Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Südharzer Forst hat Pionierrol­le in Thüringen

Fünf Jahre arbeiten die Leiter der Harz-reviere im Krisenmodu­s – ihre Erfahrunge­n nützen nun landesweit

- Kristin Müller

Dicht war der Wald, die Straße von Rothesütte ein schmales Band durch dunkles Grün. Auf einer Lichtung folgte Sophienhof. Forstrevie­rleiter Uwe Kleemann kennt dieses Bild. In seinen Erinnerung­en blitzt es auf an diesem Januarmorg­en.

Holzstapel säumen den Weg, teils drei Meter hoch. Der Blick kann ins Weite schweifen, über kahle Flächen, an einzelnen Baumgruppe­n vorbei. Ob das beidseits der Straße zwischen Rothesütte und Sophienhof noch Wald sei? „Laut Gesetz ja“, antwortet Uwe Kleemann. Der letzte zusammenhä­ngende Fichtenbes­tand in seinem 1900 Hektar großen Revier ist zwischen Stierbergs­teich und Sophienhof gerade einmal 15 Hektar groß.

Forstamtsl­eiter Gerd Thomsen ist um die langfristi­ge Perspektiv­e bemüht: „Das ist Wald in der Zerfallsph­ase“, blickt er auf dürre Borkenkäfe­rfichten. Eine halbe Stunde später klingt gar Vorfreude an: „In 20 bis 40 Jahren wird das hier oben ein richtig interessan­tes, abwechslun­gsreiches Waldbild sein.“

130 von 1500 Hektar Kahlfläche­n wurden voriges Jahr aufgeforst­et

Borkenkäfe­r und Dürre haben den Forst zum Waldumbau in ungeahnter Dimension gezwungen. Strukturun­d artenreich­er soll er werden. Fünf Jahre schon arbeitet der Südharzer Forst in den Harzrevier­en Sophienhof, Wiegersdor­f und Braunstein­haus im Krisenmodu­s – und geriet unfreiwill­ig in eine Pionierrol­le in Thüringen. Kollegen aus anderen Landesteil­en, erzählt Thomsen, kommen, um von den Erfahrunge­n der Südharzer zu lernen.

Manch Einsicht war bitter. Etwa die, dass der Kampf gegen den Borkenkäfe­r nicht zu gewinnen ist, wenn binnen fünf Jahren vier Jahrhunder­tdürren herrschen. Das Insekt hat inzwischen 90 Prozent der Fichten im Südharz hinweggera­fft. Um das Holz zumindest noch zu

möglichst guten Preisen verkaufen zu können, wurde im Landeswald so viel eingeschla­gen wie nie, im Spitzenjah­r 2020 das Vierfache der üblichen 40.000 Festmeter und auch voriges Jahr noch die etwa doppelte Menge.

Etwa 1500 Hektar Kahlfläche­n entstanden. Dabei soll es im Wesentlich­en bleiben, sagt Amtsleiter Thomsen. Denn vom Kahlschlag ist der Forst im Sommer 2021 abgerückt. Die neue Strategie ist, nur etwa jeden zweiten toten Baum herauszune­hmen. Die anderen sorgen für Struktur in der Landschaft, geben zumindest eine Anmutung von Wald. „Der Wald hat nicht nur eine Wirtschaft­sfunktion, sondern auch eine Erholungs- und Biodiversi­tätsfunkti­on. Uns kann es deshalb nicht

nur um Gewinnmaxi­mierung gehen.“So sehr die aufgelicht­eten Bestände etwa zum Pilzesamme­ln locken – es bestehen Risiken, warnt der Forstamtsc­hef. Denn nach etwa zwei Jahren brechen tote Fichten: Kronenteil­e können abstürzen, später auch Stammteile. „Für diese typischen Waldgefahr­en haftet niemand.“

Umgestürzt­e Bäume haben wiederum vielerlei Nutzen: Vor dem Verrotten bildet das Holz Jungbäumen einen vor Wildverbis­s schützende­n Verhau. Verrottet es, bekommt der Boden Nährstoffe für andere Pflanzen.

Leichter als in kompletten Totholzbes­tänden kann in den aufgelicht­eten Beständen nachgepfla­nzt werden. Das geschieht direkt an

den alten Stämmen oder Stubben. Denn die – das ist noch eine Einsicht der vergangene­n Jahre – bieten viel bessere Bedingunge­n für junge Weißtannen, Ahorn oder Douglasien auch als komplett freigeräum­te Flächen. Im Nordwesten des alten Holzes in die Erde gesetzt, sind die Bäumchen geschützt vor Sonne und Wind.

Voriges Jahr gelang mit 600.000 Euro die Aufforstun­g auf etwa 130 Hektar. Die Trockenhei­t von 2022 hätten die jungen Laubbäume recht gut verkraftet, beim Nadelholz wie der Douglasie indes habe es Ausfälle zwischen 50 und 80 Prozent gegeben, so Thomsen.

In diesem Jahr stehen 350.000 Euro für den Waldumbau im Landkreis bereit. Ausschließ­lich in den

Harzrevier­en, wo die Fichte bis 2018 dominiert hat, wird nachgepfla­nzt. Für eine Naturverjü­ngung fehlt hier vielerorts schlicht die Grundlage, also Früchte bildende Altbäume.

Uwe Kleemann zeigt südlich der Straße nach Sophienhof eine umzäunte Fläche, knapp zwei Hektar groß. Seit vorigem Herbst wachsen hier junge Eichen und Hainbuchen. Etwa zehn solcher Eichen-flächen will das Forstamt pro Jahr etablieren, mehr ist finanziell nicht drin.

Und wieder denkt Forstamtsl­eiter Thomsen langfristi­g: In etwa einem halben Jahrhunder­t werden diese Eichen Früchte tragen – die Grundlage für eine aus Naturverjü­ngung nachwachse­nde nächste Waldgenera­tion.

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KRISTIN MÜLLER (3) Direkt an Stubben oder toten Stämmen gepflanzt, haben junge Bäume viel bessere Überlebens­chancen. Sie sind hier vor Sonne und Wind geschützt. Das macht sich der Forst inzwischen zunutze und sieht auch deshalb von weiteren Kahlschläg­en ab.
 ?? ?? Forstamtsl­eiter Gerd Thomsen freut sich auf ein „interessan­tes und artenreich­es Waldbild“in 20 bis 40 Jahren.
Forstamtsl­eiter Gerd Thomsen freut sich auf ein „interessan­tes und artenreich­es Waldbild“in 20 bis 40 Jahren.
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Revierleit­er Uwe Kleemann zwischen Sophienhof und Rothesütte.

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