Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Impotenz und Größenwahn
Gera bringt Rosa von Praunheims Hitler-farce als zweites Theater überhaupt auf die Bühne
Im Kindesalter soll Adolf Hitler einen Teil seines Geschlechtsteils bei einer Mutprobe eingebüßt haben. Laut einem früheren Spielkameraden wollte der junge Adolf einer Ziege ins Maul pinkeln. Doch das Tier habe zugeschnappt... Besagter Freund wurde für diese Behauptung noch vor Endes des Zweiten Weltkriegs hingerichtet.
Der Filmemacher, Autor und Pionier der Schwulenszene, Rosa von Praunheim, schlachtet in seinem Stück „Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs“dieses und andere umstrittene Gerüchte über Hitler genüsslich aus. Mit unerschöpflicher Fantasie entwickelt er eine Farce, die wunderbar schrill, witzig und obszön-deftig ist, aber auch klug, stringent und subversiv. Der Regisseur von 150 Arthousefilmen reizt einmal mehr die Grenzen des vermeintlich guten Geschmacks aus.
Nachdem das Zwei-personenschauspiel am Deutschen Theater in Berlin 2020 uraufgeführt wurde, erlebte es am Samstag in Gera seine zweite Premiere. Im ersten Teil liefert es kaleidoskopartig mögliche Erklärungen für Hitlers Abartigkeit. Geisteskranke Vorfahren, Inzest, Syphilis, verheimlichte Affären mit Männern, Fäkalerotik und diverse Geliebte, die sich selbst umbrachten: Praunheim hebt den Despoten vom Sockel des Grauens und degradiert ihn zur Witzfigur.
Horrorausgabe einer Mutter
Großartig grotesk gerät beispielsweise die Persiflage zu Hitlers durchgeknallter Über-mutter. Michaela Dazian klebt sich hierfür einen Zweifinger-bart schief an, verdreht die Augen und rollt das Hitler-r noch militanter als der Sohn. Während dessen fragt sie den flügge gewordenen Sprössling, was er, der Schulabbrecher, denn im gefährlichen Wien wolle.
Im zweiten Teil trifft der sexuell gestörte Ns-tyrann im Himmel auf sein Vorbild: Friedrich, den Großen.
Beide teilen die Leidenschaft für Großmachtfantasien, die Verachtung für Juden, aber auch ihre fleischlichen Probleme. Fritzens Vater, der Soldatenkönig, soll den ersten Liebhaber seines Sohnes gar vor dessen Augen exekutiert haben lassen. Diese Episode lässt Antonia Marie Waßmund auf großartige Weise lebendig werden. Sie switcht zwischen despotischem Vater und verschüchtertem Friedrich gekonnt hin und her, Hitler (Michaela Dazian) bedröppelt dazwischen.
Hier wachsen unter der Regie von Damian Popp zwei Schauspielerinnen über sich hinaus. Die zwei brillanten Komödiantinnen verkörpern die Mannigfaltigkeit an Figuren mit beeindruckender Leichtigkeit, behaupten zugleich den bizarren Ideenkosmos von Praunheim und Popp mit begnadeter Souveränität. Beim Applaus möchte man gern den Spieß umdrehen und sich vor ihnen verneigen. Aber auch Regisseur Damian Popp, Ausstatterin Hanne Konrad und der musikalische Leiter Olav Kröger werden zu recht vom Publikum gefeiert. An ihrer Bühnen-welt, in die sie diese Farce setzen, stimmt einfach alles, inklusive absurder Rodeo-ziege. Eine Sternstunde Theater, die gelegentlich auch an Charlie Chaplins „Großen Diktator“denken lässt. Nichtsdestotrotz muss man Rosa von Praunheim schon mögen, um diesen eineinhalbstündigen Abend genießen zu können.
Stück geizt nicht mit Afd-kritik
Das Theater Altenburg Gera beweist mit der Auswahl des Stücks, das mit Afd-kritik nicht geizt, aber auch Mut: Immerhin setzt die Bühne es als zweites Theater überhaupt auf den Spielplan – und das in einer Stadt, in der die Rechtspopulisten rund 30 Prozent bei Wahlen einstreichen.
Nächste Vorstellungen: Freitag, 27. Januar; Samstag, 4. Februar; Sonntag, 26. Februar; Freitag, 19. Mai und Samstag, 27. Mai, jeweils 19.30 Uhr, Bühne am Park Gera