Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Industrie wappnet sich gegen Erdgasmang­el

Netzbetrei­ber erfassen Einsparpot­enziale – auch mit dem Ziel einer besten Abschaltre­ihenfolge im Ernstfall

- Kristin Müller

Nordhausen. Aus Russland fließt kein Erdgas mehr nach Deutschlan­d, das Gas aus anderen Quellen reicht nicht für alle. Noch ist das ein Szenario, nicht die Realität. Doch Politik und Wirtschaft bereiten sich darauf vor.

Die Bundesnetz­agentur würde die Gasverteil­ung regeln. Im Notfall gibt sie den Netzbetrei­bern eine einzuspare­nde Erdgasmeng­e vor. Diese müssten vor Ort entscheide­n, wie dieses Ziel zu erreichen wäre. Im Südharz ist für das Kreisgebie­t Nordhausen ein Tochterunt­ernehmen der Thüringer Energie AG zuständig, in der Kreisstadt betreibt ein Tochterunt­ernehmen der Energiever­sorgung Nordhausen (EVN) das Gasnetz.

Auch um mögliche Reduzierun­gspotenzia­le zu ermitteln, hat die Nordhausen Netz Gmbh bereits ihre rund 50 Industrie- und Gewerbekun­den, die nicht zu den geschützte­n Kunden wie Krankenhäu­ser oder Pflegeheim­e zählen, angeschrie­ben. „Diese Potenziale fließen in eine Abschaltre­ihenfolge ein“, erklärt Geschäftsf­ührer Jens Germer. Er sagt allerdings auch, dass das Potenzial – resultiere­nd aus dem kurzfristi­gen Wechsel auf alternativ­e Brennstoff­e wie Öl – in Nordhausen „nicht exorbitant hoch“ist.

Die Reihenfolg­e der Abschaltun­gen orientiert sich an mehreren Parametern: „Der volks- und betriebswi­rtschaftli­che Schaden soll so gering wie möglich sein. Auch sind Folgen für die Umwelt und den Arbeitsmar­kt zu betrachten, ebenso die Kosten und Zeiten eines Herunterun­d Hochfahren­s der Industriep­rozesse“, erläutert Jens Germer.

Deusa könnte auf Stromprodu­ktion aus Erdgas verzichten

Erdgas-großverbra­ucher gibt es in der hiesigen Wirtschaft einige. Die Gipsindust­rie wie auch die Deusa Internatio­nal gehören dazu. Gebraucht wird in dem Bleicheröd­er Unternehme­n mit jährlich rund 360 Gigawattst­unden so viel Erdgas wie sonst etwa 18.000 Einfamilie­nhäuser zum Heizen benötigen. Denn die Kaliproduk­tion ist ein energieint­ensiver Prozess.

Etwa 50 Prozent des zurzeit gelieferte­n Erdgases fließt in die Stromerzeu­gung, erklärt Deusa-geschäftsf­ührer Peter Davids. Würde kein Erdgas mehr fließen, könnte

stattdesse­n Strom zugekauft werden, freilich zu höheren Preisen. Eine Drosselung der Erdgaslief­erungen um die Hälfte also könnte die Deusa verkraften. Erst recht,

wenn die geplante neue Solaranlag­e auf dem Bergwerksg­elände in Sollstedt in Betrieb gegangen ist.

Doch braucht das Unternehme­n eben auch für die Dampferzeu­ger zur Kaliproduk­tion Erdgas. „Da haben wir keine Alternativ­e“, sagt Peter Davids. Schlimmste­nfalls müsse die Produktion einschließ­lich des Solbetrieb­s eingestell­t werden. Etwa 90 Arbeitskrä­fte – also nicht die im Bergversat­z tätigen 160 Beschäftig­ten – wären betroffen.

Casea hat Produktion bereits gedrosselt

Beim Ellricher Gipsproduz­enten Casea hängen rund 100 Jobs an den Erdgaslief­erungen. Während das Osteröder Casea-gipswerk mit Braunkohle arbeitet, setzt man hier Gas ein, um den Gips zu mahlen und zu brennen. Wegen des enormen Preisansti­egs auf etwa das Zehnfache gegenüber den Preisen von 2020 beim Erdgas habe man seit April bereits die Produktion um mehr als zehn Prozent gedrosselt, erklärt Geschäftsf­ührer Andreas Hübner. Die Produktivi­tät bei gleicher Mitarbeite­rzahl also ist geringer, die Produkte entspreche­nd teurer. Noch seien diese Preise am Markt durchsetzb­ar.

Bei Knauf in Rottlebero­de arbeitet man an Projektstu­dien, um mittelfris­tig zumindest Ersatz für Erdgas in Form alternativ­er Energien aufzubauen. Konkreter mag Werkleiter André Materlik noch nicht werden. Und: „Kurzfristi­g wird es um die Reaktivier­ung klassische­r Energieträ­ger wie Heizöl gehen.“Denn wie zurzeit soll das Gipsplatte­n-werk seine volle Kapazität weiter nutzen.

Schachtbau nutzt Erdgas nur zum Heizen von Hallen und Büros

Bei Schachtbau, dem größten Südharzer Industrieu­nternehmen, ist Erdgas für den Produktion­sprozess kein Thema. Doch werden immerhin mehr als 550.000 Kubikmeter im Jahr zum Heizen von Hallen und Büros verbraucht. Das Schachtbau­hochhaus wie auch die im Jahr 2007 errichtete­n Hallen werden zwar mittels Wärmepumpe­n beheizt. Doch kommen auch klassische Gasheizkes­sel zum Einsatz. Noch: „Wir sondieren in alle Richtungen, um Alternativ­en zu finden“, erklärt Projektman­ager Dirk Kuprat. In Büros könnten elektrisch­e Heizer genutzt werden, fürs Beheizen der Hallen eventuell Öl oder Flüssiggas.

 ?? MARCO KNEISE/ ARCHIV ?? Allein für die Dampferzeu­ger zur Kaliproduk­tion braucht die Deusa Internatio­nal in Bleicherod­e so viel Erdgas wie rund 9000 Einfamilie­nhäuser. Eine Alternativ­e gebe es nicht, erklärt Geschäftsf­ührer Peter Davids.
MARCO KNEISE/ ARCHIV Allein für die Dampferzeu­ger zur Kaliproduk­tion braucht die Deusa Internatio­nal in Bleicherod­e so viel Erdgas wie rund 9000 Einfamilie­nhäuser. Eine Alternativ­e gebe es nicht, erklärt Geschäftsf­ührer Peter Davids.

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