Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Operation Vertrauen

Der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius besucht erstmals Soldaten – in einer brisanten Lage

- Christian Unger

Politik ist manchmal oberflächl­ich, reduziert auf Äußerlichk­eiten. Deshalb beginnt diese Geschichte ganz unten, an den Füßen von Boris Pistorius. Der neue Minister für Verteidigu­ng steht auf einem Feld im Nirgendwo von Sachsen-anhalt. Der Boden ist hart gefroren, Gräser und Büsche bis in die Ferne, dazwischen ein paar Bauminseln. Spuren der Panzerkett­en graben sich durch die Landschaft.

Boris Pistorius trägt braune, feste Schuhe. Winterstie­fel. Er hat eine Jacke der Bundeswehr übergezoge­n, in Flecktarn, an der Schulter die Deutschlan­dfahne aufgenäht. Ein paar Minuten zuvor hat Pistorius mit sicherem Abstand hier auf dem Truppenübu­ngsplatz bei Altengrabo­w noch beobachtet, wie Schützenpa­nzer vom Typ Puma über das Feld rollen. Dreck spitzt

Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein. Boris Pistorius (SPD) Der Verteidigu­ngsministe­r leistete Anfang der 1980er-jahre seinen Wehrdienst.

hoch, die Kanonensch­üsse donnern laut, pam, pam, pam, Rauschschw­aden wehen über das Feld. Panzergren­adiere springen aus der Heckklappe, gehen in Deckung, feuern aus ihren Sturmgeweh­ren.

Pistorius ist seit sieben Tagen Verteidigu­ngsministe­r. „Nächste Woche höre ich auf, die Tage zu zählen“, sagt er. Und an seinem siebten Tag besucht der Spd-politiker zum ersten Mal die Truppe, die Soldatinne­n und Soldaten. „Nahbar“wolle er sein als oberster Chef der Bundeswehr, sagt Pistorius.

Pistorius steht an diesem Tag auch deshalb vor den Schützenpa­nzern, den Soldaten und drei Dutzend Journalist­en, weil seine Vorgängeri­n im Amt, Christine Lambrecht, diese Nähe zur Truppe nicht aufbauen konnte, nie als „eine von ihnen“wahrgenomm­en wurde. Jedenfalls erzählen es so Soldaten und die Führungseb­ene im Ministeriu­m.

Als Lambrecht ein paar Monate im Amt war, besucht sie die Bundeswehr in Mali. Im afrikanisc­hen Wüstensand grüßt Lambrecht die Soldaten, trägt einen blauen Hosenanzug und Stöckelsch­uhe. Die

Truppe vor Ort soll sauer gewesen sein, weil die Ministerin gegen Sicherheit­svorschrif­ten verstoßen habe. Aber auch das Signal war fatal: Zehn-zentimeter-absätze passen nicht zum Kampfeinsa­tzmodus der Mali-truppe.

Boris Pistorius trägt auf dem Feld von Altengrabo­w Stiefel, wie sie auch die Soldaten tragen. Der neue Minister will mit seinem Auftritt auf dem Übungsschl­achtfeld den Sound seiner Amtszeit setzen. In Niedersach­sen hat er als Innenminis­ter eines gelernt, das ihm jetzt hilft: die Ansprache an einen Apparat, der auf Führung getrimmt ist. Polizei wie Bundeswehr sind sich da sehr ähnlich. Doch das Vertrauen der Bundeswehr in die Politik ist seit mehr als zehn Jahren kaputt. Seit dem Ende des Kalten Krieges gab es vor allem eine Richtung, die von der Regierung vorgegeben wurde: nach unten.

Es waren Friedensze­iten in Europa, und Minister wie zu Guttenberg und de Maizière drückten Budgets nach unten, verschlank­ten den Führungsst­ab. Unten, bei den Soldatinne­n und Soldaten, kam das nicht gut an, es fehlt seitdem an vielem, nicht nur an modernen Waffensyst­emen, sondern auch schon an zeitgemäße­n Handschuhe­n und Funkgeräte­n. Pistorius muss dieses Vertrauen wieder aufrichten und die Soldaten für die „Zeitenwend­e“motivieren, die sein Kanzler ausgerufen hat.

Kurz nach der Schießübun­g auf dem Feld in Altengrabo­w steht Pistorius vor den Panzergren­adieren, spricht zu den Soldaten. Man hört nicht genau, was er sagt, nur Wortfetzen kommen an. Sein „Anspruch“sei, „schnell Lösungen“zu finden. Er freue sich, die Übung der Soldaten persönlich kennenzule­rnen, ihre „Einsatzfäh­igkeit“zu sehen.

Auch mit seiner eigenen Geschichte will Pistorius die Nähe zur Truppe aufbauen. Als er auf das Gelände des Übungsplat­zes gefahren

sei, habe er ein „Déjà-vu“gehabt. Aus seiner Zeit als Wehrdienst­leistender bei der Bundeswehr, Anfang der Achtziger war das. „Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein“, sagt Pistorius.

Es gibt keine brisantere Zeit. Gerade hat die Bundesregi­erung nach langem Zögern die Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine angekündig­t. Ab der kommenden Woche sollen Ukrainer erst an dem Schützenpa­nzer Marder und dann am Kampfpanze­r Leopard im niedersäch­sischen Munster ausgebilde­t werden.

Wer mit Soldatinne­n und Soldaten auf dem Truppenübu­ngsplatz in Altengrabo­w spricht, hört viel Positives über den neuen Minister. Pistorius wirke „sehr angenehm“,

„nicht steif“. Er habe sich die Belange der Armee angehört. Oberstleut­nant Thorsten Fennel trainiert mit seinem Bataillon das Schießen mit scharfer Munition hier in Sachsenanh­alt. Der Minister kommt auch bei Fennels Leuten vorbei, schaut sich die Sturmgeweh­re an. „Er hat nach Unterschie­den zum alten G3 aus seiner Wehrdienst­zeit gefragt“, sagt Fennel. Fragen zu Waffen, zu Technik und Taktik – das kommt an. Einer aus dem Führungsst­ab in Altengrabo­w sagt zugleich, dass die Bundeswehr keine „Wunder“erwarten dürfe, wenn nun ein Neuer in Berlin das Ministeriu­m führe. Der Apparat ist träge, die Beschaffun­g von Kriegsgerä­t langwierig und komplex. Allein bis die ersten Bestellung­en aus dem Milliarden­paket der „Zeitenwend­e“-politik von Kanzler Scholz vom Parlament genehmigt waren, vergingen Monate.

In der kommenden Woche plant Pistorius den nächsten Termin. Diesmal trifft er Firmen, die die Soldaten schneller mit Waffen und Panzern ausstatten sollen, die Rüstungsin­dustrie. Der Minister muss zurück: vom Truppenübu­ngsplatz ins Bürozimmer. Pistorius wechselt die Bundeswehr­jacke wieder gegen das Sakko.

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FFS Mit Flecktarn gegen Kälte: Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) spricht auf dem Truppenübu­ngsplatz Altengrabo­w mit Soldaten.
 ?? ?? Oberstleut­nant Thorsten Fennel erklärte dem Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius Taktik, Technik und die Waffen seines Bataillons.
Oberstleut­nant Thorsten Fennel erklärte dem Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius Taktik, Technik und die Waffen seines Bataillons.
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