Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Bäume ohne Kronen

Die Region um den Kyffhäuser gilt als die trockenste in Thüringen. Geschädigt sind dort vor allem die Buchen

- Gerald Müller

Sondershau­sen. An den Sohlen der grünen Gummistief­el haftet Dreck. „Der dürfte vom Anfang des Jahres sein“, sagt Uli Klüßendorf und bringt das Schuhwerk wieder zum Büro-schrank im Forstamt Sonderhaus­en. Das leitet der gebürtige Kahlaer, der in Jena aufgewachs­en ist, seit 1995. „Die Stiefel habe ich seit Januar nicht mehr gebraucht. Früher waren sie auch zu dieser Jahreszeit wegen des feuchten Waldbodens, des sumpfigen Geländes oder der zahlreiche­n Tümpel unentbehrl­ich.“Doch jetzt könne man eigentlich in Badelatsch­en die Wege ablaufen.

Sein Forstamt betreut mit 45 Mitarbeite­rn rund 25.000 Hektar; diese schließen die Hainleite, die Hohe Schrecke, den Bereich um den Kyffhäuser oder Orte wie Artern und Heldrungen mit ein. Die Region gilt als die trockenste im Freistaat und leidet somit auch am meisten unter dem fehlenden Regen. Wobei inzwischen sogar der Thüringer Wald die Auswirkung­en der Trockenhei­t zu spüren bekommt, obwohl dort noch vergleichs­mäßig viel Niederschl­ag fällt.

Dagegen ist im Bereich zwischen Südharz und Thüringer Becken das Defizit überall riesig, die Speicher – so Boden-messungen in den jeweiligen Stationen – sind in einem Meter Tiefe vollkommen leer. „Normalerwe­ise hätten bis jetzt bei uns etwa 350 Liter pro Quadratmet­er fallen müssen, wir haben nicht mal 200 erreicht“, sagt der Forstchef, als er in seinen Jeep steigt und „für ein einigermaß­en Gleichgewi­cht in der Natur“von mindestens „zwei Monaten Landregen in der Vegetation­speriode“träumt.

Den würde auch die Landwirtsc­haft gut gebrauchen können. Die, so Uli Klüßendorf, könne mit einer relativ kurzfristi­gen Änderung der Fruchtfolg­e die Schäden aber zumindest lindern. Deshalb seien gerade jetzt auch viele Sonnenblum­enfelder zu sehen, zudem würden Sojabohnen vermehrt angebaut werden.

Links und rechts des idyllische­n Waldweges sprießen derweil die Pflanzen grün, auf den ersten Blick deutet scheinbar nichts auf ein Baumsterbe­n hin, weil auch Kahlfläche­n oder vertrockne­te Fichten nicht zu sehen sind. „Wir haben sie schon seit Jahren kaum noch im Revier, weil sie durch die Dürre fast alle abgestorbe­n sind. Fallen für den Borkenkäfe­r benötigen wir jedenfalls nicht mehr.“Aktuell kämpfe

man viel mehr gegen die Schäden im Mischwald an.

Plötzlich stoppt Klüßendorf und zeigt in Richtung blauem Himmel, zu lichten oder gar nicht mehr vorhandene­n Kronen von Buchen, die mehr als 60 Prozent der bewaldeten Fläche ausmachen. „Manchmal verlieren 30 Meter hohe und über 160 Jahre alte Bäume, die im Mai noch vital erschienen sind, innerhalb von wenigen Tagen ihre Äste und brechen zusammen“, beschreibt der Diplom-forstingen­ieur die Auswirkung von fehlender Wasservers­orgung. Die Situation sei dann auch für Spaziergän­ger eine Gefahr, „auf die wir immer wieder hinweisen müssen“.

Und das Holz würde leider schnell den Prozess der Zersetzung erreichen. „Enorm bitter“, denn es sei auf dem Markt für das Bauen und Verbrennen sehr gefragt. „Die Einschlags­menge ist inzwischen halbiert, insofern gehen uns auch reichlich Einnahmen verloren“, berichtet der 60-Jährige. Die Buche, so die Einsicht aus den letzten Jahren, sei jedenfalls in dieser Region am Limit und höchstens für das Mittelgebi­rge geeignet.

Dennoch will Uli Klüßendorf keine Untergangs­stimmung für den

Wald verbreiten. „Wir werden trotz des Klimawande­ls in naher Zukunft keine Steppe wie vielleicht in den südlichen Ländern haben.“Der Wald wird allerdings ein anderer sein, vielleicht sogar mit mehr Artenvielf­alt. 300.000 Eichen wurden gepflanzt, sie gelten als Hoffnungst­räger,

sind enorm widerstand­sfähig und holen sich das Wasser aus drei Metern Tiefe.

Der Umbau des Waldes, zu dem auch Douglasie, Tanne, Esche, Ahorn oder Vogelkirsc­he beitragen sollen, brauche jedoch Geduld und Zeit – mehrere Jahrzehnte, schätzt

Uli Klüßendorf. Spannend findet er in diesem Zusammenha­ng, wie sich die unterschie­dlichen Ziele, die es ja auch politisch gibt, in der Bewahrung des Waldes verbinden lassen.

Und insgeheim hofft er, vielleicht auch mal im Juli wieder Gummistief­el gebrauchen zu müssen.

 ?? GERALD MÜLLER ?? Forstamtsl­eiter Uli Klüßendorf auf einer abgestorbe­nen Buche, nahe dem Rondell in der Hainleite.
GERALD MÜLLER Forstamtsl­eiter Uli Klüßendorf auf einer abgestorbe­nen Buche, nahe dem Rondell in der Hainleite.
 ?? ?? Die Dürre hat in Thüringen in den vergangene­n Jahren bis Juli 2022 dramatisch zugenommen.
Die Dürre hat in Thüringen in den vergangene­n Jahren bis Juli 2022 dramatisch zugenommen.

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