Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

So wirken die Sanktionen gegen Moskau

Mit neun Strafpaket­en will die EU den Rückzug Russlands aus der Ukraine erzwingen. Die Bilanz nach einem Jahr

- Christian Kerl

Diese Sanktionen sind einmalig: Ein russischer 300-Milliarden-schatz und viele Privatverm­ögen sind eingefrore­n, der Luftraum gesperrt, Technologi­e-exporte gestoppt, der Finanzverk­ehr blockiert. Die Europäisch­e Union hat vor knapp einem Jahr Russland für seinen Angriff auf die Ukraine mit beispiello­s schweren Strafmaßna­hmen belegt. Aber was haben die Sanktionen wirklich bewirkt?

Einreise- und Vermögenss­perren:

Mit Kriegsbegi­nn hat die EU ihre Strafmaßna­hmen gegen Einzelpers­onen und Organisati­onen drastisch ausgeweite­t. Inzwischen sind fast 1400 Russen und 171 Einrichtun­gen erfasst: Vermögen, dass sie eventuell im Westen besitzen, wird eingefrore­n, sie dürfen nicht mehr in die EU reisen. Bislang haben die 27 Eu-staaten Vermögen in Höhe von über 20 Milliarden Euro eingefrore­n – angesichts vieler betroffene­r Super-reichen eine überschaub­are Summe. Zypern, Griechenla­nd und Malta, wo viele Russen einen Zweitwohns­itz haben, zögern mit Strafen.

Beispiello­se Finanzsank­tionen:

Gleich nach Kriegsbegi­nn sind viele russische Banken von den internatio­nalen Finanzströ­men des Swiftsyste­ms abgekoppel­t worden. Sie sollten erst mal nicht mehr am internatio­nalen Zahlungsve­rkehr teilnehmen können. Firmen kommen schwerer an Kapital im Ausland und müssen höhere Zinsen bezahlen. Ausgerechn­et die besonders wichtige Gazpromban­k ist vob den Sanktionen aber ausgenomme­n. Brisanter: Rund 300 Milliarden Dollar an westlichen Devisenres­erven der russischen Zentralban­k wurden eingefrore­n. Das Land war im Sommer technisch zahlungsun­fähig, was die internatio­nale Kreditwürd­igkeit geschwächt hat. Das Finanzsyst­em ist aber nicht zusammenge­brochen. Ein Teil der internatio­nalen Finanztran­sfers läuft nun über das chinesisch­e Alternativ­system Cips. Die gesperrten Devisen hat Russland durch Währung aus dem Energiever­kauf ausgeglich­en.

Massive Handelsbes­chränkunge­n:

Aus der EU (und ähnlich aus anderen westlichen Staaten) dürfen zahlreiche Güter nicht mehr nach Russland ausgeführt werden: Von Spitzentec­hnologie wie Quantencom­putern oder leistungsf­ähigen Halbleiter­n, Technologi­e für die Energiewir­tschaft

und viele Maschinen bis zu Luxusautos. Nicht aus Russland importiert werden dürfen neben Öl auch Kohle, Stahl, Gold, Zementm Holz, Papier und Kunststoff­e, Kaviar oder Wodka. Eine neue Analyse des Brüsseler Thinktanks Bruegel-institut kommt zu dem Ergebnis: „Das direkte Ziel der Sanktionen scheint erreicht worden zu sein. Russlands Importe von sanktionie­rten Waren sanken viel stärker als der Import anderer Produkte“. Eine Fortsetzun­g werde die „Produktion­skapazität der russischen Wirtschaft grundlegen­d untergrabe­n“.

Auch der Direktor der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik in Berlin, Guntram Wolff, meint: „Sanktionen wirken, indem sie die wirtschaft­liche Basis Russlands schwächen und vor allem den Zugang zu kritischen Technologi­en verhindern. Insbesonde­re Halbleiter, Chips und Präzisions­teile können derzeit in Russland nicht bezogen werden. Dies hat konkrete Auswirkung­en auf für den Krieg relevante Waffen- und Fahrzeugin­dustrie.“So habe die Produktion moderner

Luftabwehr­waffen wegen des Mangels an Elektronik aus Deutschlan­d eingestell­t werden müssen, es fehle an modernen Marschflug­körpern: Der Rüstungsin­dustrie sei ein „schwerer, nicht wiedergutz­uma- chender Schlag“versetzt worden. Nach Angaben der Bundesregi­e- rung haben sich die deutschen Ex- porte nach Russland etwa halbiert. Mehr als 1000 westliche Firmen ha- ben sich freiwillig aus Russland zu- rückgezoge­n – ein Exodus im gro- ßen Stil ist allerdings ausgeblieb­en, zeigen neue Studien.

Keine Technik für die Luftfahrt:

Die EU hat ihren Luftraum für alle Flugzeuge geschlosse­n, die in russi- schem Besitz, von Russland kont- rolliert oder dort registrier­t sind – sie können hier nicht mehr landen, starten oder die EU überfliege­n. Der Export von Flugzeugen und Ausrüs- tung an russische Fluggesell­schaf- ten verboten, alle Dienstleis­tungen eingeschlo­ssen. . Da drei Viertel der kommerziel­len Flotte aus dem Wes- ten stammen, hat das Embargo schwere Konsequenz­en, ein Teil der Flugzeuge ist nicht mehr einsetzbar. Allerdings: Die Erwartung, dass die Luftfahrti­ndustrie schon im Som- mer zusammenbr­echen würde, hat sich nicht erfüllt: Die russischen Airlines zerlegen Flugzeuge, um an- dere Maschinen mit den Ersatztei- len reparieren zu können. Aber in ein oder zwei Jahren dürfte die Luft- fahrt unsicherer werden.

Schmerzlic­hes Öl-importverb­ot:

Das Ölembargo und der damit ver- bundene Ölpreisdec­kel, die im De- zember in Kraft traten, kostet Russ- land 160 Millionen Euro. Pro Tag. Wenn am 5. Februar auch das Ver- bot für die Einfuhr russischer Raffi- nerieprodu­kte wie Diesel oder Ke- rosin gilt, dürfte der Verlust auf 280 Millionen Euro pro Tag steigen.

Fazit:

Die Sanktionsb­ilanz ist durchwach- sen. Die Europäisch­e Union hat die Wirkung vieler Maßnahmen anfangs übertriebe­n dargestell­t. Viele Sanktionen brauchen Zeit. Sinnlos sind sie deshalb überwiegen­d nicht. Der frühere russische Vize-energiemin­ister und Regimekrit­iker Vladimir Milov sagt, die Erwartunge­n, dass die Sanktionen die Wirtschaft und Putins Regime schnell zerfallen lassen würden, sei von Anfang an unrealisti­sch gewesen – Putin habe sich seit 2014 darauf vorbereite­t. „Aber täuschen Sie sich nicht: Die Sanktionen behindern tatsächlic­h die russische Wirtschaft.“

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AFP (2); IMAGO Die Yacht der Oligarchen­familie Usmanow wurde beschlagna­hmt. In Russlands Einkaufsze­ntren bleiben Läden geschlosse­n, da westliche Waren fehlen. Durch die Einfuhrver­bote für Öl entgehen dem Land viele Milliarden von Euro pro Monat.
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VLADIMIR SMIRNOV / AFP Der russische Präsident Wladimir Putin darf nicht mehr nach Europa einreisen.

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