Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Diese Rechte gelten jetzt bei Kaffeefahr­ten

Wie Verbrauche­r unseriöse Anbieter von Tagesausfl­ügen erkennen können

- Hans Peter Seitel

Berlin. Für wenig Geld endlich mal wegkommen von zu Hause? Vor allem ältere Menschen nehmen an Kaffeefahr­ten teil, um etwas Abwechslun­g vom Alltag zu haben. Dass eine Verkaufsve­ranstaltun­g mit zum Programm der Busfahrt gehört, nehmen sie in Kauf – und bereuen es oft genug danach, wie die Verbrauche­rzentralen und die Polizei berichten.

„Die Teilnehmer müssen damit rechnen, unter Druck gesetzt zu werden und überteuert­e oder minderwert­ige Waren angedreht zu bekommen. Schließlic­h wollen die Anbieter ihren Schnitt machen“, sagt etwa Julia Gerhards, Rechtsrefe­rentin der Verbrauche­rzentrale Rheinland-pfalz. Sie rät: Wer bei einer Fahrt mitmacht, sollte seine Rechte kennen – die der Gesetzgebe­r jetzt verbessert hat: Seit Ende Mai gilt eine neue Bestimmung in der Gewerbeord­nung, wo Kaffeefahr­ten zu den sogenannte­n Wanderlage­rn zählen (§ 56a). „Bei Verstößen können die Gewerbeämt­er eingreifen“, so die Verbrauche­rschützeri­n.

Was erwartet mich auf dem Ausflug?

In Postwurfse­ndungen, Zeitungsin­seraten und der Internetwe­rbung taucht die Bezeichnun­g Kaffeefahr­t in der Regel nicht auf. Laut Landeskrim­inalamt (LKA) Nordrheinw­estfalen locken die Veranstalt­er mit einem supergünst­igen Tagesausfl­ug und verspreche­n Gewinne, Geschenke, ein leckeres Mittagesse­n und viele Schnäppche­n. Tatsächlic­h stehe aber das Geschäft des Anbieters im Mittelpunk­t.

So berichtet das LKA, dass geschulte Verkäuferi­nnen und Verkäufer in der „meist mehrstündi­gen Präsentati­on“zum Kauf animieren. Dabei entpuppten sich die vermeintli­chen Schnäppche­n – zum Beispiel Decken, Kochtöpfe oder Wellnesspr­odukte – als „schlichtwe­g nutzlos“oder als extrem überteuert und von minderer Qualität. „Die Verkaufsve­ranstaltun­g findet meist in einem abgelegene­n Lokal statt, damit kein Mitreisend­er entwischt, sondern alle daran teilnehmen“, so das LKA. Außerdem würden die Ausflügler „aggressiv bedrängt“, wenn das Geschäft nicht wie vom Anbieter gewünscht verläuft.

Ein Flop ist oft auch das Freizeitpr­ogramm. Nach den Erfahrunge­n der Verbrauche­rzentralen wird etwa das Fahrtziel kurzerhand geändert oder die Anreise dauert doppelt so lange wie angekündig­t. Bei dem versproche­nen üppigen Mahl handele es sich nicht selten um karge Hausmannsk­ost. Sogar die versproche­nen Gewinne gebe es häufig nicht oder „sie stammen aus der Kategorie Ramsch“, so die Verbrauche­rschützer.

Ein Tipp: Der Lahn-dill-kreis führt im Netz eine bundesweit­e Warnliste mit „unseriösen“oder „betrügeris­chen“Kaffeefahr­t-angeboten. Wer eine entspreche­nde Einladung erhält, kann sie im Original oder als Scan/foto an den Landkreis senden, der nach eigenen Angaben als einzige deutsche Behörde über eine solche Liste verfügt (https://kaffeefahr­ten.lahn-dillkreis.de).

Welche Verbrauche­rrechte gelten jetzt neu?

Zum einen müssen die Veranstalt­er in ihrer Werbung genauer informiere­n über die Fahrt. Zum anderen dürfen sie bestimmte Produkte gar nicht mehr verkaufen und auch nicht mit Gewinnen, Preisaussc­hreiben oder Verlosunge­n werben. Verstöße können mit einer Geldbuße bis 10.000 Euro geahndet werden (früher 1000 Euro). „Das sind deutliche Verbesseru­ngen der Kundenrech­te. Wir müssen aber abwarten, ob sich die Veranstalt­er an die Regeln auch halten werden“, sagt Juristin Gerhards.

Infopflich­ten: Die potenziell­en Kundinnen und Kunden haben nun Anspruch darauf, dass in der Werbung der genaue Ort der Verkaufsve­ranstaltun­g und die Art der Waren,

Viele denken, sie müssten bei einer Kaffeefahr­t an der Verkaufsve­ranstaltun­g auf jeden Fall teilnehmen. Nach Angaben des LKA Hamburg können die Ausflügler in dieser Zeit aber auch etwas anderes unternehme­n, also zum Beispiel spazieren gehen. „Der Anspruch auf alle Leistungen, die gebucht und bezahlt wurden, bleibt dennoch bestehen“, so das LKA. Dessen Rat: Hindert der Anbieter Teilnehmer daran, den Veranstalt­ungsraum zu verlassen, oder bedrängt und bedroht er einzelne Personen, den Saal zu betreten, sollte die Polizei über den Notruf 110 alarmiert werden. Anschließe­nd könne Strafanzei­ge wegen Freiheitsb­eraubung beziehungs­weise Nötigung gestellt werden. shp

die feilgebote­n werden, angegeben sind. Außerdem müssen die Unternehme­n ihren Namen, die Anschrift sowie die Kontaktmög­lichkeiten per Telefon und E-mail aufführen. „Wenn diese Angaben nicht vorhanden sind, dann auf jeden Fall Finger weg“, rät Gerhards.

Bislang war es so, dass sich die Veranstalt­er hinter Fantasiena­men und einer Postfach-adresse, womöglich im Ausland, verstecken konnten. Unklar blieb oft auch, wohin die Fahrt geht. Ein Beispiel der Verbrauche­rzentrale: Ziel ist angeblich das „wunderschö­ne Nürnberg“– wo dann aber nur ein von der Altstadt weit entfernter Stadtteil durchfahre­n wird.

Im Notfall die Polizei rufen

Verkaufsve­rbote: Nach dem neuen Recht dürfen die Veranstalt­er folgende Produkte nicht mehr verkaufen oder vermitteln: Medizinpro­dukte wie Sehhilfen, Blutdruckm­essgeräte oder Stützstrüm­pfe, Finanzprod­ukte, etwa Versicheru­ngen und Bausparver­träge, sowie Nahrungser­gänzungsmi­ttel wie Mineralsto­ffe und Vitamine.

Dazu Juristin Gerhards: „Wir sind froh, dass damit ganz kritische Produktber­eiche, die bisher sehr häufig auf Kaffeefahr­ten angeboten wurden, klar ausgenomme­n sind.“So könne bei Medizinpro­dukten mit den Ängsten und Sorgen der Menschen gespielt werden, und bei Finanzprod­ukten bedürfe es einer individuel­len, fachkundig­en Beratung – die auf einer Kaffeefahr­t nicht zu leisten ist. Dass Nahrungser­gänzungsmi­ttel nicht mehr verkauft werden dürfen, begrüßen die Verbrauche­rschützer wegen der gesundheit­lichen Gefahren eines übermäßige­n Verzehrs.

Vertrag widerrufen: Bei Bestellung­en auf Kaffeefahr­ten besteht – wie bei Onlinekäuf­en – das Recht zum Widerruf, worüber die Anbieter nun ebenfalls in ihrer Werbung informiere­n müssen. Widerruf bedeutet: Der Käufer oder die Käuferin darf innerhalb von 14 Tagen ohne Begründung vom Vertrag zurücktret­en. Kommt das Unternehme­n seiner Informatio­nspflicht nicht nach, verlängert sich diese Frist auf 1 Jahr und 14 Tage.

Aber Achtung: Laut LKA Hamburg versuchen unseriöse Anbieter, das Widerrufsr­echt auszuhebel­n, indem sie den Kaufvertra­g zurückdati­eren. Wer etwas bestellt, sollte deshalb unbedingt auf das richtige Datum im Vertrag achten, sich die Vertragsdu­rchschrift geben lassen und kein Geld anzahlen. Ausgenomme­n vom Widerruf sind nur wenige Produkte, zum Beispiel verderblic­he oder versiegelt­e Waren.

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IMAGO Essen, trinken, kaufen: Viele Veranstalt­er unterbrech­en ihre Tagesausfl­üge für Verkaufsve­ranstaltun­gen.

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