Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Die düstere Prognose der Weltbank
Experte: Selbst bei einem milden Wirtschaftsabschwung sind die globalen Risiken hoch
Ukraine-krieg, Energiekrise, immer noch ruckelnde Lieferketten durch die Corona-pandemie und nun auch noch höhere Zinsen, die den aufstrebenden Wachstumsunternehmen zusetzen: An Risiken mangelt es der globalen Wirtschaft derzeit wahrlich nicht. Auch in Deutschland ruckelte es zuletzt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank im Schlussquartal 2022 um 0,2 Prozent. Im Jahr 2022 wuchs die deutsche Wirtschaft nach vorläufigen Zahlen damit um 1,9 Prozent.
Angesichts der globalen Risiken mutete der jüngste Optimismus umso überraschender an. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) attestierte bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts der deutschen Wirtschaft einen „milden Verlauf“– die erwartete Rezession fällt hierzulande in diesem Jahr wohl aus, stattdessen wird ein Mini-plus bei der Wirtschaftsentwicklung erwartet.
Auch in den USA, wo eine Rezession als ausgemacht galt, werden Ökonomen zuversichtlicher. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wagte die Prognose, dass es 2023 „weniger düster“als im vergangenen Jahr erwartet werde. Eine globale Rezession erwartet der IWF nicht mehr, auch wenn sich das Wachstum auf 2,9 Prozent verlangsamen werde. Ist alles halb so schlimm?
Michael Krake möchte den neuen Optimismus noch nicht teilen. Der 50-Jährige ist seit April 2022 deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank in Washington. Einst gegründet, um den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu finanzieren, ist die Weltbank seitdem eine der wichtigsten Geldgeberinnen in Entwicklungsprojekten. Mehr als 12.000 Projekte wurden seit der Gründung von der 189 Mitglieder zählenden Entwicklungshilfeorganisation finanziert. Das Spektrum reicht vom Bau von Schulen und Krankenhäusern über die Förderung erneuerbarer Energien bis hin zur Entwicklung von Bankensystemen.
Im Gespräch mit unserer Redaktion macht Krake deutlich, dass er an der erhofften „weichen Landung“der Wirtschaft zweifelt. Gerade erst hat die Weltbank ihre Prognose für das weltweite Wachstum nach unten korrigiert. Von der Konjunkturschwäche „werden vor allem die USA, Europa und auch China betroffen sein, die alle Motoren für die Weltwirtschaft sind“, warnt Krake.
Aus der Sicht seiner Organisation, so Krake, sei aber vor allem von Bedeutung, was die Schwäche bei den großen Wirtschaftsmächten für die weniger wohlhabenden Staaten bedeutet. „Wenn nämlich die USA und Europa einen Husten haben, dann haben die armen Länder womöglich schon eine Lungenentzündung“sagt Krake. Die Gründe
dafür seien zahlreich: Als Folge selbst einer Rezession, die in den Industrienationen auf den ersten Blick nicht so schlimm ist, kann es bei den ärmeren Staaten zu deutlich geringerer Investitionstätigkeit, einem starken Rückgang der Exporte, Kapitalabflüssen und somit auch erschwerten Finanzierungskonditionen kommen.
Die Folgen sind schon jetzt spürbar – in Form eines deutlichen Anstiegs
der extremen Armut auf der Welt. Als „extrem arm“definiert die Weltbank Menschen, die von weniger als 2,15 Dollar pro Tag leben müssen. „Wir haben als Weltgemeinschaft in den letzten 20 Jahren mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut befreit. Das ist ein großer entwicklungspolitischer Erfolg“sagt Krake.
Seit der Corona-pandemie aber ist die Zahl der Ärmsten wieder gestiegen, und mittlerweile schätzt die Weltbank, dass bis 2030 bis zu 600 Millionen Menschen, also sieben Prozent aller Erdenbürger, in extremer Armut leben werden. Laut Krake müsse diese Ungerechtigkeit an mehreren Fronten angepackt werden. „Dazu zählen die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten und der Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Auch müssen die ärmsten Länder verstärkt in internationale Handelsgeflechte integriert werden“, so der Entwicklungs-experte. Ein großer Teil der Armut wurde aber auch durch Konflikte und geopolitische Fragilität ausgelöst. „Da kann die Weltbank weniger tun, da sind vor allem politische Lösungen in den Ländern notwendig“.
Helfen allerdings kann die Weltbank, wenn es um Fragen wie den Wiederaufbau von solchen Ländern geht – und damit auch im Falle der Ukraine. Laut Krake werden für den Wiederaufbau der Ukraine als Folge des russischen Angriffskrieges Dollarbeträge in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig sein. „Seit Kriegsbeginn hat die Weltbank bereits 18 Milliarden Dollar an Hilfe beschlossen, das ist weltweit mehr als die Hälfte aller nicht-militärischen Unterstützung“stellt der Volkswirt fest. Dennoch müsse viel mehr Geld fließen, um die zerstörte Infrastruktur zu reparieren und der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen.
Als positiv hebt Krake hervor, „dass der ukrainische Haushalt für dieses und das nächste Jahr – auch mit der Hilfe der EU – schon durchfinanziert ist“. Gleichwohl würden nach ersten Schätzungen der Weltbank längerfristig 349 Milliarden Dollar notwendig sein. Auch sei zu erwarten, dass der Finanzierungsbedarf über die nächsten 20 Jahre weiter steigen wird. Kiew werde die Gelder auch tatsächlich erhalten, ist er überzeugt, denn „das Kapital ist zweifellos vorhanden, und ich gehe fest davon aus, dass die Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft während des Krieges und darüber hinaus ungebrochen sein wird“.
Wenn die USA und Europa einen Husten haben, dann haben arme Länder womöglich eine Lungenentzündung. Michael Krake, Direktor bei der Weltbank in Washington