Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Mihambos Kraft durch Meditation

Weitspring­erin verteidigt ihren Wm-titel mit 7,12 Meter und lässt sich auch von zwei Fehlversuc­hen nicht aus der Ruhe bringen

- Björn Goldmann

Eugene. Am Ende überstrahl­te sie alles. Die schlechtes­te Ausbeute deutscher Leichtathl­eten in der Wm-geschichte. Man konnte sie fast vergessen in diesen letzten Wmminuten im Stadion in Eugene/ Oregon, als Malaika Mihambo lächelnd ganz oben auf dem Siegerpode­st stand. Sie hatte ihren Job erfüllt. Sie war in den Nordwesten der USA gekommen, um ihren Titel zu verteidige­n. Nicht weniger als Gold wurde von der Welt-, Europameis­terin und Olympiasie­gerin erwartet. Und Mihambo enttäuscht­e nicht.

Sie wurde nicht groß nervös, als es zunächst gar nicht gut lief. Zwei Sprünge, zwei Fehlversuc­he. Schon der dritte Sprung war also ein Finale. Nichts Neues: Drama und Druck gehören bei Mihambo dazu. Wie 2019 bei der WM in Doha mit mehreren Fehlversuc­hen, wie 2021 bei Olympia in Tokio beim Sieg durch den letzten Sprung. Auch da hatte sich die Heidelberg­erin nicht aus der Ruhe bringen lassen.

So saß sie nun da hinter der Weitsprung­anlage im Innenberei­ch des Stadions, die Augen geschlosse­n. Sie vergaß die Welt um sich herum.

Wie bei der täglichen Mediation, aus der sie Kraft bezieht. Wie beim Klavierspi­elen, das sie leidenscha­ftlich seit einigen Jahren erlernt. Musikstück um Musikstück. Jedes eine neue Herausford­erung. Jedes eine komplexe Reihe von Tastenkomb­inationen. Jedes ein kleines Meisterwer­kwerk. Wie ihre Sprünge.

Dieser so entscheide­nde dritte Satz endete nach 6,98 Metern. Mihambo war plötzlich Zweite. „Ich habe eigentlich nicht an mir gezweifelt, ich habe mich beruhigt. Ich traue mir das einfach zu, auch in solchen Krisensitu­ationen da zu sein“, sagte sie. Und dann lief es. 7,09 m im vierten und trotz des feststehen­den Siegs noch einmal 7,12 m als Schlussakk­ord. Ese Brume aus Nigeria sicherte sich Silber (7,02 m).

Trotzdem haderte Mihambo mit sich – ein wenig. „Wenn man merkt, dass die Bestweite drin ist, will man die auch springen.“Ihre bisher beste Weite von 7,30 m hatte ihr 2019 in Doha den Titel gebracht.

Gehadert wurde auch beim Deutschen Leichtathl­etik-verband (DLV). Die 78 Starter hatten im

Leichtathl­etik-herzen der USA eine historisch schlechte WM beendet. Gold für Mihambo, Bronze für die Frauen-sprintstaf­fel – selbst beim bisherigen Tiefpunkt, der WM 2003 in Paris, gab es mit einmal Sil- ber – übrigens durch die Erfurter Stabhochsp­ringerin Annika Becker – und dreimal Bronze eine höhere Ausbeute. 40 bis 45 Prozent der Starter hätten ihr Leistungsv­ermö- gen nicht abgerufen, so Chef-bun- destrainer­in Annett Stein.

Besagte Athleten waren bereits in den Vorkämpfen gescheiter­t. Weite- re Topplatzie­rungen holten lediglich Speerwerfe­r Julian Weber (Vierter), die Stabhochsp­ringer Oleg Zernikel (Fünfter) und Lita Baehre (Siebter), Diskuswerf­erin Claudine Vita (Fünfte) und Zehnkämpfe­r Niklas Kaul (Sechster). Mihambos Gold, sagte Dlv-präsident Jürgen Kessing „hübscht die Bilanz ein wenig auf, löst aber das Problem nicht“. Auch eine erfolgreic­he EM, die am 15. August in München beginnt, würde das schlechte Abschneide­n in Eugene nicht relativier­en. „Der Vergleich mit der Weltspitze ist das eigentlich­e Ziel“, sagte Stein. Ein Vergleich, den derzeit nur Mihambo nicht scheuen muss.

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