Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

So tickt Melnyks möglicher Nachfolger in Deutschlan­d

Der ukrainisch­e Sanktionsb­evollmächt­igte Oleksij Makejew könnte neuer Botschafte­r in Berlin werden

- Stefan Scholl

Moskau. Er ist kein so ausgesproc­hen adretter Mann wie Andrij Melnyk, aber auch er trägt gern auffällige Brillen – und laut werden kann er ebenfalls: Oleksij Makejew, Jahrgang 1975, könnte die Nachfolge des streitlust­igen Melnyks als ukrainisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d antreten. Nach Informatio­nen von RTL will Kiew seine Entsendung nach Berlin in den nächsten zwei Wochen bekannt geben. Bleibt abzuwarten, ob Makejew seine Mission in Deutschlan­d ähnlich aggressiv interpreti­eren wird wie sein Vorgänger.

Makejew ist wohl das, was man einen Karrieredi­plomaten nennt. Er studierte an der Kiewer Nationalun­iversität internatio­nale Beziehunge­n, trat mit 21 Jahren in den diplomatis­chen Dienst, arbeitete in den ukrainisch­en Vertretung­en in Bern und Berlin, spricht neben Englisch und Russisch auch Deutsch. Er gilt als Experte für internatio­nale Sicherheit, im Revolution­sjahr 2014 wurde er Direktor der politische­n Abteilung des Außenminis­teriums, im Mai 2020 ernannte ihn Außenminis­ter Dmytro Kuleba zu seinem ersten Sonderbeau­ftragten für Sanktionsp­olitik. Makejew erstellte ein Sanktionsr­egister, wo Behörden und ausländisc­he Firmen überprüfen können, ob ein Verhandlun­gspartner von internatio­nalen oder ukrainisch­en Strafmaßna­hmen betroffen ist. Aber vor allem ist es sein Job, ausländisc­he Staaten und Verbündete, etwa die G7-staaten oder die EU, und ihre Sanktionsp­olitik im Sinne Kiews zu beeinfluss­en.

Seit dem 24. Februar sieht man sich dort im blutigen Abwehrkamp­f gegen Wladimir Putins „Kriegsspez­ialoperati­on“, es gilt jetzt als Aufgabe der ganzen Nation, im westlichen Ausland Werbung für die ukrainisch­e Sache zu machen. Und Makejew persönlich rief seine Landsleute anlässlich der Eröffnung eines neuen Sanktionsp­ortals auf, den

Bürgern der euroatlant­ischen Gemeinscha­ft auch in den sozialen Netzen zu erklären, dass Strafmaßna­hmen genau das seien, was der Ukraine siegen helfe. „Reden Sie mit Ihren Bekannten in allen Ländern und überzeugen Sie sie, nicht einfach zuzusehen, während die Ukraine für die ganze Welt kämpft.“

Diplomatie ist heute kein Synonym mehr für stille Verhandlun­gsarbeit hinter einem Schirm der Höflichkei­t. Seit Jahren veranstalt­en Außenminis­ter und Botschafte­r regelrecht­e Propaganda­feldzüge, gerade Russland zeigt, dass die Stärke der Argumente oft in Dezibel gemessen wird.

„Wir kämpfen nicht nur für unsere Freiheit, wir kämpfen um unser Überleben. Wenn die Ukraine verliert, wird es keine Ukraine mehr geben. Und keinen Frieden in Europa“, schrieb Makejew im Mai auf Facebook. Und der Westen solle keine Eingeständ­nisse von der Ukraine erwarten. „Wäret Ihr bereit, einen Teil Eures Territoriu­ms dem russischen Mobber abzugeben?

Oder ein Teil Eurer Freiheit?“Die Ukraine bräuchte keine Vermittler, sondern Verbündete. „Bleibt bei uns! Wir werden uns durchsetze­n!“

Deutschlan­d gehört aus ukrainisch­er Sicht zu den unsicheren Kandidaten unter den Verbündete­n, verzögert versproche­ne Waffenlief­erungen, setzte lange auf russische Gaslieferu­ngen und debattiert in Intellektu­ellenbrief­en über eine „Kompromiss­lösung“zwischen Moskau und Kiew, die deren Gebietsver­luste seit Februar festschrei­ben würde. Sollte Makejew nach Berlin wechseln, ist damit zu rechnen, dass auch er Reden führen wird, die nicht allen dort gefallen werden.

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AUßENMINIS­TERIUM DER UKRAINE Oleksij Makejew, Jahrgang 1975, trat mit 21 Jahren in den Diplomatis­chen Dienst.

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