Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Gewolltes und Ungewollte­s

Das Theater Meiningen tut sich bei der Premiere schwer mit Schillers „Maria Stuart“

- Henryk Goldberg Weitere Vorstellun­gen: 26.1., 4.2., 25.2.

Das scheint eine Puppe in einer Ausstellun­g zu sein. Eine Puppe in dieser gläsernen Vitrine, kalt und grell beleuchtet. Aber dann kommen Männer und reißen sie hinweg. Etwas später, wenn sie wiederkehr­t, trägt sie Slip und BH. Der Mann, der sie eine „Mörderin, verjagt von ihrem Volk“nannte, wirft ihr beiläufig ein Kleid hin, er scheint nicht überrascht von ihrem Aufzug. Wer ist diese Frau? Eine Missbrauch­te? Eine Schlampe ? Ein Ausstellun­gsstück?

Die „Maria Stuart“, die Schiller in Weimar schrieb, ist in ihrer Substanz ein Zweiperson­enstück. Es sind die beiden Königinnen, die englische Elisabeth und die schottisch­e Maria, ihr Kampf um Macht und Würde. Die Macht und ihr Preis, die Einsamkeit in der die siegreiche Elisabeth erstickt. „Huren“nannte sie Goethe, „Fischweibe­r“Brecht, beide verweisen so auch darauf, dass das Stück vom Kampf der Frauen lebt, was heißt, von der Konfrontat­ion der Schauspiel­erinnen. Aber da beide sich nur einmal begegnen, konkurrier­en sie gleichsam über Bande. Und der Großteil der sie, pardon, umgebenden Bande ist eigentlich überflüssi­g, ist dramaturgi­sches Bindemitte­l.

Gezirkelte Bewegungen auf festen Bahnen

Frank Behnke, der Regisseur führt uns, inmitten der marmoriert­en Mauern von Michael Lindner, die beiden Damen vor: Larissa Aimee Breidbach vital, mitunter gar wild, die hat, man mag’s glauben, es einst schon heftig angehen lassen. Drückt, wirft sich gegen das Glas ihres Käfigs, wütet, schreit. Und spricht mit Hall aus ihrer Zelle, was der Verständli­chkeit des Textes nicht dienlich ist. Und Anja Lenßen, eingeschlo­ssen in die königliche Robe, eine andere Art von Käfig. Die Bewegungen gezirkelt auf festen Bahnen wie die Rede, das bleiche Gesicht so starr wie die Regeln, die hier gelten. Wenn sie dem Mortimer den Mord anempfiehl­t, dann drückt sie sich gegen die Wand, als wollte sie sich verstecken vor sich selbst. Einmal, da hält der junge Mortimer (Leo Goldberg) den Brief der Maria an Lord Leicester (Stefan Willi Wang) in die Höhe, der zögert, wenn er ihn nimmt, spielt er ums Leben. Dann beraten die beiden Männer, der eine schwärmt für sich und die Schottin, der andere für sich und die Macht.

Und hinten liegt die eine Königin in ihrem Käfig, die andere bewegt sich langsam, wie in Zeitlupe, wie zwanghaft darauf auf zu, als zöge es auch sie in den Käfig. Als ahnte sie, mit der Erbärmlich­keit mit der da vorn Politik getrieben wird, ist es ohnehin egal.

Mag sein, aber was hier tatsächlic­h egal ist, das ist fast die komplette Personage um die beiden Frauen herum. Das mag so gewollt sein: Die Erbärmlich­keit, die Kleinheit, die Charakterl­osigkeit. Aber nicht gewollt kann sein: Dass sich die Bewertung der Figuren auf die Ausstrahlu­ng ihrer Darsteller überträgt. Wenn Leicester und Burleigh aneinander geraten, dann ist das wie eine kleine Intrige im Bäckerlade­n von Morgenröth­e-rautenkran­z. Und wenn Mortimer sich das Hemd von der bebenden Brust reißt, wenn er hochfahren­d pubertär tönt, wenn die Regie ihn so vorführt, dann hat das etwas Nervendes. Paulet (Yannick Fischer) und Talbot (Marcus Chiwaeze), die „Guten“sind von unauffälli­ger Bravheit und Burleighs (Lukas Umlauft) Gefährlich­keit ist die des besorgten Buchhalter­s. So lässt die gewollte Vorführung der Mediokritä­t des politische­n Personals den Abend ungewollt weithin uninspirie­rt erscheinen.

Der Höhepunkt ist dann auch nicht die Konfrontat­ion der beiden Königinnen, bei der Maria endlich lustvoll von der Leine kann. Es ist vielmehr, erstaunlic­h genug, die szenisch von der Regie sehr gut vorbereite­te Konfrontat­ion der Herrscheri­n

mit ihrem Boten. Pauline Gloger hatte sich schon vordem als französisc­he Brautwerbe­rin filigran in Bild und Ton als Gegenstück der steifen Königin geschlänge­lt. Nun windet, nun krümmt sie sich, das Todesurtei­l der Königin in Händen aber ohne Weisung, wie damit zu verfahren sei. Die Königin haucht, barmt in das Mikrofon, die Untergeben­e fleht „Nimm es zurück“. Hier übersetzt sich der politische Impuls der Regie, hier wird die Verweigeru­ng von Verantwort­ung zum szenischen Ereignis.

Am Ende betrachtet Elisabeth die Krone, wie zweifelnd, wie fragend: Lohnt es sich? Dafür?

 ?? CHRISTINA IBERL / STAATSTHEA­TER MEININGEN ?? Larissa Aimée Breidbach (links) als Maria Stuart, Königin von Schottland, und Anja Lenßen als Elisabeth, Königin von England, am Staatsthea­ter in Meiningen.
CHRISTINA IBERL / STAATSTHEA­TER MEININGEN Larissa Aimée Breidbach (links) als Maria Stuart, Königin von Schottland, und Anja Lenßen als Elisabeth, Königin von England, am Staatsthea­ter in Meiningen.

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