Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Von den Mühen der Ebene
Ulrike Lorenz zieht Zwischenbilanz als Präsidentin der Klassik-stiftung Weimar. Probleme bei der Schloss-sanierung
Weimar. Seit Amtsantritt vor drei Jahren treibt Präsidentin Ulrike Lorenz eine grundlegende Transformation der Klassik-stiftung voran. Sie hat die interne Organisation umstrukturiert, die Aktivitäten vom Ausstellungsreigen auf neue Formate rund um ein Jahresthema – aktuell „Sprache“– gewandelt, bringt ein Sanierungsprogramm fürs Residenzschloss in dreistelliger Millionenhöhe voran und forciert die Digitalisierung der Sammlungen. Dennoch ist sie mit Deutschlands zweitgrößter Kulturstiftung noch nicht so weit, wie sie es sich wünschte. Wir sprachen mit ihr.
Skizzieren Sie bitte die Entwicklung der Besucherzahlen seit 2019!
Im Bauhaus-jahr 2019 verzeichneten wir einen Rekord von über einer Million Besuchen, im vorigen Jahr knapp 400.000. Die aktuellen Zahlen sind, wie anderswo auch, der Pandemie geschuldet. Wir haben mit Hygiene-konzepten dagegen angearbeitet und bemerken inzwischen wieder wachsenden Zuspruch. Auf der Einnahmenseite sind wir durch die Unterstützung von Land und Bund relativ gut über die Runden gekommen.
War die Besucherzahl in den 2000erund 2010er-jahren nicht höher?
Nach dem Kulturhauptstadt-effekt 1999 waren es im Schnitt 660.000. Damals war das Goethe-nationalmuseum die Cashcow, heute nimmt das Bauhaus-museum diese Rolle ein. Unsere Besucherbefragung 2019 ergab, dass wir ein überdurchschnittlich älteres und gebildetes Publikum haben. Diese Menschen kommen nur zögerlich zurück, was uns unsere Angebote überdenken lässt.
Sie haben das Konzept auf Jahresthemen mit neuen, teils frei zugänglichen Veranstaltungsformaten umgestellt. Liegt’s auch daran?
Wir evaluieren das; zuverlässige Erkenntnisse gewinnt man aber erst über längere Beobachtungsphasen hinweg. Strategisch ist es aus meiner Sicht richtig, unsere großartige Vielfalt an Angeboten unter jährlich wechselnden Leitgedanken zu bündeln und starke Gegenwartsbezüge
herzustellen. Wir wollen so eine historische Tiefendimension in heutige Diskurse einbringen. Die Resonanz auf „Neue Natur“zum Thema Klimawandel im Unescowelterbe unserer Parks war 2021 sehr positiv.
Kommt darüber die Arbeit mit den eigenen Beständen zu kurz?
Nein. Die Sinnlichkeit der authentischen
Schauplätze und Sammlungen in Weimar ist und bleibt überragend. Die wollen wir noch viel stärker miteinander verknüpfen. Wie jede Generation befragen wir unsere Originale aufs Neue, um Antworten für das Heute zu erhalten. Es ist ein Spiel voller Entdeckungen: zu erfahren, was die Alten schon gewusst und in ihren Worten überliefert haben.
Im Themenjahr „Sprache“bekommt der Held dieser Veranstaltung – Wieland – aber erst im Herbst eine neue Dauerausstellung in Oßmannstedt. Umso mehr freuen wir uns, wenn es am 2. September geschafft ist. Die Vorbereitungszeit für Jan Philipp Reemtsma, den wir als Kurator eingeladen haben, und sein Team war sehr kurz. Leider ist nicht alles Wünschenswerte schnell und einfach realisierbar. Wieland zeigt sich schon jetzt im Goethe- und Schillerarchiv und am Schloss. Im Sprachlabor auf dem Burgplatz wird er an ein breites Publikum vermittelt.
Wie kommen Sie bei den großen Sanierungsprojekten der Klassik-stiftung voran?
Die erste Bauphase im Schloss mit 40 Millionen Euro läuft – mit großer Anstrengung. Und die zweite, die aus weiteren, 2019 von Bund und Land bewilligten 100 Millionen Euro finanziert wird, ist in Planung. Dass sich die Rahmenbedingungen durch Material- und Handwerkermangel, Baukostensteigerung und Inflation stark verschlechtert haben, macht es nicht leichter. Ob wir wirklich binnen einer Dekade das gesteckte Ziel erreichen, wage ich nicht mehr zu prognostizieren.
Das Gesamtprojekt könnte sich bis in die 2030er-jahre hinziehen?
Das ist angesichts der Lage in der Bauwirtschaft nicht auszuschließen. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Anders geht’s momentan nicht.
Hat die Idee noch Bestand, dass das Schloss im „Kosmos Weimar“als Schaufenster und erster Anlaufpunkt dienen soll?
Schaufenster ja, erster Anlaufpunkt nein. Das liegt schlicht daran, dass im Kulturnetzwerk der Klassik-stiftung das Goethe-nationalmuseum und das Bauhausmuseum die starken Einfallstore sind. Das Schloss wollen wir zu einem dritten Knoten im Netzwerk, zu einem Programmort, entwickeln: mit Bildungsangeboten und Veranstaltungen im Innenhof, in der Schlosskapelle und in einem neuen Saal im Ostflügel. Wir machen das Schloss fürs Publikum spannend. In den historischen Schauräumen entsteht eine Präsentation zur Epoche der Weimarer Klassik.
Wie kriegt man das Goethe-wohnhaus barrierefrei?
Das ist die große Preisfrage! Es gibt kluge Vorschläge in einer Machbarkeitsstudie, die uns aber noch nicht intelligent genug sind. Es ist unser Ziel, mindestens für Goethes Arbeitsbereich Barrierefreiheit herzustellen, damit kein Besucher auf dieses Erlebnis verzichten und auf Surrogate zugreifen muss. Mit der Bauhaus-universität machen wir Goethes Arbeitszimmer weltweit digital begeh- und benutzbar.
Bei Amtsantritt nannten Sie das Ziel, die Klassik-stiftung durch Kooperationen international zu vernetzen. Wie ist der Stand?
Wir sind auf dem Weg. So einfach ist das nicht, wenn es nicht nur um Leihgaben, sondern um Forschungskooperationen geht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit der Wirkmacht der Klassik-stiftung schon zufrieden sind!
Sie haben recht, das bin ich definitiv nicht. Im Moment geht es darum, die Strahlkraft der Klassik-stiftung national zu erhöhen. Wir fokussieren das Fundraising aufs Goethenationalmuseum als einem Ausnahmeprojekt im deutschsprachigen Raum. Wir unternehmen erhebliche Anstrengungen im Digitalen, und wir machen auch mit unserem neuen Print-magazin deutschlandweit auf uns aufmerksam.
Wie schauen Sie auf die nächsten drei bis fünf Jahre voraus?
Wir sind dabei, flexibler und reaktionsfähiger zu werden. Dazu zählen auch unerfreuliche Themen: So entwickeln wir gerade ein Krisenmanagement für die Energiesituation in diesem Herbst. Wir haben inzwischen Solar-panels auf dem Bauhaus-museum. Darüber zu diskutieren, ob auch denkmalgeschützte Häuser einen Beitrag zur Energieproduktion leisten, ist nicht verboten. Nachhaltig sind wir in der Denkmalpflege sowieso!
Wie geht’s denn Ihnen persönlich nach drei Jahren Weimar? Ist Ihr Enthusiasmus abgekühlt?
Nein, ganz und gar nicht. Ich fühle mich in den Mühen der Ebene angekommen. Den Enthusiasmus spornt das sogar an.