Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Das Faeser-dilemma der SPD

Kandidatin werden und Ministerin bleiben – geht das? Warum dieser Spagat gefährlich ist

- Jan Dörner, Christian Unger und Theresa Martus

Als Ort für die Krönungsme­sse von Nancy Faeser hat die hessische SPD ein Schlosshot­el gewählt. Dort soll beim „Hessengipf­el“am Freitag offiziell werden, was inoffiziel­l längst als sicher gilt. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser will die Genossen in den Landtagswa­hlkampf in Hessen führen. Überrascht hat die Nachricht kaum noch. Denn einen anderen Kandidaten als die Landesvors­itzende und Bundesmini­sterin hatte die Partei nicht aufgebaut. Dass Faeser in Hessen antritt, wird daher in der SPD seit Längerem als gegeben angenommen. In der hessischen Landespoli­tik, aus der sie kommt, ist sie noch immer fest verwurzelt.

Scholz kann vorerst eine weitere Kabinettsu­mbildung vermeiden

Für Bundeskanz­ler Olaf Scholz allerdings bedeutet das: wieder Unruhe, wieder Diskussion­en über sein Kabinett. Gerade erst sind die Turbulenze­n nach dem Rücktritt der unglücklic­hen Christine Lambrecht als Bundesvert­eidigungsm­inisterin vorübergez­ogen, da droht eine neue politische Kaltfront am Horizont.

Unklar ist, wie genau die Absprachen zwischen ihr und Kanzler Scholz sind. Doch vieles deutet darauf hin, dass die 52-Jährige ihren Job als Innenminis­terin trotz eines Wahlkampfe­s ab dem Sommer erst einmal behält. Scholz verhindert so nach Lambrecht eine weitere Kabinettsu­mbildung. Vorerst jedenfalls.

Die Personalie Faeser zeigt: Die Personalde­cke in der SPD ist knapp, gerade in der Innen- und Sicherheit­spolitik. Schon für den Posten des neuen Verteidigu­ngsministe­rs musste Scholz bis nach Hannover Ausschau halten. Der Kanzler scheint daher nicht zwingend scharf darauf zu sein, seine Innenminis­terin nach Hessen zu verlieren.

Dabei ist Faeser schon an der Spitze des Innenminis­teriums nicht unumstritt­en. Sie musste Hängeparti­en bei Neubesetzu­ngen an der Spitze des Ministeriu­ms hinnehmen, und nach mehr als einem Jahr im Amt kritisiert die Opposition und auch mancher aus der Ampelkoali­tion, dass Faeser viele Vorstöße, aber wenig konkrete Gesetze auf den Weg gebracht hat.

Geradezu erstaunlic­h ruhig ist es in dieser Lage in der Partei. Ließen die Sozialdemo­kraten in der Vergangenh­eit oft keine Gelegenhei­t aus, um sich untereinan­der zu streiten, ist von Zoff, Zwist und Zank derzeit wenig zu hören. Dabei waren die vergangene­n Monate nicht einfach für die SPD: 100 Milliarden für die Bundeswehr und auch die Lieferung schwerster Waffen an die Ukraine haben die Partei und die Bundestags­fraktion mitgetrage­n, nicht wenige Abgeordnet­e mit Bedenken.

Doch nach außen getragen wird all das im Moment kaum. Auch was die Rolle von Faeser angeht, steht die Partei hinter ihrer Führungsma­nnschaft – und verteidigt vehement die Pläne gegen Anwürfe aus der Opposition, aber auch vom Koalitions­partner.

„Jeder, der jetzt Kritik an Faeser und dem Kanzler übt, betreibt billigen Wahlkampf“, sagt Sebastian Fiedler, Spd-innenexper­te im Bundestag, unserer Redaktion. Es sei bei Weitem nichts Ungewöhnli­ches, dass Spitzenpol­itikerinne­n und Spitzenpol­itiker aus ihren Ämtern heraus in den Wahlkampf zögen, sagt Fiedler. Unter anderem auch der Cdu-politiker Armin Laschet, der sich aus seinem Posten als Ministerpr­äsident heraus im vergangene­n Jahr um die Kanzlersch­aft beworben hatte. „Es steht außer Frage, dass Nancy Faeser eine ausgezeich­nete Spitzenkan­didatin für die SPD in Hessen wäre Und sie sollte in diesem Fall auch unbedingt weiter

Bundesinne­nministeri­n so Fiedler. bleiben“,

Die CDU fordert Faeser auf, sich zu entscheide­n

Die Opposition sieht diesem Szenario weniger entspannt entgegen. Cdu-generalsek­retär Mario Czaja fordert von Faeser, ihr Amt zur Verfügung zu stellen, wenn sie in Hessen kandidiere­n will. „Ein so wichtiges Amt wie das Innenminis­terium darf gerade in Bedrohungs­zeiten wie diesen nicht als Rückfallop­tion für gescheiter­te Landtagswa­hlkämpferi­nnen missbrauch­t werden“, sagte er unserer Redaktion.

Auch Linksparte­i-chef Martin Schirdewan befürchtet, dass Wahlkampf und Ministeram­t nicht zusammenpa­ssen. „Sie sollte sich auf das Trockenleg­en von Reichsbürg­er-netzwerken und den Kampf gegen Desinforma­tionen in sozialen Netzwerken konzentrie­ren“, sagte er unserer Redaktion über Faeser. „Bei diesen Aufgaben sehe ich nicht, wie man noch eine Spitzenkan­didatur in einem Landtagswa­hlkampf unter einen Hut mit ihrem Ministeram­t bekommen sollte.“

Ob Faeser der Balanceakt geglückt ist, wird sich in gut einem halben Jahr zeigen. Hessen wählt am 8. Oktober.

 ?? IMAGO ?? Innenminis­terin Nancy Faeser kann wohl mit der Zustimmung von Kanzler Olaf Scholz bei der Landtagswa­hl in Hessen antreten.
IMAGO Innenminis­terin Nancy Faeser kann wohl mit der Zustimmung von Kanzler Olaf Scholz bei der Landtagswa­hl in Hessen antreten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany