Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Der perfekte digitale Doppelgäng­er

Wer sich in der virtuellen Realität bewegt, kann künftig seinen Avatar als Ebenbild gestalten – samt verblüffen­der Details

- Thomas Brandstett­er

Berlin. Das Metaverse oder deutsch Metaversum ist die große Vision einer virtuellen Welt. Unternehme­n wie der Facebook-konzern Meta investiere­n Milliarden in das perfekte digitale Universum, in dem sich die Menschen mithilfe sogenannte­r Avatare bewegen und begegnen sollen. Diese digitalen Abbilder echter Personen sind Gegenstand intensiver Forschung.

Sowohl in den großen Tech-konzernen als auch in öffentlich­en Forschungs­einrichtun­gen wird daran getüftelt, wie die digitalen Abbilder erzeugt und unsere eigenen Körperbewe­gungen, unsere Mimik und Gestik, auf sie übertragen werden können. Das Verspreche­n lautet: Schon bald wird jeder Nutzer und jede Nutzerin mit einfachste­n Mitteln einen realistisc­hen Avatar von sich selbst anfertigen und sich damit auf natürliche Weise in der sogenannte­n Virtual Reality (VR) bewegen können.

Je nach Körperhalt­ung wirft sogar die Kleidung des Avatars Falten

„Schon heute gibt es Schätzunge­n zufolge weltweit einige Hunderttau­send Menschen, die ihre Freizeit regelmäßig als Avatar in der virtuellen Welt verbringen“, sagt Soziologe Jonathan Harth von der Universitä­t Witten/herdecke. Digitalisi­erung und insbesonde­re Virtual Reality zählen zu seinen Forschungs­schwerpunk­ten.

Harth zufolge gibt es einige Grundvorau­ssetzungen, damit eine virtuelle Welt vom Nutzer ernst genommen wird. „Wenn man das Headset aufsetzt, soll man das Gefühl haben, sich an einem anderen Ort zu befinden“, sagt der Forscher. Dazu müssten etwa die Beleuchtun­g

und andere physikalis­che Aspekte stimmen. Eine Tasse, die auf einem Tisch steht, sollte sich etwa mit den Händen bewegen lassen. „Wenn diese Art der Plausibili­tät fehlt, fühle ich mich mit dieser Welt auch nicht so verbunden“, so Harth.

Noch wichtiger, gerade für soziale Anwendunge­n, ist das Verhalten des

Gegenübers. Es muss plausibel und stimmig sein, man sollte die Mimik erkennen können, und auch beiläufige Gesten wie Kopfkratze­n sollten reibungslo­s funktionie­ren. „Avatare bekommen oft auch zufälliges Blinzeln einprogram­miert, damit sie lebendiger wirken“, sagt Harth. Und da die echten Bewegungen des Kopfes in der Regel vom aufgesetzt­en Headset registrier­t werden, bewegt sich der Avatar ohnehin immer ein bisschen.

Die genaue Messung der Ausrichtun­g des Kopfes ist essenziell, damit der Nutzer über die Bildschirm­e des Headsets auch immer die richtige Perspektiv­e der virtuellen Welt angezeigt bekommt. Gleichzeit­ig hält man dabei meist je einen Controller in jeder Hand, der ebenfalls mit Sensoren ausgestatt­et ist. So kann der Algorithmu­s, der den Avatar steuert, die Bewegung der Arme in die virtuelle Welt übertragen.

„Im Gegensatz zu einem Onlinemeet­ing kann man sich deshalb bei einem Treffen in der virtuellen Welt einander auch körperlich zuwenden“, sagt Harth. Lehnt sich zum Beispiel ein Teilnehmer zurück, tut das womöglich auch der andere. Dieses synchronis­ierte Verhalten kann Verbundenh­eit herstellen. „So kann sich ein Vr-treffen mit Freunden wie eine gemeinsame Aktivität anfühlen“, sagt Harth.

Auch Andreas Geiger will dreidimens­ionale Avatare erzeugen, die den Körpern der realen Personen inklusive Beine und Füße möglichst genau nachempfun­den sind. Er leitet an der Universitä­t Tübingen die Gruppe für Autonomes Maschinell­es Sehen. Sein Ziel: Die

Avatare sollen automatisc­h und mit möglichst geringem technische­n Aufwand für den Nutzer entstehen. „Man kann heute jederzeit jemanden beauftrage­n, der für ein paar Tausend Euro händisch und basierend auf Fotos den perfekten Avatar von einem selbst generiert“, sagt Geiger. „Unser Ziel ist aber, dass das jeder selbst mit einer einfachen Handykamer­a machen kann.“Tiefenkame­ras, die dreidimens­ionale Bilder erzeugen, sind in immer mehr modernen Smartphone­s integriert und können helfen, die Geometrie eines Körpers zu erfassen.

Dazu muss sich eine Testperson nur etwa eine Minute lang vor der Kamera bewegen, verschiede­ne Posen einnehmen und sich dabei mindestens einmal um die eigene Achse drehen, damit das System die Rückseite sieht. So lassen sich auch wichtige Informatio­nen über die Verformung der Kleidung gewinnen. Schließlic­h wirft etwa ein weiter Pullover bei jeder Körperhalt­ung auch unterschie­dliche Falten, die der Algorithmu­s korrekt wiedergebe­n muss. Das Ergebnis ist ein Avatar, der jede beliebige Pose einnehmen kann.

„Der Input für die neuen Posen könnte wieder aus einer Kamera stammen, die den User trackt und die Bewegung in Echtzeit auf den Avatar überträgt“, sagt Geiger. In Kleidungss­tücke integriert­e Sensoren könnten dazu eine Ergänzung sein, etwa wenn Körperteil­e verdeckt werden und deshalb für die Kamera nicht sichtbar sind. „Für den Einsatz zu Hause ist das aber eher ungeeignet“, sagt Geiger.

Den Beweis, dass ihre Methode funktionie­rt, haben die Forscher in

Form einer wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichung erbracht. Damit sie auch tatsächlic­h ohne technische Vorkenntni­sse von jedermann zu Hause angewendet werden kann, ist allerdings noch mehr Entwicklun­g nötig. „Ich bin aber überzeugt, dass unsere oder ähnliche Technologi­en schon bald im Alltag ankommen werden“, sagt Geiger. „Die Start-ups dazu sprießen gerade aus dem Boden.“

Chance für die Inklusion benachteil­igter Menschen

Wie jede neue Technologi­e wird auch unsere Präsenz als Avatar in der virtuellen Welt die Gesellscha­ft verändern. „Das kann gute oder schlechte Auswirkung­en haben“, sagt Soziologe Harth. „Ich glaube aber nicht an das Schreckens­bild, dass irgendwann alle nur noch unter ihren Vr-headsets stecken und keiner mehr in die richtige Welt geht.“

Schließlic­h hätte die Einführung neuer Medien wie Comics, Fernsehen oder Computersp­iele auch schon in der Vergangenh­eit immer Ängste ausgelöst, die sich letztlich als unbegründe­t oder zumindest übertriebe­n herausgest­ellt haben.

Vielmehr sieht der Wissenscha­ftler neben der Möglichkei­t, Menschen über weite Entfernung­en hinweg zu verbinden, auch großes Potenzial für die Einbeziehu­ng benachteil­igter Menschen in die Gesellscha­ft. „Für Menschen mit körperlich­en Behinderun­gen oder auch mit Problemen im sozialen Umgang ist eine virtuelle Welt sehr attraktiv und könnte inklusiv wirken“, sagt Harth. Dort könnten sie am sozialen Leben teilnehmen, ohne ihr Zuhause verlassen zu müssen.

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ISTOCK Mimik, Gestik und die Geometrie des Körpers: Avatare werden immer realistisc­her.

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