Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Hoffnung auf sinkende Strompreise
Die französischen Kernkraftwerke sind wieder am Netz. Das hat Folgen für deutsche Verbraucher
Paris/berlin. Das sogenannte Ecowatt-emblem, das über die Belastung des französischen Stromnetzes Auskunft gibt, leuchtet beständig grün. Es wurde im Oktober eingeführt, wird im Fernsehen nach jedem Wetterbericht eingeblendet und ist auch als App für Smartphones verfügbar. Sollte das Stromnetz an seine Belastungsgrenze kommen, würde sich Ecowatt orange verfärben. Und auf Rot springt das Emblem, falls eine Strompanne droht.
Noch im Herbst befürchtete die Regierung gezielte Abschaltungen wegen der erheblichen Probleme des nationalen und gemeinhin 70 Prozent des Strombedarfs deckenden Atommeilerparks. Im Sommer waren 28 der 56 über das Land verteilten Kernkraftwerke wegen Wartungsoder Reparaturarbeiten nicht am Netz. Bereits seit dem vergangenen April sah sich der Stromexporteur Frankreich daher gezwungen, den heimischen Energiebedarf an Strom durch teure Zukäufe auf dem europäischen Markt zu decken.
Inzwischen aber ist das Gespenst von Strompannen in weite Ferne gerückt, seit Weihnachten kann Frankreich sogar wieder Strom exportieren. 16 abgeschaltete Meiler haben ihren Betrieb wieder aufnehmen können, gleichzeitig senkten die Französinnen und Franzosen ihren Stromverbrauch um beinahe zehn Prozent. Auch der bislang vergleichsweise milde Winter spielte eine gewichtige Rolle – denn mehr als eine Drittel der französischen Haushalte heizt elektrisch. Zum Vergleich: In Deutschland sind es nur fünf Prozent.
All das sind gute Nachrichten auch für die französischen Nachbarn – und damit für Deutschland. Im Sommer und Herbst waren es nicht zuletzt die Ausfälle der französischen Meiler gewesen, die den Strompreis auch in Deutschland nach oben trieben – was die alternden Kernkraftwerke an Strom nicht liefern konnten, wurde ersetzt unter anderem aus Gaskraftwerken. Und das ausgerechnet in einer Zeit mit Spitzenpreisen beim Gas.
AKWS in Frankreich tragen zu fallenden Börsenstrompreisen bei
Und nicht nur der Effekt auf die Preise sorgte östlich des Rheins für Zähneknirschen: Die Notwendigkeit für einen De-facto-streckbetrieb der drei verbliebenen deutschen Meiler bis Mitte April, der innerhalb der Koalition für heftigen
Krach sorgte, begründete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch mit den Unsicherheiten im französischen Kraftwerkspark. Oft, sagte er damals, hätten sich die Annahmen des Stromkonzerns EDF als zu optimistisch erwiesen.
In diesem Winter allerdings hat der Konzern schneller wieder Kapazitäten ans Netz gebracht, als Beobachterinnen und Beobachter es erwartet hatten. Von Worst-case-szenarien, die die deutschen Übertragungsnetzbetreiber 2022 durchrechneten, ist man aktuell weit entfernt. Neben den französischen Kraftwerken sind auch mehr Kohlekraftwerke zurück am Netz, als zunächst erwartet wurde. Und die Gasspeicher sind Ende Januar voller als gedacht. „Die Verfügbarkeit der französischen Atomkraftwerke beobachten wir genau“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums unserer Redaktion. Aktuell sei unter diesem Gesichtspunkt die Lage stabil.
Das Ergebnis sind fallende Börsenstrompreise. Auch die AKWS in Frankreich tragen dazu bei, sagt Fabian
Huneke, Strommarkt-experte von der Beratungsfirma Energy Brainpool. „Aber es dauert, bis das bei Privatverbrauchern ankommt“, erklärt er. Auch die Preisspitzen aus dem vergangenen Jahr seien nur verzögert und zum Teil an Endkundinnen und -kunden durchgereicht worden. „Wenn der Preis jetzt nachhaltig sinkt und kein weiteres Problem dazukommt, wird auch das ankommen“, sagt er. „Es dauert wieder etwa ein Jahr, bis es durchschlägt.“
Allerdings ist keineswegs sicher, dass die Versorgungslage in Frankreich nicht wieder angespannter wird. Momentan liefern die Kernkraftwerke 74 Prozent ihrer Maximalleistung von 61 Gigawatt. Das ist ein guter Durchschnitt, da wegen turnusmäßiger Wartungsarbeiten stets einige Meiler außer Betrieb sind. Allerdings leiden die französischen Atommeiler an Überalterung. Und allein mit Laufzeitverlängerungen, die den Wartungsaufwand erheblich erhöhen, lässt sich das Problem nicht aus der Welt schaffen.
Frankreich setzt auf Atomkraft gegen den Klimawandel
Der nächste Schub periodischer Sicherheitsüberprüfungen stehe Mitte der Dekade an, sagt Huneke. Dann könnte es wieder zu längeren reparaturbedingten Ausfällen kommen. „Die Kraftwerke sind alle ähnliche Bauarten, in einem ähnlichen Alter“, sagt er. „Das ist ein Klumpenrisiko.“Erneute Engpässe sind mittelfristig nicht auszuschließen.
Dazu kommen klimabedingte Unwägbarkeiten: 2022 mussten einige Kraftwerke auch deshalb ihre Leistung drosseln, weil viele Flüsse in einem heißen, trockenen Sommer kaum noch Wasser führten und das Kühlwasser der Kraftwerke die Gewässer und ihre Ökosysteme über die Belastungsgrenze hinaus erwärmt hätte. Das Risiko einer eingeschränkten Verfügbarkeit im Sommer steige mit dem Fortschreiten des Klimawandels, so Huneke.
Doch Frankreich setzt im Kampf gegen die Klimakrise mit Nachdruck auf die Kernkraft. Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, sechs neue Kernkraftwerke auflegen zu lassen. Ein entsprechendes Gesetz, das zudem den Bau von weiteren acht Meilern als „Zukunftsoption“enthält, dürfte noch vor dem Sommer verabschiedet werden.
Das bedeutet eine Abkehr von der durch Macrons Vorgänger François Hollande beschlossenen Verringerung der nationalen Abhängigkeit vom Atomstrom auf 50 Prozent. Über Deutschland, das unterdessen seine letzten Kernkraftwerke im April tatsächlich abschalten will, schüttelt man dagegen in Paris den Kopf.
In Berlin aber soll die Debatte darüber jetzt endgültig beendet sein – die Meiler würden vom Netz gehen, bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz im Januar die Entscheidung. „Definitiv.“
Die Kraftwerke sind alle ähnliche Bauarten, in einem ähnlichen Alter. Das ist ein Klumpenrisiko. Fabian Huneke, Strommarkt-experte