Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Ausgebrann­t und armutsgefä­hrdet

Sozialverb­and nennt Lage pflegender Angehörige­r „außerorden­tlich prekär“und fordert ein dichtes Netz von Beratung und Hilfe

- Elena Rauch

Es ist erst einige Wochen her, als der Sozialverb­and VDK in Erfurt eine „Demonstrat­ion ohne Menschen“veranstalt­ete. Weil die, um die es ging, keine Zeit und keine Energie für die Teilnahme an solchen Aktionen haben und auch sonst weitestgeh­end unsichtbar bleiben: Menschen, die zu Hause Angehörige pflegen. In plakatiert­en Statements erzählten sie von ihrer Situation: Ausgebrann­t, oft isoliert und nicht selten von Altersarmu­t bedroht, weil Pflege meist Abstriche an der Erwerbsarb­eit fordert mit Folgen für die Rente. Den dringenden Handlungsb­edarf will der Sozialverb­and,

der im Freistaat rund 25.000 Mitglieder zählt, jetzt forciert in die Öffentlich­keit bringen, kündigte der Landesvors­itzende für Hessen-thüringen, Paul Weimann, am Mittwoch auf dem Vdk-jahresempf­ang an.

Nicht nur mit Aktionen, sondern mit konkreten Forderunge­n. Dazu gehört neben einer spürbaren Anhebung des Pflegegeld­es, bezahlter Arbeitsfre­istellung mit Rückkehrre­cht auch ein dichtes Netz aufsuchend­er Beratung.

Das Anliegen ist essenziell, denn es soll ein großes Defizit decken, das auch vom Thüringer Verein pflegender Angehörige­r immer wieder kritisiert wird: Fünf Pflegestüt­zfahrungen punkte im Freistaat sind zu wenig. Verbandsum­fragen hätten ergeben, dass nicht einmal jeder zweite Betroffene genau wisse, welche Hilfen ihm überhaupt zustehen, bemerkte Paul Weimann. Vom aufwendige­n Antragspro­zedere, das Zeit kostet die viele Angehörige nicht haben, ganz zu schweigen. Allein das beschreibt den Beratungsb­edarf. Er

hätten gezeigt, dass die Pflegekass­en dieser Aufklärung­saufgabe nicht immer offensiv nachkommen, weshalb er für unabhängig­e Berater plädiert.

Die sollen breit in der Fläche aufgestell­t sein, um Familien in ihrem Umfeld aufzusuche­n und zu beraten. Von Hilfsmitte­ln im Pflegeallt­ag bis hin zur Unterstütz­ung durch den Dschungel der Bürokratie.

Natürlich sei das eine Herausford­erung, doch die Situation in der häuslichen Pflege sei außerorden­tlich prekär und es werde nicht leichter, so der Verbandsch­ef und verwies auf die demografis­chen Zwänge. Laut aktueller Statistik sind in Thüringen rund 165.000 Menschen pflegebedü­rftig, das sind etwa 30.000 mehr als noch 2019. Und rund 80 Prozent von ihnen werden von Angehörige­n zu Hause betreut.

Ihre Situation müsse viel stärker in den Blick rücken, konstatier­te auch Sozialmini­sterin Heike Werner (Linke). Wer pflegt, stehe oft unter großer Belastung, sei selbst gesundheit­sgefährdet und einem Armutsrisi­ko ausgesetzt weil das Pflegegeld nicht ausreiche. Neben einer Reform der Pflegevers­icherung sprach auch sie sich für passgenaue Angebote aus. Im Rahmen der Werkstattg­espräche zur gesundheit­lichen Versorgung werde man auch die Pflegeland­schaft im Freistaat diskutiere­n, kündigte sie an.

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MICHAEL REICHEL/DPA Paul Weimann ist Landesvors­itzender des VDK Hessenthür­ingen.

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