Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
So wirken die Sanktionen gegen Moskau
Mit neun Strafpaketen will die EU den Rückzug Russlands aus der Ukraine erzwingen. Die Bilanz nach einem Jahr
Diese Sanktionen sind einmalig: Ein russischer 300-Milliarden-schatz und viele Privatvermögen sind eingefroren, der Luftraum gesperrt, Technologie-exporte gestoppt, der Finanzverkehr blockiert. Die Europäische Union hat vor knapp einem Jahr Russland für seinen Angriff auf die Ukraine mit beispiellos schweren Strafmaßnahmen belegt. Aber was haben die Sanktionen wirklich bewirkt?
Einreise- und Vermögenssperren:
Mit Kriegsbeginn hat die EU ihre Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Organisationen drastisch ausgeweitet. Inzwischen sind fast 1400 Russen und 171 Einrichtungen erfasst: Vermögen, dass sie eventuell im Westen besitzen, wird eingefroren, sie dürfen nicht mehr in die EU reisen. Bislang haben die 27 Eu-staaten Vermögen in Höhe von über 20 Milliarden Euro eingefroren – angesichts vieler betroffener Super-reichen eine überschaubare Summe. Zypern, Griechenland und Malta, wo viele Russen einen Zweitwohnsitz haben, zögern mit Strafen.
Beispiellose Finanzsanktionen:
Gleich nach Kriegsbeginn sind viele russische Banken von den internationalen Finanzströmen des Swiftsystems abgekoppelt worden. Sie sollten erst mal nicht mehr am internationalen Zahlungsverkehr teilnehmen können. Firmen kommen schwerer an Kapital im Ausland und müssen höhere Zinsen bezahlen. Ausgerechnet die besonders wichtige Gazprombank ist vob den Sanktionen aber ausgenommen. Brisanter: Rund 300 Milliarden Dollar an westlichen Devisenreserven der russischen Zentralbank wurden eingefroren. Das Land war im Sommer technisch zahlungsunfähig, was die internationale Kreditwürdigkeit geschwächt hat. Das Finanzsystem ist aber nicht zusammengebrochen. Ein Teil der internationalen Finanztransfers läuft nun über das chinesische Alternativsystem Cips. Die gesperrten Devisen hat Russland durch Währung aus dem Energieverkauf ausgeglichen.
Massive Handelsbeschränkungen:
Aus der EU (und ähnlich aus anderen westlichen Staaten) dürfen zahlreiche Güter nicht mehr nach Russland ausgeführt werden: Von Spitzentechnologie wie Quantencomputern oder leistungsfähigen Halbleitern, Technologie für die Energiewirtschaft
und viele Maschinen bis zu Luxusautos. Nicht aus Russland importiert werden dürfen neben Öl auch Kohle, Stahl, Gold, Zementm Holz, Papier und Kunststoffe, Kaviar oder Wodka. Eine neue Analyse des Brüsseler Thinktanks Bruegel-institut kommt zu dem Ergebnis: „Das direkte Ziel der Sanktionen scheint erreicht worden zu sein. Russlands Importe von sanktionierten Waren sanken viel stärker als der Import anderer Produkte“. Eine Fortsetzung werde die „Produktionskapazität der russischen Wirtschaft grundlegend untergraben“.
Auch der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, Guntram Wolff, meint: „Sanktionen wirken, indem sie die wirtschaftliche Basis Russlands schwächen und vor allem den Zugang zu kritischen Technologien verhindern. Insbesondere Halbleiter, Chips und Präzisionsteile können derzeit in Russland nicht bezogen werden. Dies hat konkrete Auswirkungen auf für den Krieg relevante Waffen- und Fahrzeugindustrie.“So habe die Produktion moderner
Luftabwehrwaffen wegen des Mangels an Elektronik aus Deutschland eingestellt werden müssen, es fehle an modernen Marschflugkörpern: Der Rüstungsindustrie sei ein „schwerer, nicht wiedergutzuma- chender Schlag“versetzt worden. Nach Angaben der Bundesregie- rung haben sich die deutschen Ex- porte nach Russland etwa halbiert. Mehr als 1000 westliche Firmen ha- ben sich freiwillig aus Russland zu- rückgezogen – ein Exodus im gro- ßen Stil ist allerdings ausgeblieben, zeigen neue Studien.
Keine Technik für die Luftfahrt:
Die EU hat ihren Luftraum für alle Flugzeuge geschlossen, die in russi- schem Besitz, von Russland kont- rolliert oder dort registriert sind – sie können hier nicht mehr landen, starten oder die EU überfliegen. Der Export von Flugzeugen und Ausrüs- tung an russische Fluggesellschaf- ten verboten, alle Dienstleistungen eingeschlossen. . Da drei Viertel der kommerziellen Flotte aus dem Wes- ten stammen, hat das Embargo schwere Konsequenzen, ein Teil der Flugzeuge ist nicht mehr einsetzbar. Allerdings: Die Erwartung, dass die Luftfahrtindustrie schon im Som- mer zusammenbrechen würde, hat sich nicht erfüllt: Die russischen Airlines zerlegen Flugzeuge, um an- dere Maschinen mit den Ersatztei- len reparieren zu können. Aber in ein oder zwei Jahren dürfte die Luft- fahrt unsicherer werden.
Schmerzliches Öl-importverbot:
Das Ölembargo und der damit ver- bundene Ölpreisdeckel, die im De- zember in Kraft traten, kostet Russ- land 160 Millionen Euro. Pro Tag. Wenn am 5. Februar auch das Ver- bot für die Einfuhr russischer Raffi- nerieprodukte wie Diesel oder Ke- rosin gilt, dürfte der Verlust auf 280 Millionen Euro pro Tag steigen.
Fazit:
Die Sanktionsbilanz ist durchwach- sen. Die Europäische Union hat die Wirkung vieler Maßnahmen anfangs übertrieben dargestellt. Viele Sanktionen brauchen Zeit. Sinnlos sind sie deshalb überwiegend nicht. Der frühere russische Vize-energieminister und Regimekritiker Vladimir Milov sagt, die Erwartungen, dass die Sanktionen die Wirtschaft und Putins Regime schnell zerfallen lassen würden, sei von Anfang an unrealistisch gewesen – Putin habe sich seit 2014 darauf vorbereitet. „Aber täuschen Sie sich nicht: Die Sanktionen behindern tatsächlich die russische Wirtschaft.“