Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Der gute Klang der „Zone“
Nordhausen und Gotha sind im Zentrum eines brisanten Filmprojekts. Die Thüringen Philharmonie spielt die Musik ein
Tristesse empfängt den Besucher am Bühneneingang des Kulturhauses Gotha. Wer die Atmosphäre des maroden Hinterhofs in sich aufnimmt, fühlt sich wie aus der Zeit gefallen, um Jahre zurückversetzt in jene Ära unterschwellig diffuser Bedrückung. Dabei sind heute alle Sinne in die Zukunft gerichtet: Die Thüringen Philharmonie spielt an diesem trüben Januartag Filmmusik ein für das ambitionierte Arthaus-projekt „Zone“.
Treppauf und über die Flure zur Hinterbühne brandet der berühmte Walzer aus Schostakowitschs Jazzsuite dem Gast entgegen. Süffig und melancholieselig schwingt es – und innerlich mit, wer Antennen für die Ambivalenz dieses selbstbewusst trotzigen Frohsinns besitzt. Und mit „Eyes Wide Shut“denkt jeder Cineast ans große Vorbild, an den letzten Welterfolg Stanley Kubricks.
Extreme Anspannung wird sofort spürbar, hier gehen alle auf Zehenspitzen. In dem zum Aufnahmestudio umfunktionierten Hinterzimmer sitzt Tonmeister Peter Weinsheimer, die Partitur vor der Nase, flackernde Leuchtdioden des Technik-equipments streng im Blick und Knöpfe und Regler unter den Händen. Den kahlen Ddr-charme des Kabuffs nimmt er gewiss nicht wahr. Gleich neben ihm Christina Friedrich, die Regisseurin und Autorin der „Zone“. Jede Minute ist kostbar. Den kurzen Wortwechsel schneidet Weinsheimer mit dem Satz ab: „Ich muss mich jetzt konzentrieren!“
Die Situation war so prekär, dass ich unbedingt helfen wollte. Michaela Barchevitch Intendantin der Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach
Friedrichs Film erzählt eine Parabel über den Freiheitsdrang
Friedrich nimmt sich die Zeit und unruhig Platz auf dem roten Kunstledersofa im Raum nebenan – fassungslos vor Glück darüber, dass soeben der letzte wichtige Baustein ihres Kinofilmprojektes sphärischmagische Realität wird. Die Musik prägt die Stimmung in Schlüsselszenen; ohne ihre subkutane Wirkung geht letztlich gar nichts.
Vor zwei Jahren hat die gebürtige Nordhäuserin den Roman „Keller“veröffentlicht, dann ein Drehbuch daraus kondensiert und bei dessen Umsetzung selber Regie geführt: an Locations in Nordhausen, Sondershausen, der Südharzregion und in
Erfurt. Etwa ein Heimatfilm? Mit energischer Geste wehrt sie ab.
Es gehe in „Zone“um das Aufwachen eines paranormalen Kindes „in einer Topographie, in der es ein dunkles Schweigen gibt“, erläutert sie. An Schauplätzen von allgemein gültiger Bedeutsamkeit will ihr Film von der Unterdrückung durch autoritäre Regime erzählen, von Drohungen und Ängsten, von erzwungener Uniformität und von dem unstillbaren Drang nach der Freiheit.
Nachkriegszeit in der DDR. Da mag auf anderer Zeitebene erfolglos Verdrängtes aus der Nazi-zeit mitschwingen. Unter solchen Eindrücken ist Friedrich selbst aufgewachsen, und sie hat nach Menschen gesucht, die dieses Erleben teilen. Und nach anderen, dank der Zeitläufte glücklicheren: 29 Eleven der Nordhäuser Gotthold-ephraim-lessingregelschule haben im Film mitgespielt. Als Darsteller, betont die Filmemacherin, nicht als Statisten.
Als die letzte Szene abgedreht war, ließen die jungen Leute nicht locker. „Sie wollten unbedingt weiterdrehen“, berichtet Friedrich, „da konnte ich nicht Nein sagen.“So gibt es inzwischen ein Anschlussprojekt mit dem poetischen Titel „Die Nacht ist dunkel und kälter als der Tag“, ein Notturno.
Echoräume des Kriegs sind heute wieder allgegenwärtig
Unterdessen steht „Zone“bereits in der Postproduktion. Friedrich arbeitet mit kleinem Budget, trägt mit ihrer Produktionsfirma Madonnenwerk das wirtschaftliche Risiko für das Herzensprojekt. Zum Glück hat die Thüringer Staatskanzlei sie mit Fördermitteln unterstützt. Und dann passiert ein Desaster!
Denn eigentlich sollte das Ukrainische
Radio-sinfonie-orchester die Filmmusik aufnehmen. Doch weigern die meisten Musiker sich wegen des Kriegs zurzeit, Werke russischer Komponisten auf die Pulte zu legen und sitzen in Kiew fest – in Kälte und Dunkelheit. Entgeistert geweiteten Auges berichtet Friedrich vom Telefonat mit dem dortigen Tonmeister: als im Hintergrund gerade Detonationen russischer Raketen dröhnten. So sei die Thematik ihres Filmes, „den Echoraum des Krieges aus der Perspektive eines aufwachsenden Kindes zu behandeln“, ihr immer mehr zur bedrückenden Gegenwart geworden.
Dann springt sie auf – „Ich will jetzt heim zu meinem Orchester!“– und ist verschwunden. Statt ihrer ergänzt Michaela Barchevitch, Intendantin der Thüringen-philharmoniker, wie ihr Friedrichs Hilferuf im Dezember vergangenen Jahres
zu Ohren kam. Flugs war klar, dass die Gotha-eisenacher einspringen würden. Barchevitch versteht sich auf eilige Organisation, sie buchte Aushilfen für Saxofon, Harfe, Celesta, und die Kulturstiftung Thüringen stand unbürokratisch für die Zusatzkosten ein.
Drüben im Saal instruiert Dirigent Vitali Alekseenok in lupenreinem Deutsch das Orchester. Dann hebt das Largo der fünften Schostakowitsch-sinfonie an. Schmerzvolle Trauer ist die Stimmung für eine Schlüsselsequenz der „Zone“. Sobald der Film fertig ist, will ihn der Eksystent-filmverleih bei den Festivals Cannes und Venedig einreichen, im Herbst kommt er ins Kino.
Draußen vor der Tür gleißt die Wintersonne in Gotha. Die Augen weit geschlossen, verlässt man eine extreme Zone des Überlebens, der Kunst.