Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Möglichkeitsräume der Neugierde
Direktor Kai Uwe Schierz über aktuelle Zustände und über Entwicklungsperspektiven der Kunstmuseen in Erfurt
Im sächsischen Bischofswerda geboren, lebt und arbeitet Kai Uwe Schierz (59) seit 1983 in Erfurt. Nach dem Studium begann er seine Laufbahn als Kurator in der Kunsthalle; seit 2011 fungiert er als Direktor aller Kunstmuseen der Landeshauptstadt. Zudem bekleidet er eine Honorarprofessur an der Bauhaus-universität Weimar. Wir sprachen mit Schierz über Spielräume, Bedürfnisse und Entfaltungsoptionen der Kunsträume in Erfurt.
Sie und Ihre Teams bespielen vier Häuser. Können Sie bitte Ihr Programm 2023 kurz skizzieren?
In der Kunsthalle setzt Susanne Knorr einen starken Akzent auf die zeitgenössische Fotografie mit Ausstellungen etwa von Gudrun Kemsa und der Gruppe Engelberg; im Angermuseum zeigen wir mit Alexander Camaro einen Meister der Nachkriegsmalerei, der übrigens schon 1936 als Tänzer in Gotha gastierte, widmen uns der expressionistischen Künstlergruppe De Ploeg und zeigen später im Jahr zeitgenössische Arbeiten aus dem litauischen Vilnius, einer Partnerstadt Erfurts.
Dazu gibt’s noch Schauräume in zwei kleineren Häusern…
Auf Schloss Molsdorf bedenkt Kuratorin Silke Opitz gern unsere jüngeren Gäste und zeigt dort Julia Kneise mit ihren Märchenthemen sowie die Weimarer Kinderbuch-illustratorin Ina Hattenhauer. Im Waidspeicher hat Philipp Schreiner junge Kunstakteure parat, die gerne auch politisch Position beziehen.
Das heißt, für jedes Haus gibt es eine eigene Handschrift?
So ist es. Dabei liegt es uns am Herzen, kunsthistorische und aktuelle Bezüge herzustellen, die sich mit der Stadt und Region verbinden.
Überwinden Sie mit Ausstellungen die 10.000-Besucher-schallmauer?
Derzeit eher nicht. 2019 haben wir das mit den „Bauhaus-mädels“geschafft, und auch Michael Triegel hat das 2018 erreicht.
Wie können Sie damit zufrieden sein?
Besucherzahlen sind wichtig, aber nicht alles. Populismus interessiert
mich nicht, mir kommt es mehr auf die Nachhaltigkeit des Programms an, das Qualität zeigt und nachvollziehbar etwas mit uns, mit den heutigen Menschen, unserer Geschichte und unserer Stadt, zu tun hat.
Leisten Sie es sich, eigene Ausstellungen zu kuratieren? Wie groß sind die finanziellen Spielräume?
Wir entwickeln relativ viele Projekte selbst, arbeiten allerdings – weil’s natürlich wirtschaftlicher ist – meist in Kooperationen, beispielsweise aktuell bei Clemens Gröszers „Magie der Wirklichkeit“oder zuvor in Sachen Mattheuer-krüger. Wir müssen sehr genau aufs Geld und auf verfügbare Manpower schauen.
Und reicht das, um die Möglichkeitsräume der Kunst in gebührender Weise auszuschreiten?
Ich weiß längst und es wurde inzwischen auch offiziell festgestellt, dass wir sowohl personell wie finanziell
unauskömmlich ausgestattet sind. Wenn wir wie in diesem Jahr mit der Städtischen Galerie Bietigheim-bissingen bei „De Ploeg“kooperieren, erklären mir die dortigen Kollegen, dass sie mit 35.000 bis 40.000 Euro Eigenmitteln pro Ausstellung planen können, während wir im Angermuseum mit einem solchen Budget ein ganzes Jahr über auskommen müssen. Eine andere Liga: Das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen setzt in der Regel das Zehnfache für ein Ausstellungsprojekt an. Wir schätzen uns glücklich, dass wir die „Family Affairs“von dort in die Kunsthalle übernehmen durften.
Und leben von Brosamen… Wie ist das Erfurt angemessen?
Erfurt war ja bis in die 1940er-jahre preußische Provinzstadt – und das Museum schon damals schlecht aufgestellt. Nur haben, zumal in der Weimarer Republik, engagierte Förderer
aus der Bürgerschaft diese Scharte kompensiert – zum Beispiel die Mitglieder des rührigen Kunstvereins. Und damals wie heute hielten und halten die Ausstellungsmacher mit selbstausbeuterischem Trotz dagegen – nach der Devise: „Wir machen’s trotzdem!“
Wie sollte sich nach Ihren Vorstellungen der Kunstraum der Landeshauptstadt künftig entwickeln?
Das kann die Stadt nicht allein beantworten, dazu wäre auch der Freistaat gefragt. Allerdings ist in Thüringen zwar Erfurt die Landeshauptstadt, die Kulturhauptstadt jedoch Weimar. Dort wird sehr vieles gefördert. Ich persönlich kämpfe dafür, in Erfurt zeitgemäße, an hohen Qualitätsmaßstäben orientierte Kunst und Kultur anzubieten – auch wenn wir die grundsätzlichen Weichenstellungen akzeptieren und unsere Depots nicht mit den ehemals fürstlichen Sammlungen
in Nachbarstädten wie Gotha und Weimar vergleichen. Aber unser Anspruch ist nicht, im Schatten zu stehen. Wir setzen eigene Akzente, etwa mit dem Fotografie-programm der Kunsthalle, nach Kräften.
Müssten Sie nicht mehr in Marketing und Begleitprogramme investieren?
Alle Akteure in Erfurt wissen, dass wir uns mehr für Kunstvermittlung engagieren müssen. Um erfolgreicher zu sein, müssen wir das unbedingt ausbauen
Was ist der Gewinn, wenn ich etwa sonntags zum Familienausflug oder dienstags zur „Kunstpause“über Mittag eines Ihrer Museen besuche?
Sie können aufregende, inspirierende Entdeckungen machen und mit anderen Gästen darüber diskutieren. Wer neugierig ist, ist bei uns richtig.
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