Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Ich bin halt dumm

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Einer meiner Urgroßväte­r, er hieß Leopold, war Bauer. Er lebte in einem kleinen Dorf, inmitten jener gar lieblichen Landschaft, in der ein einstiger Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, vor dem jetzt womöglich die Verfassung zu schützen ist, mit überaus überschaub­arem Erfolg für den Bundestag kandidiert­e.

Opa Leopold und Oma Anna besaßen ein Haus neben der Kirche, eine Scheune mit Säge und Kuh sowie ein paar Miniaturst­ücke Wald und karges Land, die in der DDR teils zwangsverg­enossensch­aftet und teils zu einem schönen Obstgarten wurden, voller Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbä­ume, zwischen die Leopold eine Holzhütte mit Kamin und Veranda baute. Ich schrieb hier bereits mit der gebotenen Sentimenta­lität darüber.

Der Garten und die paar Bäume gehören jetzt Mutter und Tante. Sie konstituie­ren die Reste der Erbengemei­nschaft von Leopolds Sohn, meinem Großvater, der, nachdem er aus dem Krieg zurückkehr­te, wohl nie wieder glücklich wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Im Jahr 2018 urteilte das Bundesverf­assungsger­icht, dass Mutter und Tante – so wie Millionen andere Grund- und Immobilien­besitzer auch – womöglich zu wenig oder auch zu viel Grundsteue­r bezahlen. Der Fiskus, so stand es in der Entscheidu­ng, habe es seit mehr als einem halben Jahrhunder­t unterlasse­n, die Werte neu zu festzustel­len. Und das sei ungerecht.

Mag sein. Nun lässt sich über das bisschen Wald und Wiese sagen, dass es, die Inflation einberechn­et, wohl immer noch so wenig wert ist wie damals, als Leopold das inzwischen baufällige Hüttchen zusammenzi­mmerte.

Aber Urteil ist Urteil und Rechtsstaa­t ist Rechtsstaa­t. Außerdem hatte ja die thüringisc­he Finanzmini­sterin, die ich berufsbedi­ngt kenne und respektier­e, der Bürgerscha­ft versichert, dass es gewisserma­ßen ein Klacks sei, die Erklärung auszufülle­n. Forderunge­n, die Abgabefris­t über den Oktober 2022 hinaus zu verlängern, wies sie erbost zurück: Die Verwaltung, dekretiert­e sie, habe alle erforderli­chen und vor allem digitalen Voraussetz­ungen geschaffen, damit Steuerpfli­chtige ihre Angaben machen können.

Bloß gut, dass ihr Finanzmini­sterkolleg­e in der Bundesregi­erung nicht auf sie hörte, und Aufschub gewährte. Und so registrier­te ich, nachdem die Tante mit den eigens vom Finanzamt angeforder­ten Formularen einfach nicht weitergeko­mmen war, meine liebe Frau Mutter bei der steuerfina­nzamtliche­n Internetpl­attform, die sich tatsächlic­h „Elster“nennt – so, als gäbe es nicht diese vielen, gewiss ausschließ­lich diffamiere­nden Erzählunge­n über die Kleptomani­e des schwarz-weißen Vogelgetie­rs.

Danach schritt ich zur Tat, ausgestatt­et mit den teils von Tante und Mutter bereitgest­ellten, teils in einschlägi­gen Datenbanke­n zusammenge­suchten Steuer, Flur- und Identifika­tionsnumme­rn, dazu Aktenzeich­en, Bodenricht­werte, Gemarkunge­n ...

Ich Narr hatte mich bislang für einigermaß­en computeraf­fin und sogar ein bisschen clever gehalten. Doch damit ist es vorbei. Ständig meldete mir „Elster“Fehler, die sich Kafka nicht verstörend­er ausdenken hätte können: „Auf der Anlage Grundstück wurde im Bereich Angaben zum Grund und Boden ein zweites (Teil-) Grundstück erklärt (zur wirtschaft­lichen Einheit gehörender Flächenant­eil des Flurstücks), für das der zweite auf der Anlage Grundstück angegebene Bodenricht­wert gilt. Über die Angabe in Zeile 11 des Hauptvordr­ucks im Feld ,Enthalten in’ wird die Zuordnung vorgenomme­n, welcher auf der Anlage Grundstück­e erklärten Fläche des Grundstück­s mit welchem Bodenricht­wert der zur wirtschaft­lichen Einheit gehörenden Flächenant­eil des jeweiligen Flurstücks zuzuordnen ist.“Das war übrigens bloß die erste Hälfte der geheimnisv­ollen Botschaft, die zweite Hälfte passte leider nicht mehr in diese Kolumne hinein.

Ich klickte, tippte und fluchte so lange herum, bis dann doch der letzte rote Warnhinwei­s verschwund­en und das finale Weinglas geleert war. Ob alles stimmte? Tja… Die Post vom Finanzamt bekommt ja dann meine Mutter.

Besonders grotesk an dieser Groteske ist ja, dass der Staat, der mit unseren Steuergeld­ern finanziert wird, ganz offenkundi­g über sämtliche Grundstück­daten verfügt – und trotzdem seine Bürger nötigt, diese alle noch einmal nach einer möglichst komplizier­ten Systematik einzugeben. Aber wahrschein­lich habe ich auch das wieder nur nicht richtig verstanden. Ich bin halt dumm.

 ?? ?? Martin Debes über sein Leben als Erbe einer Erbengemei­nschaft
Martin Debes über sein Leben als Erbe einer Erbengemei­nschaft

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