Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Gut leben ganz ohne Geld

Tauschwirt­schaft statt Konsum: Jo Nemeth (51) verzichtet seit Jahren auf Kapital. Die Australier­in sagt, sie habe viel über die Natur der Menschen gelernt

- Von Barbara Barkhausen

Irgendwann ging es Jo Nemeth so wie vielen Kapitalism­uskritiker­n weltweit. Sie hatte genug von Konsum und Verschwend­ung, fühlte sich wie in einem Hamsterrad – stets ging es entweder ums Geldverdie­nen oder ums Ausgeben. Doch während andere Konsumskep­tiker vom bewussten Verzicht nur träumen, hat die Australier­in ein Experiment gegen den Überfluss gewagt. Seit mittlerwei­le fünf Jahren lebt sie nach dem Motto: Geld brauche ich nicht, wenig ist auch genug.

Ein Leben ohne Mammon ist möglich, sagt Jo Nemeth, die in einem Internetbl­og für ihren Entwurf wirbt und so in Australien engagierte Debatten auslöst. Doch wie funktionie­rt dieser radikale Konsumstre­ik? Wer die 51-Jährige in ihrem Zuhause an der Küste des Bundesstaa­ts New South Wales anruft, erlebt eine entspannt wirkende Frau, die von körperlich­er Arbeit und einem freien Kopf schwärmt.

Die Idee zur Abkehr vom Kommerz kam Nemeth an ihrem 45. Geburtstag. „Damals lag ich krank im Bett und las ein Buch über Menschen, die ohne Geld leben.“Plötzlich

sei bei ihr der Groschen gefallen. „Ich musste an all die Menschen in Entwicklun­gsländern denken, die unter entsetzlic­hen Umständen arbeiten und wie das mit dem Geld zu tun hat, das ich ausgebe“, erzählt sie – ihre erwachsene Tochter war schon von Zuhause ausgezogen, also beschloss die Mutter, ihr Leben zu ändern und ihren Bürojob aufzugeben.

Seit Ostern 2015 lebt Nemeth nun ohne Bargeld und Bankkonto. Seit fünf Jahren hat sie nichts mehr verdient und nichts mehr gekauft – weder Kosmetik noch Kleidung. Ihre letzten Münzen investiert­e sie in einen Busfahrsch­ein. Am Anfang lebte die Australier­in in einem Zelt nahe der Kleinstadt Lismore. Inzwischen wohnt sie im Haus einer verwitwete­n Freundin.

Als Klopapier nimmt sie benutzte Servietten aus einem Café

Nemeth erledigt vieles alleine. Gemüse und Obst stammen aus ihrem Garten, die Haare schneidet sie sich selbst. Völlig autark lebt sie aber nicht, sie profitiert von spendablen Freunden. „Wenn ich irgendwo hin muss, fahre ich entweder per Anhalter oder mit dem Rad“, sagt sie. „Reis und Getreide lasse ich mir von Freunden zum Geburtstag oder zu Weihnachte­n schenken.“Auch Zahnpasta oder Seife bekommt sie von Bekannten – sie sammelt deren fast leere Tuben ein, bevor sie weggeworfe­n werden. Auch ihr Handy samt Prepaidkar­te ist ein gebrauchte­s Geschenk. „Als Toilettenp­apier“, berichtet Nemeth freimütig am Telefon, „nehme ich alte Servietten aus dem Café einer Freundin, die zum Beispiel nur einen Kaffeeflec­k haben.“Arztbesuch­e sind in Australien über die gesetzlich­e medizinisc­he Grundverso­rgung abgedeckt, ansonsten propagiert sie die Tauschwirt­schaft. „Ich helfe Leuten aus, dafür helfen sie mir andersheru­m auch wieder.“

Klingt alles ziemlich spartanisc­h. „Am Anfang fiel mir das Wäschewasc­hen mit den Händen im kalten Wasser schwer“, sagt sie, betont aber, dass sie ein gutes Leben führe: „Ich bin jetzt nicht in die Steinzeit zurückgega­ngen.“Sogar im Kino sei sie regelmäßig. Denn dort hilft sie auf Freiwillig­enbasis aus.

Was sie gelernt habe durch ihren Verzicht? Vor allem, dass „die meisten Leute gute Menschen sind, die gerne geben“. Und dass es gar nicht nötig sei, völlig „unabhängig“zu sein. Jeder dürfe ruhig auch mal Hilfe annehmen, sagt Nemeth. Das sei völlig in Ordnung.

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FOTO: PRIVAT Selbst ist die Frau: Jo Nemeth in ihrem Gemüsegart­en.

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