reichstags-projekt nicht stattgefun­den.“

Die Vergänglic­hkeit der temporären Großinstal­lationen erinnerte stets auch an die Flüchtigke­it des Lebens selbst. „Es ist irgendwie naiv und arrogant, zu glauben, dass dieses Ding für immer bleibt, für die Ewigkeit“, bemerkte Christo zur

Zeit der Reichstags­verhüllung. Vieles hatte er noch verwirklic­hen wollen – wie etwa „Mastaba“, eine 150 Meter hohe Skulptur aus mehr als 400.000 Ölfässern in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten.

Leuchtende Kunststoff­flächen, Bauwerke und Landstrich­e – fasziniere­nde Bilder werden von Christo in Erinnerung bleiben. Dass heute fast keine mehr davon zu sehen ist, dürfte ihre Pracht nur verstärkt haben. „All diese Projekte haben eine starke Dimension des Fehlens, der Zurückhalt­ung“, sagte Christo zur Reichstags­verhüllung. „Sie werden verschwind­en, wie unsere Kindheit, unser Leben.“Erst das mache die Erfahrung so intensiv.

 ?? FOTO: WOLFGANG VOLZ © 1995 CHRISTO ?? Eine Aufnahme des verhüllten Reichstage­s in Berlin, das glitzernde Kunstwerk zog rund fünf Millionen Schaulusti­ge an. 1995 verdeckten Christo und seine Ehefrau Jeanne-claude das Gebäude mit 100 000 Quadratmet­ern Spezialsto­ff.
FOTO: WOLFGANG VOLZ © 1995 CHRISTO Eine Aufnahme des verhüllten Reichstage­s in Berlin, das glitzernde Kunstwerk zog rund fünf Millionen Schaulusti­ge an. 1995 verdeckten Christo und seine Ehefrau Jeanne-claude das Gebäude mit 100 000 Quadratmet­ern Spezialsto­ff.

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