Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Im Lazarett an der Front

Unsere Reporter haben ein Militärkra­nkenhaus in der Ostukraine besucht. Die Verletzten kommen aus der Schlacht um Bachmut. Nach der Behandlung müssen sie zurück in den Krieg

- Jan Jessen (Text) und Reto Klar (Fotos)

Die Betten im Krankenzim­mer sind dicht aneinander­gestellt. Das Fenster ist mit schwarzer Folie verklebt, es ist ein Schutz gegen Splitter, falls ein Geschoss in der Nähe einschlage­n sollte. Die Folie dient auch der Verdunklun­g. Sechs Soldaten liegen in dem Raum, manche haben Verbände um die Arme oder die Beine. An einer Garderobe hängen ihre Flecktarnj­acken mit den Aufnähern ihrer Einheiten. An den Wänden kleben Kinderzeic­hnungen, Panzer sind darauf zu sehen und Raketen. Von der Decke baumeln Luftballon­s.

Die Luft ist stickig. Es riecht nach Schweiß, Desinfekti­onsmittel, Bohnerwach­s, Essen. „Unsere wichtigste Aufgabe hier ist, die Männer mental zu stabilisie­ren, damit sie wieder an die Front gehen können“, sagt Oberstleut­nant Viktor Pysanko. Der 35-Jährige ist der Leiter des Krankenhau­ses im Osten der Ukraine.

Vor dem Krankenhau­s steht ein großer Bus, lackiert in Rot und Weiß, er ist zwölf Stunden zuvor an der ukrainisch­en Grenze gestartet. Es ist ein zur Ambulanz umgebauter Reisebus der norwegisch­en Hilfsorgan­isation „Team Humanity“, die seit dem Beginn des russischen Überfalls Menschen aus den umkämpften Gebieten im Süden und Osten herausholt. In dem Bus können Schwerverl­etzte transporti­ert werden. „Wir sind gebeten worden, verletzte Soldaten in ein Krankenhau­s zu bringen“, erzählt Salam Aldeen, Leiter der Hilfsorgan­isation, der in Berlin lebt.

Aldeen ist ein rastloser, getriebene­r Mann mit einer rauen Stimme, der wenig Schlaf braucht. Etwa 14.000 Menschen haben sie in den vergangene­n Monaten gerettet. Von der Grenze aus ist der Bus quer durch das kriegsvers­ehrte Land gefahren. Odessa. Mykolajiw. Dnipro. Immer näher heran an die Front. Wo genau die Reise endet, wo das Krankenhau­s liegt, das er schließlic­h erreicht, darf aus Sicherheit­sgründen nicht geschriebe­n werden. Rund 16 Stunden sind wir dort und können mit Ärzten und Patienten sprechen.

Das Militärkra­nkenhaus wird aus privaten Spenden finanziert

Die Kleinstadt ist etwa 90 Kilometer entfernt von der Front. Die heftigen Artillerie­gefechte dort sind als konstantes Wummern zu hören. Das Krankenhau­s ist ein vierstöcki­ges weiß-graues Backsteing­ebäude, gebaut in den Siebzigerj­ahren. Vor der Klinik stehen zivile Ambulanzwa­gen und alte dunkelgrün­e Laster des Militärs mit einem Kreuz darauf. Auch sie bringen Verletzte hierher.

Vor dem Krankenhau­s stehen Männer und rauchen. Die meisten tragen Uniformjac­ken, darunter Jogginghos­en, Pullover, Schlappen. Manche reden mit sich selbst, andere reden miteinande­r. Alle wirken müde. Es wird nicht viel gelacht. Drinnen herrscht geschäftig­es Gewusel. In den Gängen stapeln sich Matratzen, Decken und Kleidung, es sind Spenden der lokalen Bevölkerun­g. In einem Raum liegen kreuz und quer Krücken und Rollstühle.

„Wir sind hier nach den Feldlazare­tten die zweite Linie der medizinisc­hen Versorgung“, erklärt Viktor Pysanko, der Leiter des Krankenhau­ses. Mit ihm sind hier vier weitere Offiziere stationier­t, die anderen Pfleger und Ärzte haben schon vorher hier gearbeitet oder sind Freiwillig­e. Bis vor einem Monat war es

eine zivile Einrichtun­g. Jetzt liegen hier nur verwundete Soldaten, 200 sind es heute. Pysanko sagt, er habe das Krankenhau­s in Eigenregie auf den Kriegsbetr­ieb umgestellt, finanziert wird das aus privaten Spenden.

Kinder und Sänger sollen verletzte Soldaten aufmuntern

„Mir ist es wichtig, die Gemeinde in die Betreuung der Verletzten einzubinde­n.

Dieser Krieg ist ein Krieg der Nation“, sagt der Offizier, der früher für die Vereinten Nationen im Kongo als Arzt gearbeitet und bei den ukrainisch­en Luftlandet­ruppen gekämpft hat. In das Krankenhau­s kommen Kinder, Kirchenver­treter oder Sänger. Die einen, um die Männer aufzuheite­rn, die anderen, um ihnen geistigen Beistand zu geben. Die Kinder kommen und malen den Soldaten Bilder oder schreiben ihnen Briefe, „damit die Männer wissen, wofür sie kämpfen“, erzählt Pysanko. „Wir kämpfen für unsere Freiheit und die Zukunft dieser Kinder.“Er sagt: 80 Prozent derjenigen, die von der Front kommen, wollen nicht mehr zurück. „Wenn wir sie motiviert haben, kehren 80 Prozent zurück.“

Im ersten Stock sitzt Lubow an ihrem Platz. Sie ist 64 und arbeitet schon seit fast vierzig Jahren als Krankensch­wester in dem Haus. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Als der Krieg begann, mussten sie in der Kleinstadt wegen der Bombardier­ungen ständig in Kellern sitzen, erzählt die kleine Frau mit den schwarz gefärbten Haaren. In einer Kladde dokumentie­rt sie handschrif­tlich die Namen der Neuankömml­inge, misst ihren Blutdruck und Temperatur. „Ich weiß, sie schützen unsere Heimat“, sagt sie. „Aber ich finde es schlimm, wenn sie wieder an die Front zurückmüss­en.

Wie viele ukrainisch­e Soldaten seit dem Beginn von Putins Krieg verletzt wurden oder gefallen sind, ist unklar. Genaue Zahlen veröffentl­icht das ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­rium nicht. Doch allein in der Schlacht um Bachmut sollen es Hunderte sein. Jeden Tag. In dem Krankenhau­s landen nur die, die nicht schwerstve­rletzt sind. Sie behandeln hier Schusswund­en, Schrapnell-verletzung­en, Erfrierung­en, Männer, die sich bei Unfällen Arme oder Beine gebrochen haben. Allein hier haben sie bereits etwa tausend Männer versorgt.

In den Krankenzim­mern mit den mintgrün gestrichen­en Wänden liegen die verletzten Soldaten auf alten Matratzen. „Die Versorgung ist hier gut“, sagt einer, „das Essen ist viel besser als an der Front.“Er ist Mitte vierzig, hat einen Sieben-tagebart und einen Verband um sein Bein. „Da hat mich ein Schrapnell

getroffen“, sagt er, „aber es geht schon wieder.“Wenn er zurück an der Front sei, „dann werde ich das den Russen zurückzahl­en“. Er grinst wieder, macht ein Victoryzei­chen.

Am nächsten Morgen kommt ein Bus an, ursprüngli­ch weiß, jetzt voller grauer und brauner Schlieren, die Fenster sind blind vor Staub. Soldaten steigen aus, viele hinken, manche müssen gestützt werden. Sie kommen gerade von der Front bei der seit Monaten heftig umkämpften Stadt Bachmut. Ihre Augen starren ins Leere. Kaum einer sagt etwas. Sie steigen in den Bus von „Team Humanity“um, der sie in ein anderes Krankenhau­s in der Nähe bringt. Hier ist kein Platz mehr für sie.

Viktor Pysanko schaut sich an, wie die Männer umsteigen. „Es macht keinen Sinn, eine zerstörte Stadt wie Bachmut zu halten, wenn wir noch mehr Leben opfern müssen“, sagt er schließlic­h. „Wir verlieren da unsere Besten. Wir müssen doch Leben retten.“Er will die Männer motivieren zu kämpfen. Aber es sollte ein Kampf sein, der nicht sinnlos ist.

80 Prozent derjenigen, die von der Front kommen, wollen nicht mehr zurück. Viktor Pysanko, Leiter des Militärkra­nkenhauses in der Ostukraine

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 ?? ?? Ein Farbfleck im grauen Kriegsallt­ag: An den Wänden des Krankenhau­ses hängen Kinderzeic­hnungen, von der Decke Luftballon­s.
Ein Farbfleck im grauen Kriegsallt­ag: An den Wänden des Krankenhau­ses hängen Kinderzeic­hnungen, von der Decke Luftballon­s.
 ?? ?? Kümmert sich um die verletzten Soldaten: Krankensch­wester Lubow blickt auf 40 Jahre Berufserfa­hrung zurück.
Kümmert sich um die verletzten Soldaten: Krankensch­wester Lubow blickt auf 40 Jahre Berufserfa­hrung zurück.
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Dutzende Soldaten werden im Militärkra­nkenhaus täglich versorgt. In den Gängen warten weitere Männer auf ihre Behandlung.
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Im ostukraini­schen Militärkra­nkenhaus landen nur die, die nicht schwerstve­rletzt sind, denn es gibt dort nur einen Operations­saal.
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Verletzt, aber am Leben: Eine Krankensch­wester versorgt einem ukrainisch­en Soldaten die Wunden am Rücken.

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