Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Widerstand gegen Habecks Homeoffice-plan
Der Wirtschaftsminister hofft auf Energiespareffekte – doch die Gewerkschaften sehen Probleme für Arbeitnehmer
Berlin. Auf Büroangestellte könnte ein weiterer Winter am Schreibtisch zu Hause zukommen. War es in den vergangenen beiden Jahren die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus, die viele Beschäftigte ins Homeoffice brachte, könnte es im kommenden Herbst und Winter das knappe Gas sein.
Die Idee kursiert seit einigen Wochen, seitdem klar ist, dass im Winter so viel Gas gespart werden muss wie nur möglich. Homeoffice könnte dazu beitragen, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Die Energiebilanz sei dann positiv, wenn in den Büros nicht geheizt werde und zu Hause „Räume genutzt werden, die sowieso geheizt werden“. Die Büros, so der Gedanke, könnten dann heruntergekühlt werden, der Gasverbrauch würde sinken. Denselben Zweck würden Betriebsferien erfüllen – wenn zum Beispiel über Weihnachten alle Beschäftigten eines Unternehmens gleichzeitig freihaben, können die Büroräume in dieser Zeit kalt bleiben.
Tatsächlich könnte mehr Arbeit zu Hause dazu beitragen, den Energieverbrauch zu senken, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin – nicht nur Gas, sondern auch Strom könnte so gespart werden. Höherer Energieverbrauch zu Hause stünde dabei auch der Energie gegenüber, die durch die wegfallenden Arbeitswege eingespart werde. „Studien schätzen,
dass bis zu 5 Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden können, wenn im Homeoffice gearbeitet wird“, sagte Kemfert unserer Redaktion. Daher sei es durchaus sinnvoll, möglichst flexible Homeofficevarianten anzubieten, und auch zu bestimmten Zeiten, in denen Energie eingespart werden muss, mehr Homeoffice verstärkt zu nutzen.
Die Arbeitgeber lehnen verpflichtende Vorgaben ab
Flexibilität wünschen sich auch die Arbeitgeber. Manche Unternehmen liebäugeln schon seit einigen Wochen mit dem Gedanken, die Gasrechnung zu senken, indem die Mitarbeitenden zu Hause bleiben. Laut darüber nachgedacht hatte zum Beispiel Henkel-chef Carsten Knobel. Und beim Automobilzulieferer Elring-klinger habe man schon im April entschieden, dass die Raumtemperatur ab jetzt nur noch 18 Grad betrage, sagte Vorstandschef Stefan Wolf. „Es ist nicht dramatisch, einen Pullover mehr anzuziehen“, sagt Wolf, gleichzeitig Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, unserer Redaktion. „In der jetzigen Situation ist Solidarität gefragt.“Die Mittelstandsvereinigung wies darauf hin, dass Homeoffice auch Energie im Verkehr spart.
Doch verpflichtende Vorgaben des Staates, wie es sie zur Pandemiebekämpfung zum Teil gab, lehnen die Arbeitgeber ab. „Unternehmen, Beschäftigte, Betriebsräte und Tarifvertragsparteien haben bisher immer vernünftige und an die Bedürfnisse
von Unternehmen und Beschäftigten angepasste Lösungen gefunden“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Bundesregierung und Gesetzgeber braucht es dafür nicht.“Angesichts der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges sei es auch „richtig und notwendig“, über die Regeln zur Kühlung und Beheizung in den Betrieben und Büros nachzudenken.
Aktuell regelt das Arbeitsrecht unterschiedliche Mindesttemperaturen am Arbeitsplatz, je nachdem, ob Beschäftigte vorrangig sitzen oder gehen und wie körperliche schwer die verlangte Tätigkeit ist. Büroräume müssen auf mindestens 20 Grad geheizt sein.
Bei den Arbeitnehmervertretern befürchtet man unterdessen, dass am Ende Arbeitnehmer die Rechnung zahlen. „Energienot darf nicht dazu führen, dass Homeoffice dazu genutzt wird, Kosten für Arbeit – dazu gehört das Heizen der Arbeitsstätten – auf die Beschäftigten zu verlagern“, sagte Dgb-vorstandsmitglied Anja Piel unserer Redaktion. Homeoffice könne nur ein
kleiner Baustein zum Energiesparen sein und funktioniere auch nur, wenn es für die Beschäftigten freiwillig ist und mit klaren Vereinbarungen, erklärte die Gewerkschaftsvertreterin.
Betriebe hätten an anderer Stelle noch ungenutzte Potenziale, um Energieverbrauch zu senken, findet sie, etwa mit energetischer Sanierung oder in der Arbeitsorganisation. „Beschäftigten Frieren oder dicke Pullover zu verordnen und ihnen einseitig die Lasten der aktuellen Krise zuzuschieben, geht jedenfalls nicht“, erklärte Piel. Auch die Debatte über ein Absenken der Temperaturen in Betrieben und Büros hält sie für „wenig zielführend“. Flexible Richtwerte für die untere Temperaturgrenze gebe es bereits.
Politik bleibt nicht viel übrig, als sich auf Appelle zu beschränken
In jedem Fall sind Firmen, die per Homeoffice Gas einsparen wollen, auf die Kooperation ihrer Mitarbeitenden angewiesen. Denn zur Arbeit zu Hause verpflichten können sie die Belegschaft nicht, sagt Pascal Croset, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Bei freiwilligen Vereinbarungen seien in vielen Unternehmen Pauschalen üblich, mit denen Mehrkosten für die Angestellten ausgeglichen werden, sagt er. „Das sind häufig 40 Euro im Monat, für Heizen, Strom und Wasser.“Einen Anspruch darauf gibt es allerdings nicht.
Und anders als im Rahmen der Corona-schutzmaßnahmen kann auch die Bundesregierung nicht einfach
Gassparen per Heimarbeit anordnen. Denn die Homeoffice- Pflicht in der Pandemie, die bis zu diesem Frühjahr galt, hatte ihre Grundlage im Infektionsschutzge- setz. Eine vergleichbare Regelung zum Gassparen existiert aber nicht – jedenfalls im Moment. „Man müsste ein entsprechendes Gesetz machen, das die Arbeitgeber dazu verpflichtet, Homeoffice anzubieten, wo es geht“, sagt Arbeitsrechtsexperte Croset. Ob das dann allerdings wirksam wäre, ist offen. „Es müsste hohen Anforderungen genügen, mindestens so hoch wie das Infektionsschutzgesetz“, erklärt der Jurist.
Aktuell bleibt der Politik daher nicht viel übrig, als sich auf Appelle zu beschränken – und mit gutem Beispiel voranzugehen, wie zum Beispiel in Baden-württemberg. Dort hat sich die Landesregierung unter der Überschrift „Baden-württemberg rückt zusammen“einen Fünf-punkte-plan zum Gassparen verordnet. Unter anderem soll es standardmäßig in Behörden und Einrichtungen des Landes kein war- mes Wasser mehr in den Sanitärein- richtungen geben und die Tempera- tur in den Büros soll abgesenkt wer- den auf das gesetzliche Minimum. Gleichzeitig will sich das Land da- für starkmachen, dass dieses noch weiter sinkt, nämlich auf 18 Grad für Bürotätigkeiten. Und auch das Homeoffice will die Landesregie- rung nutzen – nach Möglichkeit sol- len ganze Gebäude geschlossen und unbeheizt bleiben, weil die Beleg- schaft zu Hause ist.
Es ist nicht dramatisch, einen Pullover mehr anzuziehen. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, ist für eine Absenkung der Raumtemperatur.