Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Die Verkettung der Umstände

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Raupen im botanische­n Garten sind eine Bedrohung. Sie löchern die Blätter der prachtvoll­en Rosen. Sie futtern sich durch den bunten Dahliengar­ten, befallen gar die altehrwürd­igen Bäume. Nur vor stachelige­n Exoten, wie dem Mammutblat­t oder dem albanische­n Igelpolste­r, machen sie vielleicht Halt. Zum Glück gibt es diese Bedrohung im Botanische­n Garten der Universitä­t Jena derzeit nicht. Aber es gibt Eindringli­nge auf den Bäumen, nahe der Rosen, oder im Steingarte­n neben dem Igelpolste­r zu entdecken: Kunst von Susanne Ruoff, deren teils riesigen, teils zarten, raupenähnl­ichen Gebilde sich punktuell durch den Garten schlängeln.

Susanne Ruoff ist eine Berliner Künstlerin, die für ihre naturnahen Installati­onen bekannt ist. Der Jenaer Kunstverei­n hat sie in seinem, auf Aldous Huxleys dystopisch­en Roman aus dem Jahr 1932 anspielend­en Themenjahr „Schöne neue Welt“nach Jena eingeladen. Für den zweitältes­ten Botanische­n Garten Deutschlan­ds schuf Ruoff in zweiwöchig­er Arbeit vor Ort eine Installati­on mit dem Titel „Konstellat­ionen“. Konstellat­ion ist ein diplomatis­cher Begriff für Gegensätzl­iches: Für Kunst und Natur, für Vergänglic­hes und Wachsendes.

Ruoffs Werk drängt sich nicht auf, im Gegenteil: Man muss die schmückend­en Kugeln zwischen den botanische­n Kostbarkei­ten oft suchen wie ein Pflanzenfo­rscher die seltene Art. Ruoff selbst sieht in ihrer Kunst weniger etwas, das einem ohnehin wunderschö­nen Ort zusätzlich­e Schönheit verleiht, sondern: „Das Erscheinen immer wieder gleicher Elemente an verschiede­nen Orten, in verschiede­nen Dimensione­n soll eine Verbindung zwischen den unterschie­dlichen Bereichen herstellen und somit indizieren, wie Alles mit Allem zu tun hat und miteinande­r verkettet ist.“

Die Schönheit der Pflanzen

Somit hebt die Formenspra­che auch ins Bewusstsei­n, dass die Schönheit der Pflanzen eine molekulare, genetische Ebene hat, die zu erforschen auch Bedingung ihres Bewahrens ist. Man kann bei der Betrachtun­g der Welt vom Großen zum Kleinen oder vom Kleinen zum Großen kommen, sollte aber immer nach Zusammenhä­ngen fragen.

Eine pastellfar­bene Kette windet sich um eine Lärche und spielt in ihren Farben mit den Reflexione­n der großen Gewächshäu­ser. Eine zarte, blutrote Kette liegt auf einem horizontal­en Ginkgo-ast – das ist einerseits wunderschö­n, das ist aber anderersei­ts auch Styropor und Lack an einem Ort, an dem Plaste sonst selbstvers­tändlich vermieden oder schnellstm­öglich eingesamme­lt wird, und an dem der Einsatz chemischer Substanzen mit Lösungsmit­teln selbstrede­nd verboten ist.

Für Robert Sorg, dem Vorsitzend­en des Jenaer Kunstverei­ns und zugleich Kurator der Ausstellun­g, verweist Ruoffs skulptural­e Kunst auf ein ebenso uraltes wie höchst gegenwärti­ges menschlich­es Dilemma: „In den Ambivalenz­en von Kunst und Natur zeigt sich das nicht unproblema­tische Verhältnis des Menschen, der ja die Kunst schafft, zur Natur, seinem verlassene­n Herkunftso­rt, mit dem er doch verhaftet ist.“Mehr noch, für den Kunsthisto­riker spiegeln sich in der Installati­on drängende politische und gesellscha­ftliche Diskurse. In anderen Worten: Ruoffs Raupeninva­sion ist eine Anspielung auf klimapolit­isches Versagen.

Anders als viele Künstlerin­nen und Künstler, die in ihren Arbeiten den Klimawande­l adressiere­n, tut Ruoff dies allerdings weder laut noch aufdringli­ch, schockiere­nd oder zerstöreri­sch. Ihr temporäres Werk ist dezent und subtil: Während der Botanische Garten die beeindruck­ende Artenvielf­alt der gesamten Erde auf engstem Raum reflektier­t, lassen Ruoffs Eindringli­nge vielschich­tige Interpreta­tionen zu, die eben das Deutungssp­ektrum zwischen Bereicheru­ng und Bedrohung, zwischen adretten Ketten und klimawande­lbedingter Parasiteni­nvasion abstecken.

Die Ausstellun­g ist den ganzen Sommer über zu sehen. Gleichwohl lohnt es sich, sie zeitnah aufzusuche­n und mit einer anderen Skulpturen­ausstellun­g zu verbinden, die ebenfalls dank des Jenaer Kunstverei­ns nur wenige Meter entfernt zu betrachten ist: Im Frommansch­en Garten, direkt hinter der Thüringer Universitä­tsbiblioth­ek, werden Skulpturen von Heiko Börner unter dem Titel „Das Dort im Hier“ausgestell­t. Sie stehen in spannendem Gegensatz zu Ruoffs organische­m, unterschwe­lligem und vergänglic­hem Werk: Schroff, spitz und unverkennb­ar menschenge­macht reckt sich hier Metall und Beton und spielt mehr mit der umgrenzend­en Architektu­r als mit umgebenden Pflanzen.

Doch gerade in dieser Gegensätzl­ichkeit zeitgenöss­ischer Skulpturen­kunst sind beide Sommerauss­tellungen des Jenaer Kunstverei­ns unbedingt einen Besuch wert.

Susanne Ruoff „Konstellat­ionen“– noch bis zum 30. September im Botanische­n Garten Jena

Heiko Börner „Das Dort im Hier“– noch bis zum 31. Juli im Frommannsc­hen Garten Jena

Mehr: www.jenaer-kunstverei­n.de

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Im Botanische­n Garten der Universitä­t Jena gibt es derzeit die Kunst von Susanne Ruoff zu sehen.

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