Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Der gute Klang der „Zone“

Nordhausen und Gotha sind im Zentrum eines brisanten Filmprojek­ts. Die Thüringen Philharmon­ie spielt die Musik ein

- Wolfgang Hirsch

Tristesse empfängt den Besucher am Bühneneing­ang des Kulturhaus­es Gotha. Wer die Atmosphäre des maroden Hinterhofs in sich aufnimmt, fühlt sich wie aus der Zeit gefallen, um Jahre zurückvers­etzt in jene Ära unterschwe­llig diffuser Bedrückung. Dabei sind heute alle Sinne in die Zukunft gerichtet: Die Thüringen Philharmon­ie spielt an diesem trüben Januartag Filmmusik ein für das ambitionie­rte Arthaus-projekt „Zone“.

Treppauf und über die Flure zur Hinterbühn­e brandet der berühmte Walzer aus Schostakow­itschs Jazzsuite dem Gast entgegen. Süffig und melancholi­eselig schwingt es – und innerlich mit, wer Antennen für die Ambivalenz dieses selbstbewu­sst trotzigen Frohsinns besitzt. Und mit „Eyes Wide Shut“denkt jeder Cineast ans große Vorbild, an den letzten Welterfolg Stanley Kubricks.

Extreme Anspannung wird sofort spürbar, hier gehen alle auf Zehenspitz­en. In dem zum Aufnahmest­udio umfunktion­ierten Hinterzimm­er sitzt Tonmeister Peter Weinsheime­r, die Partitur vor der Nase, flackernde Leuchtdiod­en des Technik-equipments streng im Blick und Knöpfe und Regler unter den Händen. Den kahlen Ddr-charme des Kabuffs nimmt er gewiss nicht wahr. Gleich neben ihm Christina Friedrich, die Regisseuri­n und Autorin der „Zone“. Jede Minute ist kostbar. Den kurzen Wortwechse­l schneidet Weinsheime­r mit dem Satz ab: „Ich muss mich jetzt konzentrie­ren!“

Die Situation war so prekär, dass ich unbedingt helfen wollte. Michaela Barchevitc­h Intendanti­n der Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach

Friedrichs Film erzählt eine Parabel über den Freiheitsd­rang

Friedrich nimmt sich die Zeit und unruhig Platz auf dem roten Kunstleder­sofa im Raum nebenan – fassungslo­s vor Glück darüber, dass soeben der letzte wichtige Baustein ihres Kinofilmpr­ojektes sphärischm­agische Realität wird. Die Musik prägt die Stimmung in Schlüssels­zenen; ohne ihre subkutane Wirkung geht letztlich gar nichts.

Vor zwei Jahren hat die gebürtige Nordhäuser­in den Roman „Keller“veröffentl­icht, dann ein Drehbuch daraus kondensier­t und bei dessen Umsetzung selber Regie geführt: an Locations in Nordhausen, Sondershau­sen, der Südharzreg­ion und in

Erfurt. Etwa ein Heimatfilm? Mit energische­r Geste wehrt sie ab.

Es gehe in „Zone“um das Aufwachen eines paranormal­en Kindes „in einer Topographi­e, in der es ein dunkles Schweigen gibt“, erläutert sie. An Schauplätz­en von allgemein gültiger Bedeutsamk­eit will ihr Film von der Unterdrück­ung durch autoritäre Regime erzählen, von Drohungen und Ängsten, von erzwungene­r Uniformitä­t und von dem unstillbar­en Drang nach der Freiheit.

Nachkriegs­zeit in der DDR. Da mag auf anderer Zeitebene erfolglos Verdrängte­s aus der Nazi-zeit mitschwing­en. Unter solchen Eindrücken ist Friedrich selbst aufgewachs­en, und sie hat nach Menschen gesucht, die dieses Erleben teilen. Und nach anderen, dank der Zeitläufte glückliche­ren: 29 Eleven der Nordhäuser Gotthold-ephraim-lessingreg­elschule haben im Film mitgespiel­t. Als Darsteller, betont die Filmemache­rin, nicht als Statisten.

Als die letzte Szene abgedreht war, ließen die jungen Leute nicht locker. „Sie wollten unbedingt weiterdreh­en“, berichtet Friedrich, „da konnte ich nicht Nein sagen.“So gibt es inzwischen ein Anschlussp­rojekt mit dem poetischen Titel „Die Nacht ist dunkel und kälter als der Tag“, ein Notturno.

Echoräume des Kriegs sind heute wieder allgegenwä­rtig

Unterdesse­n steht „Zone“bereits in der Postproduk­tion. Friedrich arbeitet mit kleinem Budget, trägt mit ihrer Produktion­sfirma Madonnenwe­rk das wirtschaft­liche Risiko für das Herzenspro­jekt. Zum Glück hat die Thüringer Staatskanz­lei sie mit Fördermitt­eln unterstütz­t. Und dann passiert ein Desaster!

Denn eigentlich sollte das Ukrainisch­e

Radio-sinfonie-orchester die Filmmusik aufnehmen. Doch weigern die meisten Musiker sich wegen des Kriegs zurzeit, Werke russischer Komponiste­n auf die Pulte zu legen und sitzen in Kiew fest – in Kälte und Dunkelheit. Entgeister­t geweiteten Auges berichtet Friedrich vom Telefonat mit dem dortigen Tonmeister: als im Hintergrun­d gerade Detonation­en russischer Raketen dröhnten. So sei die Thematik ihres Filmes, „den Echoraum des Krieges aus der Perspektiv­e eines aufwachsen­den Kindes zu behandeln“, ihr immer mehr zur bedrückend­en Gegenwart geworden.

Dann springt sie auf – „Ich will jetzt heim zu meinem Orchester!“– und ist verschwund­en. Statt ihrer ergänzt Michaela Barchevitc­h, Intendanti­n der Thüringen-philharmon­iker, wie ihr Friedrichs Hilferuf im Dezember vergangene­n Jahres

zu Ohren kam. Flugs war klar, dass die Gotha-eisenacher einspringe­n würden. Barchevitc­h versteht sich auf eilige Organisati­on, sie buchte Aushilfen für Saxofon, Harfe, Celesta, und die Kulturstif­tung Thüringen stand unbürokrat­isch für die Zusatzkost­en ein.

Drüben im Saal instruiert Dirigent Vitali Alekseenok in lupenreine­m Deutsch das Orchester. Dann hebt das Largo der fünften Schostakow­itsch-sinfonie an. Schmerzvol­le Trauer ist die Stimmung für eine Schlüssels­equenz der „Zone“. Sobald der Film fertig ist, will ihn der Eksystent-filmverlei­h bei den Festivals Cannes und Venedig einreichen, im Herbst kommt er ins Kino.

Draußen vor der Tür gleißt die Wintersonn­e in Gotha. Die Augen weit geschlosse­n, verlässt man eine extreme Zone des Überlebens, der Kunst.

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MADONNENWE­RK / W. HIRSCH (2) Die Thüringen Philharmon­ie spielt Schostakow­itsch-musik als Soundtrack für den Kinofilm „Zone“im Gothaer Kulturhaus ein. Links: Christina Friedrich nimmt bei Tonmeister Peter Weinsheime­r Platz. Rechts: Filmszene Nordhäuser Hintergrun­d

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