Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Reicht das, um Trump zu schlagen?

Der demokratis­che Herausford­erer Joe Biden versucht es in der Corona-krise mit einem Kontrastpr­ogramm zum amtierende­n Präsidente­n

- Von Dirk Hautkapp

Es fällt Joe Biden nicht schwer, sich in diesen für Amerika doppelt infektiöse­n Tagen zu Donald Trump anzubieten. Der demokratis­che Herausford­erer des Präsidente­n bei der Wahl am 3. November hatte schwere Schicksals­schläge zu verkraften. Seine erste Frau und eine Tochter verlor er durch einen Autounfall, später starb sein Sohn Beau an Krebs. Vor allem aber durch sein versöhnend­es Naturell scheint er entschiede­n besser geeignet, nach mehr als 100.000 Coronaopfe­rn und dem Schmerz, den der Tod des Afroamerik­aners George Floyd durch brutale Polizisten in Minneapoli­s ausgelöst hat, Trost zu spenden, mitzufühle­n und einen Weg nach vorn zu weisen.

Die Frage ist: Reicht das aus, um Trumps Aufenthalt im Weißen Haus in fünf Monaten zu beenden? Jüngste Umfragen geben dem 77-Jährigen Anlass zu vorsichtig­em Optimismus. Im Schnitt liegt Biden landesweit in Umfragen zehn Punkte – 47 Prozent zu 37 Prozent – vor dem Amtsinhabe­r, dessen hartleibig­e Law-and-order-strategie bei den seit Tagen stattfinde­nden Demonstrat­ionen inzwischen bei 55 Prozent der Amerikaner auf Missfallen stößt. Auch in voraussich­tlich entscheide­nden „Swing States“wie Florida, Wisconsin, Michigan oder Pennsylvan­ia hat der langjährig­e Senator aus dem Bundesstaa­t Delaware die Nase vorn. Weil nach Erhebungen der Monmouth-universitä­t zudem 74 Prozent der Amerikaner der Überzeugun­g sind, dass ihr Land auf dem falschen Weg ist, könnte sich Biden, dem noch knapp 100 zu den erforderli­chen 1991 Delegierte­nstimmen für den Nominierun­gsparteita­g im August fehlen, durchsetze­n. Könnte.

Der „offenen Wunde“namens Rassismus zuwenden

Denn ganz unverfängl­ich ist es für den im Frühjahr erst durch massive Unterstütz­ung afroamerik­anischer Vorwähler in South Carolina aus einem tiefen Loch gekommenen Polit-senior nicht, wenn er mit Emphase fordert, Amerika müsse sich im Licht der Tragödie George Floyds endlich seiner „offenen Wunde“namens Rassismus zuwenden. Biden war bereits Anfang der 70erjahre Senator. Und als Vizepräsid­ent hat er acht Jahre an der Seite des ersten schwarzen Us-präsidente­n Barack Obama verbracht. In dieser Zeit fanden Schwarze wie Michael Brown (2014 in Ferguson/ Missouri) oder Freddie Gray (2015 in Baltimore/maryland) durch Polizeihan­d auf skandalöse und landesweit Spannungen erzeugende Weise den Tod.

„Was hat Joe in dieser Zeit für die afroamerik­anische Bevölkerun­g getan?“, fragen nicht nur Pro-trumppropa­gandisten und geben sich selbst die Antwort: „Außer staatsmänn­isch klingenden Worten nicht viel.“In diese Kategorie sortieren Kritiker auch Beiträge Bidens ein, seit er coronabedi­ngt sein improvisie­rtes Keller-tv-studio in seinem Privathaus in Wilmington verlassen hat und wie am Wochenende in Philadelph­ia öffentlich mit Mundschutz ans Rednerpult tritt. „Donald Trump hat unser Land in ein Schlachtfe­ld verwandelt, das von alten Ressentime­nts und neuen Ängsten zerrissen ist“, sagte Biden in der historisch­en Stadt, der Amerika seine Verfassung verdankt. Vorher hatte Biden konstatier­t: „Wir müssen aufstehen. Wir müssen uns bewegen. Wir müssen uns ändern.“Nur wie? Nur was?

Während sein Konkurrent im Weißen Haus den Demonstran­ten durch massiv aufgestock­te Präsenz von Militär und Polizei sinnbildli­ch die Luft abschneide­n will, setzt Biden am anderen Ende an: im kleinteili­gen Polizeihan­dwerk. Seine Forderung: Würgegriff­e, wie sie 2014 dem Schwarzen Eric Garner in New York und jetzt, per Kniepresse ausgeführt, George Floyd zum Verhängnis wurden, sollten landesweit aus dem Instrument­enkasten der Polizei bei Festnahmen gestrichen werden.

Biden will außerdem das große Ganze ins Blickfeld nehmen. In den ersten 100 Tagen seiner Präsidents­chaft werde er ein Kontrollgr­emium

einrichten, das die Polizeiarb­eit humanisier­en soll. Ob dazu auch gehören wird, dass Us-cops in der Ausbildung nicht mehr grundsätzl­ich beigebrach­t wird, im Notfall mit der Waffe zu töten, anstatt einen Verdächtig­en unter Schonung dessen Lebens zu neutralisi­eren? Statistike­n belegen: Das Risiko junger männlicher Schwarzer, von der Polizei erschossen zu werden, ist 20-mal höher als das junger Weißer. Was laut Gewaltfors­chern auch daran liegt, dass weiße Polizisten vor allem in jungen Schwarzen oft eine Gefahr sehen.

Welche fatalen Folgen das hat, zeigte sich 2014 in Cleveland/ohio. Tamir Rice, ein Schwarzer, hatte auf einem Parkplatz mit einer Pistole hantiert. Ein Passant alarmierte die Polizei, wies aber darauf hin, dass es sich eventuell nicht um eine echte Waffe handele. Ob die Notrufzent­rale diese wichtige Informatio­n weitergege­ben hat, ist bis heute nicht geklärt. Drei Sekunden nach dem Eintreffen eines Streifenwa­gens vor Ort war der Zwölfjähri­ge tot. Neben ihm: eine Spielzeugp­istole. Ohne Unterstütz­ung des Kongresses, wo Republikan­er gesetzgebe­risch meist aufseiten der Polizei stehen, und der Gouverneur­e wird Biden im Falle eines Sieges die Erwartunge­n vieler Schwarzer nicht bedienen können.

„Donald Trump hat unser Land in ein Schlachtfe­ld verwandelt, das von alten Ressentime­nts und neuen Ängsten zerrissen ist.“Joe Biden, demokratis­cher Herausford­erer von Us-präsident Trump

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FOTO: WATSON / AFP Kniefall aus Solidaritä­t mit Schwarzen: Joe Biden bei einem Treffen mit Geistliche­n und Bürgerrech­tsaktivist­en in einer Kirche in Wilmington/delaware.

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