Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Gleichnis für das Grauen unserer Zeit
„Die Belagerung von Korinth“feiert am Theater Erfurt umjubelte Premiere
Erfurt. Wenn auf der Burg als letzter Zuflucht die Fässer brennen, mangelt es den Belagerten und Beschossenen an Licht, Wärme und Energie. Ob in Kiew oder Korinth, der Krieg zeigt den Friedfertigen seine Fratze. In ein Gleichnis für das Grauen unserer Zeit verwandelt Regisseur Markus Dietz die dreiaktige Oper „Die Belagerung von Korinth“von Gioachino Rossini, die am Samstag im Theater Erfurt bejubelte Premiere feierte.
Die Bühne – der U-bahnschacht, ein Luftschutzkeller? – ist eng, mehr als 100 Sänger, Choristen, Statisten und zusätzliche Bürgerstatisten in abgerissener Kleidung kauern angsterfüllt im Proszenium, eingepfercht zwischen Orchestergraben und zweigeschossigen Stahlgerüsten. Rossinis packende lyrische Tragödie, uraufgeführt 1826 in Paris als Vorgeschmack auf die „Grand opéra“, bezieht die historische Handlung um den Sultan
Mahomet II auf den griechischen Freiheitskampf gegen die osmanischen Herrscher der 1820er Jahre.
In seiner Inszenierung geht Markus Dietz noch einen Schritt weiter und hebt das Libretto auf eine überzeitliche Ebene von Gewalt und Unterdrückung. Die türkischen Besatzer marschieren in staatenloser Söldnerkluft (Kostüme: Mayke Hegger) in Korinth – oder ist es die Krim? – ein. Die schwarz vermummten Choristen tragen dabei keine Waffen, sondern unterjochen kraft der Macht ihres Gesangs. Es ist ein fulminanter Abend des
Opernchors, gedrillt von Markus Baisch, der später in einem Gänsehautmoment auch die Zuschauer in die Zange nimmt.
Der Chor als ein Hauptdarsteller in statischen Tableaus: Dieser Konvention der „Grand opéra“entspricht Regisseur Dietz – in einem nicht aufwendig dekorierten, sondern bewusst kahl und kühl ausstaffierten Bühnenraum (Bühne: Ines Nadler). Das Gesangsensemble macht in französischer Sprache eine blendende Figur, allen voran Primadonna Candela Gotelli in der Rolle der Griechin Pamyra mit weichem, biegsamem und agilem Sopran. Ihre Liebe zum feindlichen Feldherrn Mahomet II, profund und kraftvoll verkörpert von Arturo Espinosa, ist zum Scheitern verurteilt.
Pamyras überzeugend gespielte innere Zerrissenheit als Kern der Opernhandlung mündet im dritten Akt in ihre Entscheidung zugunsten der geknechteten Korinther und ihres in Khaki und Flecktarn gekleideten Vater Cléomène (Luc Robert), der seinen glutvollen Tenor wie einen schützenden Schild erhebt. Zugleich verbindet sie sich mit dem griechischen Kämpfer Néoclès, hell schimmernd und weithin tragend gesungen von Brett Sprague. Doch auch die Prophezeiung des Grabwächters Hiéros (warm und geschliffen: Emanuel Jessel) über einen griechischen Sieg kann den Suizid Pamyras in schier aussichtsloser Lage nicht verhindern.
Nicht nur Gesangsensemble und Chor vermochten in dieser selten aufgeführten Rossini-oper zu fesseln, deren kritische Neuausgabe Damien Colas in akribischer Recherche verantwortete. Großen Anteil an den stehenden Ovationen des begeisterten Publikums trug das Philharmonische Orchester Erfurt, das eindrucksvoll in allen Stimmgruppen befeuert wurde. Es brannte im Graben wie auf der Bühne.
Karten: theater-erfurt.de; Vorstellungen: 5./8./25. Februar, 3./12. März