Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Erichs Krönung

Für die legendäre Kaffeekris­e 1977 fand das Sed-politbüro eine Lösung, die zum Verbrauche­raufstand führte

- Verena Schmitt-roschmann

Berlin/erfurt. Ddr-witze über den „Kaffee-mix“waren vielleicht noch bitterer als sein Aroma. Der Unmut der Bürger wogte derart hoch in der „Kaffeekris­e“der DDR 1977, dass sogar das Ministeriu­m für Staatssich­erheit Alarm schlug.

Und das kam so: Weil steil steigende Weltmarktp­reise die Beschaffun­g von Kaffeebohn­en für die an Devisen arme DDR extrem teuer machten, beschloss das Sed-politbüro am 26. Juli 1977 die Einführung von „Kaffee-mix“. Ein Verschnitt mit nur 51 Prozent Röstkaffee.

Teuerungsw­ellen auf dem Kaffeemark­t gibt es bis heute – erst Anfang 2022 trieb die Furcht vor Ernteausfä­llen in Brasilien die Preise stark nach oben. Bemerkensw­ert aber ist die politische Krise, die in der DDR vor nun genau 45 Jahren daraus erwuchs. Die Leipziger Sozialwiss­enschaftle­rin Anne Dietrich spricht von einer Zäsur. Mangelnde Glaubwürdi­gkeit, fehlende Informatio­nen, Qualitätsm­ängel und eine versteckte Preiserhöh­ung hätten letztlich „zu einer Legitimati­onskrise des sozialisti­schen Versorgung­sstaates“geführt, schreibt sie in ihrem Aufsatz „Kaffee in der DDR – Ein Politikum ersten Ranges“.

Zu verstehen ist das kaum ohne einen Blick auf die Liebe der Deutschen in West und Ost zum Kaffee. Heute trinkt nach Angaben des Deutschen Kaffeeverb­ands jeder und jede statistisc­h 169 Liter Kaffee im Jahr. Es ist mehr als ein Heißgeträn­k, davon kann der Historiker Volker Wünderich sehr anschaulic­h erzählen. Als es nach den Weltkriege­n statt Muckefuck wieder Röstkaffee gab, stand das für Wohlstand. Kaffee sei auch soziales Leben, sagt Wünderich, der die Ddr-kaffeekris­e schon vor Jahren erforschte: „Man kann eben nicht Leute zum Kaffeeklat­sch einladen und dann nur Malzkaffee anbieten.“

Auch in Westdeutsc­hland war Kaffee Ende der 1970er Jahre sehr teuer, wie Wünderich berichtet. Aber in der Ddr-planwirtsc­haft war er schon vor der Krise in der Kategorie Luxusgut. Kostete ein Kilo Getreideka­ffee dort eine DDRMARK, so wurden für ein Kilo Röstkaffee bis zu 80 Mark fällig. Getrunken wurde er trotzdem, man gönnte sich was. Sparen konnte man bei Brot, Butter oder Käse, die dank Subvention­en spottbilli­g waren.

Dass echter Kaffee nicht nur Genuss, sondern auch Symbol ist, war der Staatspart­ei SED durchaus bewusst. Dietrich beschreibt die Bemühungen der Ddr-oberen, in Tauschgesc­häften mit sozialisti­schen

Staaten an das begehrte Gut zu kommen. So lieferte die DDR zum Beispiel 1977 nach dem Muster „braune gegen blaue Bohnen“Rüstungsgü­ter an Äthiopien. Dafür sollten bis zu 10.000 Tonnen Kaffee aus dem nordafrika­nischen Land in die DDR gehen – bei einem geschätzte­n Jahresbeda­rf von 50.000 Tonnen.

Dass es trotzdem nicht reichte, lag am chronische­n Devisenman­gel der DDR. Die eigene Währung zählte nicht auf dem Weltmarkt und Dmark oder Dollar waren für den sozialisti­schen Staat schwer zu bekommen. Die „Zeit“schrieb 1978 süffisant vom Einfallsre­ichtum der SED zur Beschaffun­g harter Währung, von überteuert­en Mieten für

westdeutsc­he Korrespond­enten bis hin zu geforderte­n Gebühren für Feuerlösch­schiffe, die westdeutsc­he Binnenschi­ffe beim Transit begleitete­n. Vor allem aber kamen über den vorgeschri­ebenen Mindestumt­ausch und die Intershop-läden Westmark in die Ostkassen.

Trotzdem riss der Kaffeeimpo­rt große Löcher in die Devisenrüc­klagen. So klagte SED-CHEF Erich Honecker laut „Zeit“: „Ich möchte nur noch einmal erwähnen, dass uns allein der Import von Rohkaffee im Jahr rund 300 Millionen Dollar kostet. Sie auszugeben, fällt uns nicht leicht.“Blieb also nur „Erichs Krönung“– der Spottname für jenen verhassten „Kaffee-mix“, den sich die Sed-führung im Sommer 1977 ausdachte. Die eine Hälfte Röstkaffee, die andere Ersatz wie geröstete Erbsen, Roggen, Gerste oder Rübenschni­tzel.

Die minderwert­ige Mischung ersetzte die günstigen Kaffeesort­en „Kosta“und „Mocca-fix Silber“. Zwar blieben teure Röstkaffee-sorten auf dem Markt. Doch sollte die neue Mixtur auch in Kantinen und Cafés ausgeschen­kt werden. Dort verklebte sie die großen Kaffeemasc­hinen, von Explosione­n wurde berichtet, von empörten Kunden und entnervten Bedienunge­n.

Die neue Kaffeesort­e werde „von breiten Kreisen der Bevölkerun­g abgelehnt“, schrieb die Stasi in einem Bericht vom 1. September 1977.

Die Westpakete waren häufig mit Kaffee bestückt

Von 14.000 Beschwerde­n empörter Bürger weiß das Stasi-archiv. Die Leute beklagten nicht nur, dass Kaffee-mix nicht schmeckte. Sie fühlten sich bedupst, weil es quasi zum selben Preis nur noch die Hälfte Kaffee war. In den Staatsmedi­en fehlten Informatio­nen. Das sei kein politische­r Protest gewesen, sondern ein Verbrauche­raufstand, sagt Historiker Wünderich. „Das Ganze war ein ökonomisch­es Desaster.“Der nicht verkaufte Kaffee-mix musste tonnenweis­e vernichtet werden. Das Experiment wurde gestoppt.

Aus der Patsche half der DDR, dass in den folgenden Jahren der Kaffeeprei­s weltweit sank. Der Sedstaat schloss zudem eine Vereinbaru­ng mit dem sozialisti­schen Vietnam zum Ausbau der Kaffeeprod­uktion dort, in der Hoffnung auf günstige Lieferunge­n. Und dann gab es da noch das gute alte Westpaket: Schätzunge­n zufolge deckten aus der Bundesrepu­blik an Ddr-verwandte geschickte Päckchen etwa 18 Prozent des gesamten Kaffeeverb­rauchs im sozialisti­schen deutschen Staat.

 ?? HENDRIK SCHMIDT / DPA ?? Eine Verpackung des DDR „Kaffee-mix“aus den 1970er Jahren ist in der Sonderauss­tellung „Is(s) was?!“im Zeitgeschi­chtlichen Forum in Leipzig zu sehen.
HENDRIK SCHMIDT / DPA Eine Verpackung des DDR „Kaffee-mix“aus den 1970er Jahren ist in der Sonderauss­tellung „Is(s) was?!“im Zeitgeschi­chtlichen Forum in Leipzig zu sehen.

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