Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Operation Vertrauen
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht erstmals Soldaten – in einer brisanten Lage
Politik ist manchmal oberflächlich, reduziert auf Äußerlichkeiten. Deshalb beginnt diese Geschichte ganz unten, an den Füßen von Boris Pistorius. Der neue Minister für Verteidigung steht auf einem Feld im Nirgendwo von Sachsen-anhalt. Der Boden ist hart gefroren, Gräser und Büsche bis in die Ferne, dazwischen ein paar Bauminseln. Spuren der Panzerketten graben sich durch die Landschaft.
Boris Pistorius trägt braune, feste Schuhe. Winterstiefel. Er hat eine Jacke der Bundeswehr übergezogen, in Flecktarn, an der Schulter die Deutschlandfahne aufgenäht. Ein paar Minuten zuvor hat Pistorius mit sicherem Abstand hier auf dem Truppenübungsplatz bei Altengrabow noch beobachtet, wie Schützenpanzer vom Typ Puma über das Feld rollen. Dreck spitzt
Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein. Boris Pistorius (SPD) Der Verteidigungsminister leistete Anfang der 1980er-jahre seinen Wehrdienst.
hoch, die Kanonenschüsse donnern laut, pam, pam, pam, Rauschschwaden wehen über das Feld. Panzergrenadiere springen aus der Heckklappe, gehen in Deckung, feuern aus ihren Sturmgewehren.
Pistorius ist seit sieben Tagen Verteidigungsminister. „Nächste Woche höre ich auf, die Tage zu zählen“, sagt er. Und an seinem siebten Tag besucht der Spd-politiker zum ersten Mal die Truppe, die Soldatinnen und Soldaten. „Nahbar“wolle er sein als oberster Chef der Bundeswehr, sagt Pistorius.
Pistorius steht an diesem Tag auch deshalb vor den Schützenpanzern, den Soldaten und drei Dutzend Journalisten, weil seine Vorgängerin im Amt, Christine Lambrecht, diese Nähe zur Truppe nicht aufbauen konnte, nie als „eine von ihnen“wahrgenommen wurde. Jedenfalls erzählen es so Soldaten und die Führungsebene im Ministerium.
Als Lambrecht ein paar Monate im Amt war, besucht sie die Bundeswehr in Mali. Im afrikanischen Wüstensand grüßt Lambrecht die Soldaten, trägt einen blauen Hosenanzug und Stöckelschuhe. Die
Truppe vor Ort soll sauer gewesen sein, weil die Ministerin gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen habe. Aber auch das Signal war fatal: Zehn-zentimeter-absätze passen nicht zum Kampfeinsatzmodus der Mali-truppe.
Boris Pistorius trägt auf dem Feld von Altengrabow Stiefel, wie sie auch die Soldaten tragen. Der neue Minister will mit seinem Auftritt auf dem Übungsschlachtfeld den Sound seiner Amtszeit setzen. In Niedersachsen hat er als Innenminister eines gelernt, das ihm jetzt hilft: die Ansprache an einen Apparat, der auf Führung getrimmt ist. Polizei wie Bundeswehr sind sich da sehr ähnlich. Doch das Vertrauen der Bundeswehr in die Politik ist seit mehr als zehn Jahren kaputt. Seit dem Ende des Kalten Krieges gab es vor allem eine Richtung, die von der Regierung vorgegeben wurde: nach unten.
Es waren Friedenszeiten in Europa, und Minister wie zu Guttenberg und de Maizière drückten Budgets nach unten, verschlankten den Führungsstab. Unten, bei den Soldatinnen und Soldaten, kam das nicht gut an, es fehlt seitdem an vielem, nicht nur an modernen Waffensystemen, sondern auch schon an zeitgemäßen Handschuhen und Funkgeräten. Pistorius muss dieses Vertrauen wieder aufrichten und die Soldaten für die „Zeitenwende“motivieren, die sein Kanzler ausgerufen hat.
Kurz nach der Schießübung auf dem Feld in Altengrabow steht Pistorius vor den Panzergrenadieren, spricht zu den Soldaten. Man hört nicht genau, was er sagt, nur Wortfetzen kommen an. Sein „Anspruch“sei, „schnell Lösungen“zu finden. Er freue sich, die Übung der Soldaten persönlich kennenzulernen, ihre „Einsatzfähigkeit“zu sehen.
Auch mit seiner eigenen Geschichte will Pistorius die Nähe zur Truppe aufbauen. Als er auf das Gelände des Übungsplatzes gefahren
sei, habe er ein „Déjà-vu“gehabt. Aus seiner Zeit als Wehrdienstleistender bei der Bundeswehr, Anfang der Achtziger war das. „Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein“, sagt Pistorius.
Es gibt keine brisantere Zeit. Gerade hat die Bundesregierung nach langem Zögern die Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine angekündigt. Ab der kommenden Woche sollen Ukrainer erst an dem Schützenpanzer Marder und dann am Kampfpanzer Leopard im niedersächsischen Munster ausgebildet werden.
Wer mit Soldatinnen und Soldaten auf dem Truppenübungsplatz in Altengrabow spricht, hört viel Positives über den neuen Minister. Pistorius wirke „sehr angenehm“,
„nicht steif“. Er habe sich die Belange der Armee angehört. Oberstleutnant Thorsten Fennel trainiert mit seinem Bataillon das Schießen mit scharfer Munition hier in Sachsenanhalt. Der Minister kommt auch bei Fennels Leuten vorbei, schaut sich die Sturmgewehre an. „Er hat nach Unterschieden zum alten G3 aus seiner Wehrdienstzeit gefragt“, sagt Fennel. Fragen zu Waffen, zu Technik und Taktik – das kommt an. Einer aus dem Führungsstab in Altengrabow sagt zugleich, dass die Bundeswehr keine „Wunder“erwarten dürfe, wenn nun ein Neuer in Berlin das Ministerium führe. Der Apparat ist träge, die Beschaffung von Kriegsgerät langwierig und komplex. Allein bis die ersten Bestellungen aus dem Milliardenpaket der „Zeitenwende“-politik von Kanzler Scholz vom Parlament genehmigt waren, vergingen Monate.
In der kommenden Woche plant Pistorius den nächsten Termin. Diesmal trifft er Firmen, die die Soldaten schneller mit Waffen und Panzern ausstatten sollen, die Rüstungsindustrie. Der Minister muss zurück: vom Truppenübungsplatz ins Bürozimmer. Pistorius wechselt die Bundeswehrjacke wieder gegen das Sakko.