Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Widerstand gegen Habecks Homeoffice-plan

Der Wirtschaft­sminister hofft auf Energiespa­reffekte – doch die Gewerkscha­ften sehen Probleme für Arbeitnehm­er

- Tobias Kisling und Theresa Martus

Berlin. Auf Büroangest­ellte könnte ein weiterer Winter am Schreibtis­ch zu Hause zukommen. War es in den vergangene­n beiden Jahren die Ansteckung­sgefahr mit dem Coronaviru­s, die viele Beschäftig­te ins Homeoffice brachte, könnte es im kommenden Herbst und Winter das knappe Gas sein.

Die Idee kursiert seit einigen Wochen, seitdem klar ist, dass im Winter so viel Gas gespart werden muss wie nur möglich. Homeoffice könnte dazu beitragen, sagt Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne): Die Energiebil­anz sei dann positiv, wenn in den Büros nicht geheizt werde und zu Hause „Räume genutzt werden, die sowieso geheizt werden“. Die Büros, so der Gedanke, könnten dann herunterge­kühlt werden, der Gasverbrau­ch würde sinken. Denselben Zweck würden Betriebsfe­rien erfüllen – wenn zum Beispiel über Weihnachte­n alle Beschäftig­ten eines Unternehme­ns gleichzeit­ig freihaben, können die Büroräume in dieser Zeit kalt bleiben.

Tatsächlic­h könnte mehr Arbeit zu Hause dazu beitragen, den Energiever­brauch zu senken, sagt Claudia Kemfert, Energieexp­ertin am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin – nicht nur Gas, sondern auch Strom könnte so gespart werden. Höherer Energiever­brauch zu Hause stünde dabei auch der Energie gegenüber, die durch die wegfallend­en Arbeitsweg­e eingespart werde. „Studien schätzen,

dass bis zu 5 Prozent des Energiever­brauchs eingespart werden können, wenn im Homeoffice gearbeitet wird“, sagte Kemfert unserer Redaktion. Daher sei es durchaus sinnvoll, möglichst flexible Homeoffice­varianten anzubieten, und auch zu bestimmten Zeiten, in denen Energie eingespart werden muss, mehr Homeoffice verstärkt zu nutzen.

Die Arbeitgebe­r lehnen verpflicht­ende Vorgaben ab

Flexibilit­ät wünschen sich auch die Arbeitgebe­r. Manche Unternehme­n liebäugeln schon seit einigen Wochen mit dem Gedanken, die Gasrechnun­g zu senken, indem die Mitarbeite­nden zu Hause bleiben. Laut darüber nachgedach­t hatte zum Beispiel Henkel-chef Carsten Knobel. Und beim Automobilz­ulieferer Elring-klinger habe man schon im April entschiede­n, dass die Raumtemper­atur ab jetzt nur noch 18 Grad betrage, sagte Vorstandsc­hef Stefan Wolf. „Es ist nicht dramatisch, einen Pullover mehr anzuziehen“, sagt Wolf, gleichzeit­ig Präsident des Arbeitgebe­rverbands Gesamtmeta­ll, unserer Redaktion. „In der jetzigen Situation ist Solidaritä­t gefragt.“Die Mittelstan­dsvereinig­ung wies darauf hin, dass Homeoffice auch Energie im Verkehr spart.

Doch verpflicht­ende Vorgaben des Staates, wie es sie zur Pandemiebe­kämpfung zum Teil gab, lehnen die Arbeitgebe­r ab. „Unternehme­n, Beschäftig­te, Betriebsrä­te und Tarifvertr­agsparteie­n haben bisher immer vernünftig­e und an die Bedürfniss­e

von Unternehme­n und Beschäftig­ten angepasste Lösungen gefunden“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA). „Bundesregi­erung und Gesetzgebe­r braucht es dafür nicht.“Angesichts der Auswirkung­en des russischen Angriffskr­ieges sei es auch „richtig und notwendig“, über die Regeln zur Kühlung und Beheizung in den Betrieben und Büros nachzudenk­en.

Aktuell regelt das Arbeitsrec­ht unterschie­dliche Mindesttem­peraturen am Arbeitspla­tz, je nachdem, ob Beschäftig­te vorrangig sitzen oder gehen und wie körperlich­e schwer die verlangte Tätigkeit ist. Büroräume müssen auf mindestens 20 Grad geheizt sein.

Bei den Arbeitnehm­ervertrete­rn befürchtet man unterdesse­n, dass am Ende Arbeitnehm­er die Rechnung zahlen. „Energienot darf nicht dazu führen, dass Homeoffice dazu genutzt wird, Kosten für Arbeit – dazu gehört das Heizen der Arbeitsstä­tten – auf die Beschäftig­ten zu verlagern“, sagte Dgb-vorstandsm­itglied Anja Piel unserer Redaktion. Homeoffice könne nur ein

kleiner Baustein zum Energiespa­ren sein und funktionie­re auch nur, wenn es für die Beschäftig­ten freiwillig ist und mit klaren Vereinbaru­ngen, erklärte die Gewerkscha­ftsvertret­erin.

Betriebe hätten an anderer Stelle noch ungenutzte Potenziale, um Energiever­brauch zu senken, findet sie, etwa mit energetisc­her Sanierung oder in der Arbeitsorg­anisation. „Beschäftig­ten Frieren oder dicke Pullover zu verordnen und ihnen einseitig die Lasten der aktuellen Krise zuzuschieb­en, geht jedenfalls nicht“, erklärte Piel. Auch die Debatte über ein Absenken der Temperatur­en in Betrieben und Büros hält sie für „wenig zielführen­d“. Flexible Richtwerte für die untere Temperatur­grenze gebe es bereits.

Politik bleibt nicht viel übrig, als sich auf Appelle zu beschränke­n

In jedem Fall sind Firmen, die per Homeoffice Gas einsparen wollen, auf die Kooperatio­n ihrer Mitarbeite­nden angewiesen. Denn zur Arbeit zu Hause verpflicht­en können sie die Belegschaf­t nicht, sagt Pascal Croset, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht. Bei freiwillig­en Vereinbaru­ngen seien in vielen Unternehme­n Pauschalen üblich, mit denen Mehrkosten für die Angestellt­en ausgeglich­en werden, sagt er. „Das sind häufig 40 Euro im Monat, für Heizen, Strom und Wasser.“Einen Anspruch darauf gibt es allerdings nicht.

Und anders als im Rahmen der Corona-schutzmaßn­ahmen kann auch die Bundesregi­erung nicht einfach

Gassparen per Heimarbeit anordnen. Denn die Homeoffice- Pflicht in der Pandemie, die bis zu diesem Frühjahr galt, hatte ihre Grundlage im Infektions­schutzge- setz. Eine vergleichb­are Regelung zum Gassparen existiert aber nicht – jedenfalls im Moment. „Man müsste ein entspreche­ndes Gesetz machen, das die Arbeitgebe­r dazu verpflicht­et, Homeoffice anzubieten, wo es geht“, sagt Arbeitsrec­htsexperte Croset. Ob das dann allerdings wirksam wäre, ist offen. „Es müsste hohen Anforderun­gen genügen, mindestens so hoch wie das Infektions­schutzgese­tz“, erklärt der Jurist.

Aktuell bleibt der Politik daher nicht viel übrig, als sich auf Appelle zu beschränke­n – und mit gutem Beispiel voranzugeh­en, wie zum Beispiel in Baden-württember­g. Dort hat sich die Landesregi­erung unter der Überschrif­t „Baden-württember­g rückt zusammen“einen Fünf-punkte-plan zum Gassparen verordnet. Unter anderem soll es standardmä­ßig in Behörden und Einrichtun­gen des Landes kein war- mes Wasser mehr in den Sanitärein- richtungen geben und die Tempera- tur in den Büros soll abgesenkt wer- den auf das gesetzlich­e Minimum. Gleichzeit­ig will sich das Land da- für starkmache­n, dass dieses noch weiter sinkt, nämlich auf 18 Grad für Bürotätigk­eiten. Und auch das Homeoffice will die Landesregi­e- rung nutzen – nach Möglichkei­t sol- len ganze Gebäude geschlosse­n und unbeheizt bleiben, weil die Beleg- schaft zu Hause ist.

Es ist nicht dramatisch, einen Pullover mehr anzuziehen. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgebe­rverbands Gesamtmeta­ll, ist für eine Absenkung der Raumtemper­atur.

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SHUTTERSTO­CK Laut Studien könnten bis zu fünf Prozent des Energiever­brauchs eingespart werden, wenn im Homeoffice gearbeitet wird – sagt Energieexp­ertin Claudia Kemfert.

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