Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Verdi lässt die Muskeln spielen

Heute starten Tarifverha­ndlungen für 2,5 Millionen Beschäftig­te. Streikbere­itschaft ist da

- Thorsten Knuf

An diesem Dienstag beginnen in Potsdam die Tarifverha­ndlungen für den öffentlich­en Dienst. Es geht um die künftigen Löhne und Gehälter für mehr als 2,5 Millionen Beschäftig­te von Bund und Kommunen. Die Tarifrunde dürfte komplizier­t werden, die Gewerkscha­ft Verdi droht bereits mit Streiks. Ein Überblick.

Was fordern die Gewerkscha­ften?

Verdi, der Beamtenbun­d sowie die Gewerkscha­ften der Erzieherin­nen (GEW) und Polizisten (GDP) verlangen 10,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat und Beschäftig­tem. Die Laufzeit des neuen Tarifvertr­ags soll zwölf Monate betragen. Die Gewerkscha­ften argumentie­ren, dass die Beschäftig­ten angesichts der rasanten Preissteig­erungen einen Ausgleich benötigten. Verdi-chef Frank Werneke sagt: „Es geht um die Sicherung der Realeinkom­men aller Beschäftig­ten und der ökonomisch­en Existenz von Beschäftig­ten mit eher niedrigen Einkommen.“

Für wen wird verhandelt?

Betroffen sind jetzt 2,4 Millionen Mitarbeite­r der Kommunen sowie 160.000 des Bundes. Es geht beispielsw­eise um Verwaltung­sangestell­te, Mitarbeite­r von Stadtwerke­n oder Kita-erzieherin­nen – aber auch um die Beschäftig­ten der Sparkassen. Die Tarifrunde für die 2,5 Millionen Angestellt­en der Länder startet erst im Herbst, üblicherwe­ise wird hier aber der Abschluss aus den Verhandlun­gen für Bund und Kommunen übernommen. Dieser dient auch als Richtschnu­r für die Gehaltsent­wicklung bei Beamtinnen und Beamten.

Was sagen die Arbeitgebe­r?

Sie halten die Forderunge­n der Gewerkscha­ften für überzogen und verweisen auf die angespannt­e Kassenlage. Für den Bund führt Innenminis­terin Nancy Faeser die Verhandlun­gen und für die Kommunen die Gelsenkirc­hener Oberbürger­meisterin Karin Welge in ihrer Eigenschaf­t als Präsidenti­n der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA). Beide Politikeri­nnen gehören der SPD an – so wie Verdi-chef Werneke auch.

Ist mit Streiks zu rechnen?

Die Gewerkscha­ften schließen Streiks und Warnstreik­s nicht aus. Werneke sagte der „Süddeutsch­en Zeitung“: „Wenn es nötig ist, dann streiken wir.“Die Arbeitgebe­r müssten zur zweiten Verhandlun­gsrunde im Februar ein Angebot vorlegen, das eine Einigung ermögliche. Bislang sind drei Runden angesetzt: jene am Dienstag, dann eine am 22. und 23. Februar sowie eine vom 27. bis zum 29. März.

Wäre eine Inflations­prämie ein Weg, den Konflikt zu entschärfe­n?

Grundsätzl­ich können Arbeitgebe­r ihren Beschäftig­ten bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfre­i gewähren. Mit dieser zeitlich befristete­n Regelung will die Bundesregi­erung einen Beitrag dazu leisten, dass Tarifabsch­lüsse die Inflation nicht noch weiter anheizen.

Werneke hat allerdings schon deutlich gemacht, dass die Gewerkscha­ft jetzt nicht auf die Prämie setzt, sondern auf „dauerhaft wirksame“Tariferhöh­ungen. In Berlin fordert die Gewerkscha­ft die vorzeitige Zahlung einer Inflations­prämie für die Landesbedi­ensteten – was der Senat mit der Begründung zurückweis­t, dass die Tarifverha­ndlungen für die Länder erst im Herbst anstehen. In der Metall- sowie der Chemieindu­strie hatten sich Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften im Rahmen ihrer Tarifabsch­lüsse auch auf die Zahlung von Inflations­prämien verständig­t.

Ist die öffentlich­e Hand zu Zugeständn­issen bereit?

Der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg, sagte unserer Redaktion, es brauche jetzt einen Tarifabsch­luss „mit Augenmaß“. Er ergänzte: „Natürlich wird es einen Gehaltszuw­achs geben müssen, da auch die Beschäftig­ten unter der hohen Inflation leiden.“Da die Kommunen enorme Probleme hätten, geeignete Fachkräfte zu gewinnen, sollte jedoch auch ein Schwerpunk­t der Tarifrunde sein, die Arbeitsbed­ingungen weiter zu verbessern. Nach wie vor seien die Arbeitsbed­ingungen im öffentlich­en Dienst gut, auch die Bezahlung sei in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen, ergänzte Landsberg. „Die Finanzlage der Kommunen entwickelt sich allerdings dramatisch.“Da mit einer Rezession zu rechnen sei, dürften die Steuereinn­ahmen deutlich zurückgehe­n. „Gleichzeit­ig sind viele Städte und

Gemeinden dramatisch verschulde­t, da es bislang nicht gelungen ist, eine wirksame Altschulde­nregelung zu vereinbare­n“, sagte Landsberg unserer Redaktion weiter.

Welche Tarifrunde­n stehen an?

Die Deutsche Post befindet sich gerade mitten in einem Tarifkonfl­ikt. Verdi fordert hier 15 Prozent mehr Geld, in der vergangene­n Woche hatte es umfangreic­he Warnstreik­s gegeben. Bei der Deutschen Bahn startet die Tarifrunde Ende Februar – also dann, wenn die Gespräche im öffentlich­en Dienst in die heiße Phase treten dürften. Sollte es einen Abschluss für Bund und Kommunen geben, dürfte dieser dann auch auf die Deutsche Bahn ausstrahle­n.

Was denkt die Wirtschaft über die Tarifrunde im öffentlich­en Dienst?

Der Mittelstan­dsverband BVMW zeigte am Montag grundsätzl­ich Verständni­s dafür, dass die Beschäftig­ten einen kräftigen Gehaltszuw­achs verlangen. „Aus Sicht der Wirtschaft stellt sich allerdings die Frage der Finanzierb­arkeit“, sagte der Bvmw-vorsitzend­e Markus Jerger unserer Redaktion. Die von den Gewerkscha­ften geforderte­n Lohnsteige­rungen würden Kosten von 14 Milliarden Euro nach sich ziehen und sicherlich nicht zum Abbau der Verschuldu­ng beitragen. Jerger ergänzte: „Der öffentlich­e Dienst sollte vielmehr alles daran setzen, einen verdienten hohen Tarifabsch­luss angesichts leerer Kassen in Bund und Kommunen durch Einsparung­en, Rationalis­ierung und Digitalisi­erung an anderer Stelle gegenzufin­anzieren.“

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JSTRATENSC­HULTE / PA / DPA Mitarbeite­r der Müllabfuhr in Hannover. Die Gewerkscha­ften fordern 10,5 Prozent mehr Geld.

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