Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Immer schön flexibel bleiben
Eine zu Pandemie-beginn eröffnete Weimarer Kaffeerösterei beschäftigt inzwischen fast ein Dutzend Menschen
Weimar. Die jungenhafte Unbekümmertheit der ersten Zeit ist verflogen, die Leidenschaft indes geblieben: Die Brüder Vincent (26) und Collin Höckendorf (31), die just zu Beginn der Corona-pandemie in Weimar eine Rösterei eröffneten, haben mehr denn je Freude daran, aus fair produzierten und gehandelten Kaffeebohnen das Beste herauszuholen.
Inzwischen haben ihre Kaffees in allen Ecken Thüringens und darüber hinaus einen so guten Ruf, dass das Brüderpaar die Ansprüche an die eigene Arbeit sogar noch höhergeschraubt hat. Neuerdings überrascht es seine Kunden neben seinen Dauerbrennern alle Vierteljahre mit einer besonderen Röstung, die dann auch nur für kurze Zeit zu haben ist. Das Publikum dafür gibt es, die Schar derer, die Wert auf qualitativ hochwertigen Kaffee legen, wird allen Krisen zum Trotz eher größer als kleiner.
Für die Weimarer „Röstbrüder“, wie sie von ihren ersten Kunden getauft wurden, kann das nur gut sein. Inzwischen ernährt ihre Manufaktur nicht nur sie selbst, sondern auch vier Festangestellte und mehrere Teilzeit-mitarbeiter. Allein das ist nach nur zwei Jahren mit Lockdowns und vielen Einschränkungen eine bemerkenswerte Bilanz. Doch inzwischen gibt es zusätzlich zum Stammsitz, dessen Herzstück ein generalüberholter Probat-trommelröster von 1958 ist, auch noch eine Espresso-bar in der Weimarer Innenstadt.
Für zwei Monate, im Dezember und Januar, hatten die Röstbrüder dafür zunächst mit einem Pop-upstore eine Art Testballon in einem Laden am Herderplatz gestartet. „Das lief nicht nur sehr gut“, sagt Collin Höckendorf. „Es hat sich in dieser Zeit auch ein super Team gefunden, das genauso wie wir Bock
darauf hat, den besten Kaffee zu machen und neue Ideen umzusetzen.“Mit diesem Team wollten die Röstbrüder gern weiterarbeiten, so dass sie das Café im Frühjahr schließlich dauerhaft öffneten.
Ein Kraftakt, organisatorisch wie finanziell. „Aber zum Glück haben Freunde und Bekannte geholfen“, sagt Vincent Höckendorf, der vor
Jahren seinen damals in Weimar studierenden Bruder mit seiner Passion für handwerklich gerösteten Kaffee angesteckte. So habe sich ein Handwerker gefunden, der aus alten Museumsregalen aus Eiche die Ladeneinrichtung schreinerte. Die „eine oder andere schlaflose Nacht“hat das zweite Standbein die Brüder aber dennoch gekostet.
Collin Höckendorf: „Und wir haben in dieser Phase nicht einen freien Tag gehabt.“
Die Entscheidung für die neue Bar trafen sie trotz der massiven Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen. „Zu Beginn des Ukraine-kriegs haben wir sofort gemerkt, dass es mit der Kauflaune bergab ging“, sagt der ältere der beiden Brüder.
Doch inzwischen gönnten sich die Menschen wieder bewusst Pausen und guten Kaffee – und das „an einem Ort, an dem man mal nicht an all die Krisen denken muss“, sagt Collin Höckendorf. Er meint den sanierten Weimarer Herderplatz, den nun auch die Röstbrüder mit ihrem Angebot beleben. Mit ihren Nachbarn – Bio-laden, Bäckerei, Café und ja, auch einer weiteren Rösterei – verstehen sie sich sehr gut. Jeder finde sein Publikum, keiner nehme dem anderen etwas weg.
Für jedes Problem findet sich eine Lösung
Auch ihr Online-shop, der im Frühjahr 2020 der Not gehorchend in kürzester Zeit zum Laufen gebracht werden musste, hat sich etabliert, ihr Kaffee inzwischen sogar Eingang ins Sortiment zweier Lebensmittelmärkte gefunden. Rückblickend finden es die aus Braunschweig stammenden Höckendorfs gar nicht schlecht, dass die Pandemie sie als Existenzgründer besonders herausforderte: „Es war gut, mit diesem Projekt eine Aufgabe und immer etwas zu tun zu haben“, sagt Collin Höckendorf. „Wir haben gelernt, dass sich für jedes Problem eine Lösung findet, wenn man flexibel bleibt und nicht gleich aufgibt, sobald etwas nicht klappt.“
Ein eigenes Unternehmen erfordere Durchhaltevermögen und Willenskraft. Vor Vincent Höckendorf liegt nun eine Reise in ein Kaffeeanbaugebiet in Brasilien; den Brüdern ist es wichtig, direkten Kontakt zu Kaffeebauern zu pflegen und zu wissen, wo und unter welchen Bedingungen die Bohnen wachsen, die sie weiterverarbeiten. Das sorge für die hohe Qualität, an der sie der chaotischen Weltlage zum Trotz keine Abstriche machen wollten – und auch für eine angemessene Entlohnung der Produzenten.