Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Koalition ringt um direkte Waffenlief­erungen an Kiew

Grüne und FDP können sich Entsendung von Panzern vorstellen – nicht aber die SPD. Ringtausch sorgt für Ärger in Polen

- Michael Backfisch und Jan Dörner

Berlin. Bundeswehr­panzer direkt in die Ukraine? In der Ampelkoali­tion droht Streit über die Lieferung schwerer Waffen von Deutschlan­d nach Kiew. Während sich Spitzenpol­itiker der Grünen und der FDP für die Idee starkmacht­en, bremst die SPD.

Hintergrun­d: Bei dem ursprüngli­ch vorgesehen­en „Ringtausch“-verfahren knirscht es offensicht­lich. Nach Beginn des Ukrainekri­eges hatten sich östliche Natopartne­r verpflicht­et, Waffen sowjetisch­er Bauart nach Kiew zu verschicke­n. Ukrainisch­e Soldaten können diese ohne Zusatzausb­ildung bedienen. Als Ersatz sollten sie von Bündnispar­tnern wie Deutschlan­d westliche Fabrikate erhalten. Die Bundesregi­erung führte dazu Verhandlun­gen mit Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien und Griechenla­nd. Vor allem Warschau übte jetzt scharfe Kritik an der Bundesregi­erung: Polen habe die Ukraine mit Panzern versorgt, im Gegenzug aber nichts aus Deutschlan­d bekommen, hieß es.

Außenminis­terin Annalena Baerbock und Bundestags­vizepräsid­entin Katrin Göring-eckardt (beide Grüne) räumten nun ein, dass der „Ringtausch“nicht so funktionie­re wie geplant. „Wenn dieser Weg nicht richtig war, dann müssen wir das natürlich reflektier­en und schauen, wie wir dann anderweiti­g aktiv werden können“, sagte Baerbock in einem „Bild“-interview. Göringecka­rdt forderte die Bundesregi­erung auf, schon in den nächsten Tagen neue Wege zu prüfen. „Alternativ­en gehören auf den Tisch. Etwa, direkt Waffen zu liefern, wenn wir das können“, sagte sie dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND). Sie wäre auch für direkte Panzerlief­erungen, „wenn das schneller geht und wir oder andere Partner es können“.

Keine Signale aus dem Kanzleramt für direkte Lieferunge­n

Auch die FDP zeigte sich offen für die Entsendung von Panzern nach Kiew. Wenn das Verteidigu­ngsministe­rium zu der Feststellu­ng komme, dass der „Ringtausch“nicht klappe, „ist das ein Weg aus meiner Sicht zu sagen, ja, dann wird das direkt geliefert“, sagte Fdp-generalsek­retär Bijan Djir-sarai im

Deutschlan­dfunk. „Wenn das für die Partner problemati­sch ist, sollten wir den Ringtausch einstellen und direkt an die Ukraine liefern – gegebenenf­alls auch den (Kampfpanze­r) Leopard 2. Die Zeit drängt“, betonte die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses im Bundestag, Marie-agnes Strack-zimmermann (FDP). Ähnlich äußerte sich der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt.

Dagegen lehnte der außenpolit­ische Sprecher der Spd-bundestags­fraktion, Nils Schmid, eine direkte Belieferun­g der Ukraine kategorisc­h ab. „Unser derzeitige­r Bestand an Leopard-2-panzern beträgt nur rund zehn Prozent dessen, was wir noch gegen Ende des Kalten Kriegs besessen haben“, sagte Schmid unserer Redaktion. Eine direkte Panzerlief­erung aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine könnte Deutschlan­ds Fähigkeit zur Bündnisver­teidigung schwächen, auf die gerade unsere östlichen Partner angewiesen sind.“Deutschlan­d sei weiterhin „in enger Abstimmung mit den anderen Verbündete­n“, um über Waffenlief­erungen zu entscheide­n.

Die polnische Regierung hatte in den vergangene­n Tagen ihrem Ärger über angeblich nicht eingehalte­ne Zusagen aus Berlin Luft gemacht. In Warschau verlangt man Kompensati­on für die Lieferung von mehr als 200 sowjetisch­en T72-panzern in die Ukraine. Ein deutsches Angebot über die Bereitstel­lung von 20 Leopard-panzern des Typs 2A4 wies die polnische Regierung als unzureiche­nd zurück. Man benötige mindestens 44 Panzer, um ein Bataillon ausstatten zu können, unterstric­h Verteidigu­ngsministe­r Mariusz Blaszczak. Vizeaußenm­inister Szymon Szynkowski vel Sek hatte zuvor im „Spiegel“von einem „Täuschungs­manöver“Deutschlan­ds gesprochen.

Aus dem deutschen Verteidigu­ngsministe­rium heißt es, dass Polen schon in einer frühen Phase der Verhandlun­gen 100 verfügbare Panzer vom Typ Leopard 1 in gutem Zustand angeboten worden seien. Warschau habe diese jedoch als zu alt abgelehnt. Beide von Deutschlan­d angebotene­n Leopard-varianten sind älterer Bauart. Der erste Prototyp des Kampfpanze­rs Leopard 1 stammt aus dem Jahr 1963, der erste Leopard 2A4 wurde 1979 an die Bundeswehr ausgeliefe­rt. Die modernste Version ist der 2A7+ aus dem Jahr 2010.

Die Bundeswehr selbst sieht sich nicht in der Lage, Panzer aus ihren Beständen im Zuge eines „Ringtausch­s“abzugeben. Das Gerät müsse aus den Lagern der Industrie kommen, hieß es. Dem Vernehmen nach laufen Gespräche zwischen Bundesregi­erung, Industrie, Zulieferer­n und den Partnern darüber, wann welche Panzer weitergege­ben werden können.

Aus dem Kanzleramt kommen bisher keinerlei Signale, dass die direkte Lieferung von Panzern eine Option sein könnte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat bisher stets darauf verwiesen, dass Deutschlan­d nicht im Alleingang neue Waffengatt­ungen bereitstel­len werde. „Wir orientiere­n uns immer bei dem, was wir machen, an den Lieferunge­n der Verbündete­n, insbesonde­re den USA. Und das werden wir auch weiter tun“, hatte Scholz beim Natogipfel gesagt. Bisher hat kein Natoverbün­deter Kampfpanze­r westlicher Bauart an die Ukraine geliefert – auch die USA nicht.

Entlastung gab es bei der Lieferung von Luftabwehr­panzern. Am Montag trafen die ersten drei von 15 Gepard-panzern der Bundeswehr in der Ukraine ein, die im Juli geliefert werden sollten. Dazu seien auch mehrere Zehntausen­d Schuss Munition übergeben worden, erklärte der ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­r Olexij Resnikow. Insgesamt sollen bis Ende August 30 Geparden verschickt werden.

Unser derzeitige­r Bestand an Leopard-2-panzern beträgt nur rund zehn Prozent dessen, was wir noch gegen Ende des Kalten Kriegs besessen haben.

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Außenpolit­ischer Sprecher der Spd-bundestags­fraktion PHILIPP SCHULZE / PA/DPA Ein Kampfpanze­r der Bundeswehr vom Typ Leopard 2 A7V.

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