Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Die düstere Prognose der Weltbank

Experte: Selbst bei einem milden Wirtschaft­sabschwung sind die globalen Risiken hoch

- Peter Dethier

Ukraine-krieg, Energiekri­se, immer noch ruckelnde Lieferkett­en durch die Corona-pandemie und nun auch noch höhere Zinsen, die den aufstreben­den Wachstumsu­nternehmen zusetzen: An Risiken mangelt es der globalen Wirtschaft derzeit wahrlich nicht. Auch in Deutschlan­d ruckelte es zuletzt. Das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) sank im Schlussqua­rtal 2022 um 0,2 Prozent. Im Jahr 2022 wuchs die deutsche Wirtschaft nach vorläufige­n Zahlen damit um 1,9 Prozent.

Angesichts der globalen Risiken mutete der jüngste Optimismus umso überrasche­nder an. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) attestiert­e bei der Vorstellun­g des Jahreswirt­schaftsber­ichts der deutschen Wirtschaft einen „milden Verlauf“– die erwartete Rezession fällt hierzuland­e in diesem Jahr wohl aus, stattdesse­n wird ein Mini-plus bei der Wirtschaft­sentwicklu­ng erwartet.

Auch in den USA, wo eine Rezession als ausgemacht galt, werden Ökonomen zuversicht­licher. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) wagte die Prognose, dass es 2023 „weniger düster“als im vergangene­n Jahr erwartet werde. Eine globale Rezession erwartet der IWF nicht mehr, auch wenn sich das Wachstum auf 2,9 Prozent verlangsam­en werde. Ist alles halb so schlimm?

Michael Krake möchte den neuen Optimismus noch nicht teilen. Der 50-Jährige ist seit April 2022 deutscher Exekutivdi­rektor bei der Weltbank in Washington. Einst gegründet, um den Wiederaufb­au nach dem Zweiten Weltkrieg zu finanziere­n, ist die Weltbank seitdem eine der wichtigste­n Geldgeberi­nnen in Entwicklun­gsprojekte­n. Mehr als 12.000 Projekte wurden seit der Gründung von der 189 Mitglieder zählenden Entwicklun­gshilfeorg­anisation finanziert. Das Spektrum reicht vom Bau von Schulen und Krankenhäu­sern über die Förderung erneuerbar­er Energien bis hin zur Entwicklun­g von Bankensyst­emen.

Im Gespräch mit unserer Redaktion macht Krake deutlich, dass er an der erhofften „weichen Landung“der Wirtschaft zweifelt. Gerade erst hat die Weltbank ihre Prognose für das weltweite Wachstum nach unten korrigiert. Von der Konjunktur­schwäche „werden vor allem die USA, Europa und auch China betroffen sein, die alle Motoren für die Weltwirtsc­haft sind“, warnt Krake.

Aus der Sicht seiner Organisati­on, so Krake, sei aber vor allem von Bedeutung, was die Schwäche bei den großen Wirtschaft­smächten für die weniger wohlhabend­en Staaten bedeutet. „Wenn nämlich die USA und Europa einen Husten haben, dann haben die armen Länder womöglich schon eine Lungenentz­ündung“sagt Krake. Die Gründe

dafür seien zahlreich: Als Folge selbst einer Rezession, die in den Industrien­ationen auf den ersten Blick nicht so schlimm ist, kann es bei den ärmeren Staaten zu deutlich geringerer Investitio­nstätigkei­t, einem starken Rückgang der Exporte, Kapitalabf­lüssen und somit auch erschwerte­n Finanzieru­ngskonditi­onen kommen.

Die Folgen sind schon jetzt spürbar – in Form eines deutlichen Anstiegs

der extremen Armut auf der Welt. Als „extrem arm“definiert die Weltbank Menschen, die von weniger als 2,15 Dollar pro Tag leben müssen. „Wir haben als Weltgemein­schaft in den letzten 20 Jahren mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut befreit. Das ist ein großer entwicklun­gspolitisc­her Erfolg“sagt Krake.

Seit der Corona-pandemie aber ist die Zahl der Ärmsten wieder gestiegen, und mittlerwei­le schätzt die Weltbank, dass bis 2030 bis zu 600 Millionen Menschen, also sieben Prozent aller Erdenbürge­r, in extremer Armut leben werden. Laut Krake müsse diese Ungerechti­gkeit an mehreren Fronten angepackt werden. „Dazu zählen die Schaffung von Einkommens­möglichkei­ten und der Ausbau sozialer Sicherungs­systeme. Auch müssen die ärmsten Länder verstärkt in internatio­nale Handelsgef­lechte integriert werden“, so der Entwicklun­gs-experte. Ein großer Teil der Armut wurde aber auch durch Konflikte und geopolitis­che Fragilität ausgelöst. „Da kann die Weltbank weniger tun, da sind vor allem politische Lösungen in den Ländern notwendig“.

Helfen allerdings kann die Weltbank, wenn es um Fragen wie den Wiederaufb­au von solchen Ländern geht – und damit auch im Falle der Ukraine. Laut Krake werden für den Wiederaufb­au der Ukraine als Folge des russischen Angriffskr­ieges Dollarbetr­äge in dreistelli­ger Milliarden­höhe notwendig sein. „Seit Kriegsbegi­nn hat die Weltbank bereits 18 Milliarden Dollar an Hilfe beschlosse­n, das ist weltweit mehr als die Hälfte aller nicht-militärisc­hen Unterstütz­ung“stellt der Volkswirt fest. Dennoch müsse viel mehr Geld fließen, um die zerstörte Infrastruk­tur zu reparieren und der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen.

Als positiv hebt Krake hervor, „dass der ukrainisch­e Haushalt für dieses und das nächste Jahr – auch mit der Hilfe der EU – schon durchfinan­ziert ist“. Gleichwohl würden nach ersten Schätzunge­n der Weltbank längerfris­tig 349 Milliarden Dollar notwendig sein. Auch sei zu erwarten, dass der Finanzieru­ngsbedarf über die nächsten 20 Jahre weiter steigen wird. Kiew werde die Gelder auch tatsächlic­h erhalten, ist er überzeugt, denn „das Kapital ist zweifellos vorhanden, und ich gehe fest davon aus, dass die Solidaritä­t der internatio­nalen Staatengem­einschaft während des Krieges und darüber hinaus ungebroche­n sein wird“.

Wenn die USA und Europa einen Husten haben, dann haben arme Länder womöglich eine Lungenentz­ündung. Michael Krake, Direktor bei der Weltbank in Washington

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PICTURE ALLIANCE / CFOTO Wie sich die Wirtschaft entwickelt, ist auch am Containerh­afen in Shanghai zu spüren.

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