Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Südharzer Forst hat Pionierrolle in Thüringen
Fünf Jahre arbeiten die Leiter der Harz-reviere im Krisenmodus – ihre Erfahrungen nützen nun landesweit
Dicht war der Wald, die Straße von Rothesütte ein schmales Band durch dunkles Grün. Auf einer Lichtung folgte Sophienhof. Forstrevierleiter Uwe Kleemann kennt dieses Bild. In seinen Erinnerungen blitzt es auf an diesem Januarmorgen.
Holzstapel säumen den Weg, teils drei Meter hoch. Der Blick kann ins Weite schweifen, über kahle Flächen, an einzelnen Baumgruppen vorbei. Ob das beidseits der Straße zwischen Rothesütte und Sophienhof noch Wald sei? „Laut Gesetz ja“, antwortet Uwe Kleemann. Der letzte zusammenhängende Fichtenbestand in seinem 1900 Hektar großen Revier ist zwischen Stierbergsteich und Sophienhof gerade einmal 15 Hektar groß.
Forstamtsleiter Gerd Thomsen ist um die langfristige Perspektive bemüht: „Das ist Wald in der Zerfallsphase“, blickt er auf dürre Borkenkäferfichten. Eine halbe Stunde später klingt gar Vorfreude an: „In 20 bis 40 Jahren wird das hier oben ein richtig interessantes, abwechslungsreiches Waldbild sein.“
130 von 1500 Hektar Kahlflächen wurden voriges Jahr aufgeforstet
Borkenkäfer und Dürre haben den Forst zum Waldumbau in ungeahnter Dimension gezwungen. Strukturund artenreicher soll er werden. Fünf Jahre schon arbeitet der Südharzer Forst in den Harzrevieren Sophienhof, Wiegersdorf und Braunsteinhaus im Krisenmodus – und geriet unfreiwillig in eine Pionierrolle in Thüringen. Kollegen aus anderen Landesteilen, erzählt Thomsen, kommen, um von den Erfahrungen der Südharzer zu lernen.
Manch Einsicht war bitter. Etwa die, dass der Kampf gegen den Borkenkäfer nicht zu gewinnen ist, wenn binnen fünf Jahren vier Jahrhundertdürren herrschen. Das Insekt hat inzwischen 90 Prozent der Fichten im Südharz hinweggerafft. Um das Holz zumindest noch zu
möglichst guten Preisen verkaufen zu können, wurde im Landeswald so viel eingeschlagen wie nie, im Spitzenjahr 2020 das Vierfache der üblichen 40.000 Festmeter und auch voriges Jahr noch die etwa doppelte Menge.
Etwa 1500 Hektar Kahlflächen entstanden. Dabei soll es im Wesentlichen bleiben, sagt Amtsleiter Thomsen. Denn vom Kahlschlag ist der Forst im Sommer 2021 abgerückt. Die neue Strategie ist, nur etwa jeden zweiten toten Baum herauszunehmen. Die anderen sorgen für Struktur in der Landschaft, geben zumindest eine Anmutung von Wald. „Der Wald hat nicht nur eine Wirtschaftsfunktion, sondern auch eine Erholungs- und Biodiversitätsfunktion. Uns kann es deshalb nicht
nur um Gewinnmaximierung gehen.“So sehr die aufgelichteten Bestände etwa zum Pilzesammeln locken – es bestehen Risiken, warnt der Forstamtschef. Denn nach etwa zwei Jahren brechen tote Fichten: Kronenteile können abstürzen, später auch Stammteile. „Für diese typischen Waldgefahren haftet niemand.“
Umgestürzte Bäume haben wiederum vielerlei Nutzen: Vor dem Verrotten bildet das Holz Jungbäumen einen vor Wildverbiss schützenden Verhau. Verrottet es, bekommt der Boden Nährstoffe für andere Pflanzen.
Leichter als in kompletten Totholzbeständen kann in den aufgelichteten Beständen nachgepflanzt werden. Das geschieht direkt an
den alten Stämmen oder Stubben. Denn die – das ist noch eine Einsicht der vergangenen Jahre – bieten viel bessere Bedingungen für junge Weißtannen, Ahorn oder Douglasien auch als komplett freigeräumte Flächen. Im Nordwesten des alten Holzes in die Erde gesetzt, sind die Bäumchen geschützt vor Sonne und Wind.
Voriges Jahr gelang mit 600.000 Euro die Aufforstung auf etwa 130 Hektar. Die Trockenheit von 2022 hätten die jungen Laubbäume recht gut verkraftet, beim Nadelholz wie der Douglasie indes habe es Ausfälle zwischen 50 und 80 Prozent gegeben, so Thomsen.
In diesem Jahr stehen 350.000 Euro für den Waldumbau im Landkreis bereit. Ausschließlich in den
Harzrevieren, wo die Fichte bis 2018 dominiert hat, wird nachgepflanzt. Für eine Naturverjüngung fehlt hier vielerorts schlicht die Grundlage, also Früchte bildende Altbäume.
Uwe Kleemann zeigt südlich der Straße nach Sophienhof eine umzäunte Fläche, knapp zwei Hektar groß. Seit vorigem Herbst wachsen hier junge Eichen und Hainbuchen. Etwa zehn solcher Eichen-flächen will das Forstamt pro Jahr etablieren, mehr ist finanziell nicht drin.
Und wieder denkt Forstamtsleiter Thomsen langfristig: In etwa einem halben Jahrhundert werden diese Eichen Früchte tragen – die Grundlage für eine aus Naturverjüngung nachwachsende nächste Waldgeneration.