Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Rassismus-welle gegen neue Justizmini­sterin

Die Grüne Doreen Denstädt soll in Thüringen das Ressort für Migration und Justiz übernehmen – und wird angefeinde­t. Die Polizei ermittelt

- Fabian Klaus

Saalfeld/erfurt. Die Frage an Doreen Denstädt lautete: Wieso hatten die thüringisc­hen Grünen sie in die Bundesvers­ammlung delegiert, um den Bundespräs­identen zu wählen? Ihre Antwort: „Wahrschein­lich bin ich mit meiner großen Klappe wieder ordentlich aufgefalle­n.“

Damals, es war Anfang Februar 2022, gehörte sie gerade mal ein paar Monate als Mitglied der Partei an. Noch herrschte halbwegs Frieden in Europa. Ein knappes Jahr später steht Doreen Denstädt in Erfurt in der kleinen Landesgesc­häftsstell­e der Grünen vor Journalist­en. In der Ukraine tobt Krieg, und auch Thüringen hat so viele Flüchtling­e aufgenomme­n wie noch nie. Fast 40.000 sind es bislang, und jeden Tag werden es mehr.

Genau darum soll sich Denstädt ab Februar federführe­nd kümmern – und zwar als Landesmini­sterin für Migration und Justiz. Sie habe „alleraller­größten Respekt“vor der Aufgabe, sagt sie in die Kameras. „Ich denke, dass gerade im Bereich Migration die drängendst­en Themen auf dem Tisch liegen.“

So ist das wohl. Doch gerade deshalb stellt sich die Frage: Warum ausgerechn­et sie? Warum eine 45jährige Frau und zweifache Mutter, die derzeit noch als Sachbearbe­iterin im Landesinne­nministeri­um beschäftig­t ist. Liegt es daran, wie es im Internet und bei der AFD heißt, dass sie schwarz ist?

Die designiert­e Ministerin kennt die Vorurteile und geht offensiv damit um. „Ich hoffe ja sehr, dass ich nicht aufgrund meiner Hautfarbe einen Vorteil genieße“, sagt sie. Sie werde sich im Job beweisen.

Dennoch wogt die Debatte. Die einen loben Denstädts Benennung als Signal der Diversität. Andere bezweifeln ihre Eignung, ist sie doch weder Juristin noch Migrations­expertin. Und in den sozialen Netzwerken wird aus den Fragen nach der Qualifikat­ion oft Rassismus; inzwischen ermittelt die Polizei wegen Beleidigun­g.

Jene, die im Lärm dazwischen­stehen, werben um Geduld. Immerhin handelt es sich bei Denstädt um eine erfahrene Polizeihau­ptkommissa­rin und studierte Verwaltung­swirtin, die ein Ministeriu­m von innen her kennt.

Doch wer ist Doreen Denstädt? 1977 in Saalfeld geboren, wächst sie in der linken Szene auf. Allein schon phänotypis­ch, sagt sie scherzhaft, habe sie da eher wenig Auswahl gehabt. Ihre Haltung zur Polizei ist kritisch. Sie hält Distanz, wobei daraus langsam Nähe wird: Sie trifft Beamte, die sie nicht sofort einordnen kann, die ihr locker und respektvol­l begegnen. Sie habe gemerkt, „dass es eben auch anders geht“, sagt sie. Und so wird sie –

nachdem sie in Sachsen für eine Weile Bauingenie­urwesen studierte, eben selbst Polizistin.

Ihren Dienst absolviert sie vorerst in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt Erfurt. Sie geht dorthin, wo nur wenige Polizisten freiwillig Dienst schieben: in den Norden der Stadt, in ein Zentrum der Kriminalit­ät und rassistisc­her Gewalt.

Rassismus erlebte Denstädt im Privat- und Berufslebe­n

Auch Rassismus gegen sich selbst erlebt sie, im Berufs- wie im Privatlebe­n. Ihre Strategie dagegen ist zweigeteil­t. Zum einen lässt sie vieles zunehmend an sich abperlen, zumindest sagt sie das selbst. Zum anderen lässt sie sich in die Polizeiver­trauensste­lle des Innenminis­teriums versetzen, um Beschwerde­n aus der Bevölkerun­g über ihre Kolleginne­n und Kollegen zu bearbeiten.

Dass Denstedt jetzt recht spontan in die Regierung befördert wird, hat aber auch etwas mit den besonderen Thüringer Verhältnis­sen zu tun. Der rot-rot-grünen Koalition fehlt im Landtag die Mehrheit. Nach dem Chaos um den Kurzzeit-fdpministe­rpräsident­en Thomas Kemmerich, der im Februar 2020 mit Stimmen der AFD gewählt wurde, verwaltet eine Minderheit­sregierung unter dem Linken Bodo Ramelow das Land.

Auch dies war wohl ein Grund dafür, dass die grüne Umweltmini­sterin Anja Siegesmund, als sie eine Anstellung als geschäftsf­ührende Präsidenti­n des Bundesverb­andes der Abfallwirt­schaft in Aussicht hatte, vor Weihnachte­n ihren Rücktritt ankündigte. Ihre Landespart­ei nutzte die Gelegenhei­t, den eigenen eher ungeliebte­n Migrations- und Justizmini­ster Dirk Adams im Rahmen einer personelle­n Neuaufstel­lung loszuwerde­n – und dies, obwohl die grüne Personalde­cke sehr dünn ist.

Nach einigem Hin und Her fiel die Wahl für die Adams-nachfolge auf die Quereinste­igerin Denstädt,

die der Partei erst seit 2021 angehört. Dabei ist ihr neues Ressort eine große Herausford­erung, fachlich wie politisch: Ständig gibt es Streit zwischen Landesregi­erung und Kommunen, um Unterkünft­e, um Geld, um alles.

Wie will sie damit umgehen? Die designiert­e Ministerin betont ihre zwischenme­nschlichen Fähigkeite­n. Sie habe „kommunikat­iv genug drauf“– und als Beamtin ausreichen­d Erfahrunge­n in Polizei und Ministeria­lapparat gesammelt.

Doch es wird ein Experiment, für Thüringen, für die Grünen – und für die Frau, die lange in einer Erfurter Mannschaft profession­ell Rugby spielte und Hunde liebt. In dieser Woche ist sie dabei, sich im Ministeriu­m einen Überblick zu verschaffe­n und mit den Verantwort­lichen in den Fachabteil­ungen zu reden. Interviews will sie vorerst keine mehr geben.

Der Druck ist enorm. Wenn sie Anfang Februar als Ministerin vereidigt wird, sind es nur noch eineinhalb Jahre bis zur regulären Landtagswa­hl in Thüringen. Vor allem Denstädts Leistung dürfte darüber entscheide­n, ob die Grünen im Parlament bleiben. Zuletzt, vor drei Jahren, schaffte es die Partei gerade so über die Fünf-prozent-hürde.

Ich hoffe sehr, dass ich nicht aufgrund meiner Hautfarbe einen Vorteil genieße. Doreen Denstädt (Grüne), designiert­e thüringisc­he Ministerin für Migration und Justiz, zu Unterstell­ungen, sie erhalte das Amt nicht aufgrund ihrer Qualifikat­ion

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SASCHA FROMM / FFS Soll Anfang Februar als Landesmini­sterin vereidigt werden: Doreen Denstädt (Grüne).

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