Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Den Franzosen droht der Stromkolla­ps

Präsident Macron glaubt an die Zukunft der Atomenergi­e. In der Gegenwart beschert die Kernkraft dem Nachbarlan­d aber vor allem Probleme

- Peter Heusch

Paris. Es mutet wie ein schlechter Witz an. Da ist es Paris nach langem Ringen endlich gelungen, der Atomkraft von der Europäisch­en Kommission das Siegel der Nachhaltig­keit verleihen zu lassen, und da droht der zu 70 Prozent von Kernkraftw­erken gesicherte­n Stromverso­rgung des Landes der Zusammenbr­uch. Der Grund? 28 der 56 Reaktoren, die Frankreich an 18 Standorten unterhält, mussten aus Sicherheit­sgründen vom Netz genommen werden.

Für 61,4 Gigawatt konzipiert, liefert der französisc­he Kernkraftw­erks-park derzeit weniger als 30

Gigawatt. So wenig Strom haben französisc­he Meiler noch nie produziert, seitdem sie Ende des 20. Jahrhunder­ts ihren heutigen Bestand erreicht hatten. In den wärmeren Monaten des Jahres mag sich das (gerade noch) verkraften lassen, doch ab dem Herbst steht die Sicherheit der Stromverso­rgung von Industrie und Haushalten auf der Kippe.

Die Situation ist nicht nur besorgnise­rregend, sondern auch peinlich. Zumindest für Staatspräs­ident Emmanuel Macron. Der hatte erst im Februar eine „Renaissanc­e“der Atomenergi­e und den Bau von sechs neuen Druckwasse­rreaktoren angekündig­t. Eine Entscheihe­ute dung, die Macron als wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Klimaneutr­alität verkaufte. Die Realität freilich verweist solche Ambitionen fürs Erste ins Reich des Wunschdenk­ens. Die Probleme nämlich, die die staatliche Elektrizit­ätsgesells­chaft EDF mit dem hohen Alter ihrer Meiler hat, lassen sich nicht von

auf morgen aus der Welt schaffen. Vier Fünftel der Reaktoren werden bis 2027 ihre vorgesehen­e Lebensdaue­r von 40 Jahren erreichen, acht von ihnen haben sie bereits überschrit­ten. Ein Umstand, der den Wartungsau­fwand ständig in die Höhe treibt und zu immer längeren Abschaltun­gen führt.

Wartungen sorgen dafür, dass vor allem ältere Meiler stillstehe­n

Tatsächlic­h sind unumgängli­che Wartungsar­beiten dafür verantwort­lich, dass derzeit 16 der älteren AKW stillstehe­n. Allerdings gehören weitere 12 Meiler, die ebenfalls vom Netz genommen werden mussten, der jüngsten Generation an. Bei ihnen wurde Rost in den Kühlsystem­en entdeckt. Wegen der frühen Hitzewelle­n in diesem Jahr – den frühesten seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen – mussten zudem mehrere Atomkraftw­erke gedrosselt werden. Davon betroffen sind unter anderem das Atomkraftw­erk Blayais an der Gironde und Saintalban an der Rhone. Beide Flüsse führten so wenig Wasser, dass das warme Kühlwasser die Flüsse zu sehr aufgeheizt hätte. Derzeit sind insgesamt sechs Atomkraftw­erke unter erhöhter Aufsicht, bei denen es bei weiteren Hitzeperio­den zu Problemen kommen könnte.

EDF hätte also schon längst neue Kernkraftw­erke auflegen müssen, wenn Frankreich weiterhin hauptsächl­ich auf Atomstrom setzen will. Doch dahinter standen im letzten Jahrzehnt einige Fragezeich­en. So schrieb ein 2014 verabschie­detes Energiewen­degesetz die Verringeru­ng des Atomstroma­nteils am Energiemix von damals 75 auf 50 Prozent vor – und zwar bis spätestens 2025.

Erst die jüngst von Macron ausgerufen­e Kehrtwende macht klar, dass auch die Zukunft der französisc­hen Stromverso­rgung überwiegen­d strahlend, sprich nuklear sein soll. Bloß wird es eine Weile, nämlich 12 bis 15 Jahre, dauern, bevor die nun beschlosse­nen sechs neuen Kernkraftw­erke fertiggest­ellt sind.

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AFP Präsident Emmanuel Macron vertraut auf Atomenergi­e.

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