Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Die Rembrandt-spekulation
Das Gothaer Bild „Alter Mann“gibt Rätsel auf: Ist das Maler-genie selbst sein Urheber?
Gotha. Eine Aura des Goldenen Zeitalters umfängt das Herzogliche Museum in Gotha. Seit zwei Wochen zeigt die Friedenstein-stiftung in einer Sonderausstellung die fünf gestohlen gewesenen Altmeistergemälde, nun allesamt frisch restauriert, und rekapituliert ihre Verlustgeschichte. Ein Bild aber – „Alter Mann“– sticht heraus, und alle Welt rätselt: Rembrandt oder nicht?
Im Halbdunkel inszeniert im Kreise der früheren „Leidensgenossen“, die anno 1979 beim spektakulärsten Kunstraub der DDR aus Schloss Friedenstein entführt wurden, hängt der „Heimkehrer“und versprüht noblen Charme. Dietrich Richter, der Restaurator, hat großartige Arbeit geleistet, den Firnis entfernt, Schmisse geheilt, und so sichtbar gemacht, was zuvor niemand – nicht mal ein Experte – ahnen konnte: Ja, dieser Lichteinfall aufs schrundige Antlitz dieses unbekannten, bärtigen Greises: Der könnte von des Maler-genies eigener Hand stammen.
Richter war es auch, den zuerst diese elektrisierende Ahnung beschlich, als er sich in den Potsdamer Restaurierungswerkstätten der Preußen-stiftung dieses altmeisterlichen „Patienten“annahm. In den Verlustkatalogen auf Friedenstein schrieb man das unsignierte Ölbild noch Jan Lievens (1607-1674), Rembrandts Leidener Atelier-genossen von 1625 bis 1631, zu – nicht zuletzt, weil man von Lievens ein Bildnis desselben Charakterkopfs kennt. Stilistisch fällt es allerdings ganz anders aus.
Ein Rembrandt mit demselben Motiv hängt in Cambridge
Aber auch Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606-1669) hat sich des anonymen Alten angenommen, der um 1629/30 den beiden aufstrebenden Malerfürsten in ihrer Leidener Werkstatt Modell gesessenen haben muss. Von seiner Hand existiert eine Rötelzeichnung, heute im Louvre, sowie ein weiteres – und signiertes – Bildnis, das über die Zwischenstation Oldenburg mittlerweile im englischen Cambridge Heimat gefunden hat. Als dritter möglicher Urheber kursierte Ferdinand Bol (1616-1680), ein späterer Rembrandt-schüler,
dessen Name groß auf der Rückseite des ominösen Gothaer Bildes prangt.
Kurator Timo Trümper, auf Friedenstein für die Altmeister zuständig, genießt sichtlich die allgemeine Verwirrung. Seit Monaten recherchiert er intensiv über das Gemälde und bringt den Diskurs unter Rembrandt-fachleuten in Gang. „Es war ja 40 Jahre lang nicht nur der Öffentlichkeit geraubt, sondern ebenso der wissenschaftlichen Analyse entzogen“, bemerkt er. Ein maßgebliches Votum des Rembrandt Research Projects in Amsterdam steht folglich noch aus.
Pragmatisch referiert Trümper den Kenntnisstand. Das dendrologische Gutachten ergab, dass die Eiche, deren Holz die Basis lieferte, nach 1623 geschlagen wurde. Somit
sollte das Gothaer Gemälde nach 1630 datieren. Bol scheidet daher, ebenso wie aus stilistischen Gründen, als Urheber aus. Nur kam der Sohn eines Barbiers durch Heirat zu Wohlstand und kaufte, nachdem der verehrte Meister als Opfer einer Börsenspekulation pleiteging, ungeniert aus dessen Konkursmasse. In der Liste seiner Bilder fand Trümper den Eintrag: „een out man von Rembrant“. Ob derselbe gemeint war, weiß man nicht.
Die hohe Qualität des Gemäldes ist völlig unstrittig
Letztlich entscheidend wird also die Stilanalyse sein. Das Gothaer Bild wurde relativ rasch ausgeführt und entstand in „rauer Manier“, der man Rembrandts frühe Malweise zurechnet. Zumal die Augenpartie zeigt einen pastosen Farbauftrag, der dagegen dem weitaus feineren Pendant in Cambridge fehlt. Und im unteren Bereich des Bartes entlarvt die Uv-aufnahme sogenannte Pentimenti – Übermalungen also.
Sollte etwa ein Bild die Kopie des anderen sein? Und welches wäre demnach das ältere? Pentimenti jedenfalls fände man auf einer Kopie sicher nicht… Trümper kassiert prompt diese Spekulation: „Ein Rembrandt hat sich niemals selber kopiert.“Zumindest kennen wir keinen derartigen Fall.
Vorstellbar wäre das Narrativ, dass der Meister den Werkstatt-besuch des Alten für eine Charakterstudie nutzte und das – heute Gothaer – Bild unsigniert als Vorlage für spätere biblische Szenen behielt. „Der gäbe durchaus glaubhaft einen Propheten ab“, bestätigt Trümper. Dass dann ein anonymer Kunstfreund, eventuell bereits in Amsterdam, Gefallen daran fand, so dass Rembrandt das zweite Bild in anderem Stil malte. Kunst geht schließlich nach Brot; das galt sicher für das junge Genie nicht minder.
Wie auch immer: Jetzt stehen wir am Beginn einer famosen Debatte. Die bisherigen Expertenmeinungen geben sich im Für und Wider die Waage. „Wie es ausgeht, ist für mich letztlich nicht entscheidend“, meint Timo Trümper. „Die hohe Qualität des Gemäldes ist unstrittig.“
Ausstellung im Herzoglichen Museum Gotha bis 21. 8. 2022, Di-so 10-16 Uhr