Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Pionierehrenwort!
Vergangene Woche erreichte mich ein Brief, abgeschickt von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aus dem kulturvollen Weimar. Das fünfseitige Schreiben war, wie der Absender versicherte, von etwa 400 Ärztinnen, Ärzten, Pflegern, Schwestern sowie anderen Mitwirkenden des Gesundheitssystems unterzeichnet und richtete sich an den Ministerpräsidenten und die Sozialministerin. Aber auch ich bekam es zugesandt, um die „in brennender Sorge“übermittelte Botschaft in diese verrückt gewordene Welt zu tragen.
Nun erscheint diese Kolumne wöchentlich, weshalb ich jetzt, sorry, der Berichterstattung etwas hinterher bummele, einschließlich der, nun ja, recht unamüsierten Reaktionen von Ministerin und Kammern. Trotzdem seien hier noch einmal die Forderungen genannt.
Als da wären: Die Aufklärung über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Impfungen, ein Ende der „Kommerzialisierung des Gesundheitssystems“sowie eine „angemessene Bezahlung“aller Mitarbeiter, die Einhaltung der Thüringer Verfassung und des Grundgesetzes sowie eine unabhängige Kommission, welche die Coronamaßnahmen überprüft.
Dies alles darf in Gesellschaft und Politik als halbwegs konsensfähig gelten – auch wenn noch keine Regierungspartei die Kommerzialisierung aufgehalten hat und die Gehälter trotz aller Versprechen eher niedrig bleiben. Aber immerhin, die Kommission gab es, und sie hatte keineswegs nur Freundlichkeiten für die Regierenden übrig.
Auch die zentrale Forderung des Briefes, nämlich die Rücknahme der Impfpflicht im Gesundheitsbereich, wird vom Wohlfahrtsverband, vom Krankenhausverband sowie von Ärztekammern und allen oppositionellen Landesparteien unterstützt. Derweil wirkt die Landesregierung ausgesprochen erleichtert darüber, dass sie die gesetzliche Verantwortung wahlweise auf Berlin oder die armen Gesundheitsämter abschieben kann.
Auch ich bin gegen die spezielle wie die allgemeine Impfpflicht, davon zeugen einige Kommentare und diese Kolumne. Die gesetzliche Nötigung ergibt in der derzeitigen Pandemielage wenig Sinn und schließt bloß Menschen aus. Deshalb kann ich die Klage der Briefeschreiber über die „Diskriminierung und Ausgrenzung“auch in Teilen nachvollziehen.
Ansonsten aber – und ich sage dazu: leider – ist der Brief die ungefähre Wiederholung der un- bis widerlegten Thesen, die ich zumeist an winterlichen Montagsdemoabenden hörte: Dass Impfnebenwirkungen selten bis gar nicht gemeldet würden, dass Vitamin D besser als Impfstoffe helfe, dass das Gesundheitssystem nie überlastet gewesen sei, dass „der Großteil“der Wähler die Corona-maßnahmen ablehnte... Und so weiter und so fort.
Hier machen die Briefeschreiber mit großer Verlässlichkeit genau das, was sie allen anderen so entrüstet vorwerfen: Sie blenden die Mehrzahl der Studien, die Erfahrungen vieler Kollegen und die Berichte der Institute aus, genauso wie die Wahl- und Umfrageergebnisse. Wie soll da der eingeforderte Dialog entstehen?
Am Ende des Briefes wird vom Ministerpräsidenten dies verlangt: „Setzen Sie sich endlich konsequent und mit all Ihrer Macht dafür ein, die Leitmedien und vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten eine ausgewogene und ausgleichende Berichterstattung liefern zu lassen, wie es zum Beispiel im Medienstaatsvertrag festgeschrieben ist.“
Wirklich, so steht das da: Der Ministerpräsident soll die Medien bitteschön „liefern lassen“. Was „ausgewogen und ausgleichend“ist, legt dann sicher er oder jemand anderes Kundiges fest. Vielleicht hat ja auch ein gewisser beurlaubter Oberstudienrat ein paar Ideen.
Natürlich, ich könnte jetzt die ernsthafte Lektüre von Staatsverträgen und Mediengesetzen empfehlen, zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien differenzieren oder darüber nachsinnen, warum oft genau jene, die am lautesten Ausgewogenheit einfordern, am stärksten polarisieren. Oder ich könnte es mir so richtig einfach machen und auf Artikel 5 des Grundgesetzes verweisen. Hieß es nicht im Brief, die Verfassung müsse „kompromisslos eingehalten“werden?
Aber nein, das geht ja nicht. Denn ich muss fortan auf die Tageslosung aus der Staatskanzlei warten, um danach die ebenso ausgewogene wie ausgeglichene Nachricht zu liefern, dass die Impfpflicht auch für verfassungsgeschulte Fachärzte aus Weimar eine prima Sache ist.
Großes Pionierehrenwort!