Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Nordhausens besonderer Schatz
Kunsthistorikerin Jessica Müller erforscht die Geschichte der Neptunfigur in der Promenade
Er ist ein Schatz. Nordhausen besitzt ihn seit 195 Jahren. Er steht offen herum – für alle sichtbar in der Promenade. Seinen Diebstahl muss niemand fürchten. Dieser Schatz ist 2,50 Meter groß und 1400 Kilogramm schwer: der Neptun auf dem Brunnen.
Jessica Müller ist sein größter Fan. Ihre Augen leuchten, sobald sie vom Nordhäuser Neptun spricht. Die Kunsthistorikerin forscht seit Jahren akribisch und trägt Daten wie Fakten seiner Geschichte zusammen. Ein Ergebnis ihrer Arbeit ist die Dissertation, an der sie schreibt. Sobald ihre Doktorschrift vorliegt, will sie all ihre Erkenntnisse mit interessierten Südharzern teilen. Bis dahin hält sie sich bedeckt, verrät nur wenig.
Der Neptun zähle zur „kulturellen Identität“der Stadt, betont Jessica Müller. Er sei zudem „der schönste Mann Nordhausens“, sagt sie und lacht. Es ist kein Geheimnis: Der Schöpfer dieser gusseisernen Figur ist ein berühmter Mann. Denn Nordhausens Neptunstatue ist das Erstlingswerk vom Bildhauer Ernst Rietschel (1804 – 1861). Von ihm stammen später auch die Skulpturen des Goethe-schiller-denkmals in Weimar sowie des Lessing-denkmals in Braunschweig.
Aber der Neptun gilt als seine erste eigenständige Arbeit, die er im Auftrag der Gräflich Einsiedelschen Eisenwerke in Lauchhammer (Niederlausitz) leistet. Begeistert sei er nicht gewesen, so ist überliefert. Ernst Rietschel habe es damals als „trostlose Arbeit“empfunden. Fast ein Jahr ist er mit Neptun beschäftigt.
Typisch für Nordhausen: Das Werk geht auf die Idee eines Schnapsfabrikanten zurück. Als der Brennereibesitzer Bötticher im Juni 1824 stirbt, überlässt er in seinem Testament der Stadt 500
Reichstaler „für den Bau einer Statue zur Wasserkunst“. Vier Jahre später ist es so weit. Die Nordhäuser weihen im Juli 1828 ihren neuen Neptunbrunnen ein. Er steht auf dem damaligen Kornmarkt – direkt vor dem Hotel „Römischer Kaiser“.
Die Statue sei eine „großartige Besonderheit“, betont Jessica Müller. Der Nordhäuser Wassergott brauche keinen Vergleich mit anderen Bildhauer-werken zu scheuen – von Florenz bis Wien. Seiner kunsthistorischen Bedeutung widmet sich Müller in ihrer Doktorarbeit. Bemerkenswert sei auch, dass ein preußischer König sich bei seinem eigenen Schaffen von der Nordhäuser Brunnenfigur inspirieren lässt, sie nachahmt. Das sei außergewöhnlich, betont die Historikerin. Ein König habe in der damaligen Zeit eigentlich nie die Arbeit eines Bürgerlichen kopiert.
Der Neptunbrunnen auf dem Kornmarkt erweist sich als eines der beliebtesten Fotomotive Nordhausens. Davon zeugen zahllose alte Bilder. Etliche von ihnen sind noch heute im Stadtarchiv zu finden.
Doch im Jahre 1935 ist Neptuns Zeit an seinem ursprünglichen Platz abgelaufen. Dem Magistrat ist das Verkehrsaufkommen auf dem Kornmarkt zu hoch. Deshalb muss der Brunnen mit seiner Statue weichen. Seitdem steht Neptun in der Promenade.
Jessica Müllers Forscherarbeit ist vielversprechend. Auch Stadtarchivar Wolfram G. Theilemann blickt den Ergebnissen erwartungsvoll entgegen. Nordhausens Kulturgüter liegen ihm sehr am Herzen. „Wir haben durch die Luftangriffe viel verloren“, sagt er. „Deshalb müssen wir das, was wir haben, in Wert setzen, es stärker bekannt machen.“
Er ist der schönste Mann Nordhausens. Jessica Müller, Wissenschaftlerin