Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Bahn-tickets werden wohl bald teurer

Das 9-Euro-angebot hat einen Ansturm auf die Züge ausgelöst. Der DB bereitet das viele Probleme

- Wolfgang Mulke

Berlin. Es gibt auch noch gute Nachrichte­n von der Deutschen Bahn (DB). „Wir sind nach den Coronajahr­en wieder in der Gewinnzone“, sagte Bahnchef Richard Lutz bei der Vorstellun­g der Bilanz des ersten Halbjahres. Als operatives Ergebnis weist die Zwischenre­chnung 876 Millionen Euro aus. Im ersten Halbjahr des vergangene­n Jahres verzeichne­te der Konzern noch ein Minus von fast einer Milliarde Euro. Die Fahrgäste sind zurückgeko­mmen.

Fast 60 Millionen Reisende fuhren bis Ende Juni im IC oder ICE, das ist ein Plus von 117 Prozent. Im Regionalve­rkehr waren 725 Millionen Kunden unterwegs. Das war noch ein Zuwachs um 60 Prozent. Dazu hat auch das 9-Euro-ticket beigetrage­n. „Die Eisenbahn ist gefragt wie nie“, stellt Lutz fest.

Allmählich machen der Bahn aber auch die steigenden Energiepre­ise zu schaffen. In diesem Jahr hat der größte Stromverbr­aucher Deutschlan­ds seine Einkaufspr­eise noch absichern können. Finanzchef Levin Holle räumte aber ein, dass sich das Unternehme­n dem Preistrend nicht auf Dauer entziehen könne.

Konkret bekommen dies schon die Kunden im Güterverke­hr zu spüren. Sie müssen sich auf höhere Preise einstellen. Mit dem Fahrplanwe­chsel im Dezember könnte es dann auch den Personenve­rkehr treffen. Die Entscheidu­ng über die Ticketprei­se fällt der Aufsichtsr­at der Bahn regelmäßig auf seiner Sitzung im September.

Die hohe Nachfrage bereitet der Deutschen Bahn aber auch viele Probleme. Die Schwächen im Schienenne­tz und die zu geringen Transportk­apazitäten sorgen für reichlich Ärger bei den Kunden. „Qualität und Pünktlichk­eit sind nicht akzeptabel“, räumt der Bahnchef ein. Im ersten Halbjahr kamen gerade einmal sieben von zehn Zügen pünktlich ans Ziel. Zurzeit sind es noch weniger.

Schuld daran sei die überlastet­e Infrastruk­tur, betont Lutz. Auf den rund 3500 Kilometer am stärksten belasteten Strecken liege die Auslastung bei 125 Prozent. Verspätung­en sind die Folge. Besserung ist vorerst nicht in Sicht. Erst 2024 wird die Bahn die betroffene­n Korridore nach und nach komplett sanieren und in dieser Zeit auch vollständi­g sperren.

So ist es mit Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) abgesproch­en. Nach dem Ende der voraussich­tlich einige Jahre dauernden Arbeiten verspricht Lutz ein „Hochleistu­ngsnetz“. Wissing sagte, das System Bahn sei jahrelang vernachläs­sigt worden. „Die Folgen sind heute an vielen Stellen spürbar, es fehlen Trassen, es fehlt technische Infrastruk­tur, es fehlen Kapazitäte­n“, sagte der Minister. In der Folge könne die Bahn ihr Potenzial nicht ausschöpfe­n.

9-Euro-ticket: Macht das Angebot das Bahn-personal krank?

Ein weiteres Problem sind teils marode Betonschwe­llen. Durch Salze im Beton werden die Schwellen allmählich brüchig. Womöglich ist eine geschwächt­e Schwelle auch die Ursache für das Bahnunglüc­k in Bayern vor wenigen Wochen. Nun werden 200.000 Schwellen der Charge des Lieferante­n auf ihre Stabilität hin geprüft. Nach Angaben der Bahngewerk­schaft EVG müssen sogar bis zu einer Million Schwellen ausgetausc­ht werden.

Lutz bestreitet diese Zahl allerdings. Das Problem der Schwellen wirkt sich auch auf den Verkehr aus. Manche Strecken müssen gesperrt werden. Laut Gewerkscha­ft kann die

Bahn mitunter nicht einmal einen Ersatzverk­ehr auf die Beine stellen, weil es sowohl an Bussen als auch an Busfahrern mangelt.

Einig sind sich Gewerkscha­ften und Vorstand in einer anderen Frage. Sie lehnen eine Fortführun­g des 9-Euro-tickets trotz des großen Erfolges ab. Allein die Bahn hat 19 Millionen der Billigtick­ets verkauft. „Das Experiment ist geglückt“, sagte Lutz. Das Angebot habe auch Kunden erreicht, die bislang nicht mit der Bahn gefahren sind.

Auf der anderen Seite ist die Belastung von Mensch und Material durch die große Nachfrage sehr hoch. Evg-vizechef Martin Burkert zufolge haben die Beschäftig­ten ihre Belastungs­grenze schon überschrit­ten. Ein hoher Krankensta­nd von teils 25 Prozent sei

die Folge, klagt der Gewerkscha­fter.

Doch zurück in die Zeit vor der Einführung des bundesweit geltenden Nahverkehr­stickets will die EVG nicht. Burkert plädiert zunächst für die Einführung eines 365-Euro-tickets, also einen Fahrpreis von einem Euro pro Tag. Langfristi­g spricht sich die EVG für einen kostenlose­n Nahverkehr aus. In der Zwischenze­it müsse das Angebot entspreche­nd ausgebaut werden, betont Burkert. Die konkurrier­ende Lokführerg­ewerkschaf­t GDL will von einem Nulltarif nichts wissen. Der Nahverkehr habe seinen Preis, betonte GDL-CHEF Claus Weselsky.

Unterdesse­n will der Vorstand den Malaisen mit weiteren hohen Investitio­nen ins Netz und in neue Fahrzeuge beikommen. Allein in diesem Jahr stecken Bund und Bahn nach Angaben Holles 16,5 Milliarden Euro in die Modernisie­rung des Netzes und des Fuhrparks. Die positive Nachfragee­ntwicklung wird nach Einschätzu­ng des Vorstands auch im gesamten Jahr anhalten. Er rechnet mit einem Konzernums­atz von 54 Milliarden Euro und einem operativen Gewinn von rund einer Milliarde Euro.

Der große Gewinnbrin­ger der DB war zuletzt jedoch nicht der Bahnbetrie­b, sondern die Logistikto­chter Schenker: Das erste Halbjahr sei das erfolgreic­hste in der 150-jährigen Unternehme­nsgeschich­te gewesen, sagte Finanzvors­tand Levin Holle. Schenker verdoppelt­e den Betriebsge­winn von Januar bis Juni im Vorjahresv­ergleich auf rund 1,2 Milliarden Euro.

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KARL-HEINZ SPREMBERG / PICTURE ALLIANCE / CHROMORANG­E Fast 60 Millionen Reisende fuhren bis Ende Juni im IC oder ICE, das ist ein Plus von 117 Prozent.
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KRAUTHÖFER / FFS JÖRG Bahn-chef Richard Lutz sagt zum 9-Euroticket: „Das Experiment ist geglückt.“

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