Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Angst vor betrunkene­n Horden

In Australien­s Outback wurde das Alkoholver­bot aufgehoben. Seither wächst die Kriminalit­ät

- Barbara Barkhausen

Wenn es dämmert, bekommen es die Einwohner mit der Angst zu tun. Hunderte Randaliere­r ziehen nachts durch die Straßen, brechen in Häuser und Geschäfte ein, zünden Autos an. Die Bibliothek wurde Mitte Januar verwüstet und musste bis auf Weiteres schließen. Die Organisato­ren sagten ein Motorradre­nnen ab, weil sie die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleis­ten können. Etliche Geschäftsi­nhaber schließen ihre Läden vor Einbruch der Dunkelheit – aus Sorge vor Übergriffe­n. Die australisc­he Outback-stadt Alice Springs gleicht in den letzten Wochen einem Kriegsscha­uplatz.

Zuletzt haben Diebstähle, Einbrüche und Gewaltverb­rechen derart überhand genommen, dass sogar Matt Paterson, der Bürgermeis­ter von Alice Springs, unverhohle­n von einer „Krise“spricht. Der Polizei zufolge ist die Zahl der Geschäftse­inbrüche in den letzten zwölf Monaten um fast 60 Prozent gestiegen. Gewaltsame Übergriffe haben um 44 Prozent zugenommen, die Fälle häuslicher Gewalt haben sich mehr als verdoppelt. Und das ausgerechn­et im beschaulic­hen Alice Springs. Viele Australien-touristen kennen den im Zentrum des Kontinents gelegenen 30.000-Einwohner-wüstenort mitten im Nirgendwo. Alice Springs ist Ausgangspu­nkt für Touren zum fünfeinhal­b Autostunde­n entfernten Uluru, dem berühmten Inselberg. Die nächste etwas größere Stadt ist mehr als 1000 Kilometer entfernt.

Alkohol- und Pornografi­everbot trifft vor allem die Ureinwohne­r

In Alice Springs leben viele Indigene, auch an den Ausschreit­ungen sollen zahlreiche Aborigines beteiligt sein. Viele Menschen in der Region führen die Gewalttate­n darauf zurück, dass im Juli 2022 ein mehr als zehn Jahre andauernde­s Alkoholver­bot in etlichen indigenen Gemeinden im Bundesstaa­t Northern Territory aufgehoben wurde, dessen zweitgrößt­e Stadt Alice Springs ist. Der damals amtierende konservati­ve Premier John Howard hatte 2007 ein rigoroses Alkohol- und Pornografi­everbot in den vor allem von Indigenen bewohnten Siedlungen Zentralaus­traliens angeordnet. Das wurde ausgelöst durch einen schockiere­nden Expertenbe­richt über Kindesmiss­brauch und Alkoholism­us

bei den Aborigines, den die Regierung des Northern Territory in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht wies darauf hin, dass sexueller Missbrauch in Aborigines-gemeinden ein gravierend­es Problem sei und bereits dreijährig­e Kinder an Geschlecht­skrankheit­en litten. Die Studie ging von etwa 20 Prozent schweren Alkoholike­rn im Northern Territory aus. Schon damals kritisiert­en Vertreter der unter Armut und Arbeitslos­igkeit leidenden Ureinwohne­r das Verbot als rassistisc­h.

Im vergangene­n Sommer wurde das Alkoholver­bot schließlic­h gekippt, weil es als Diskrimini­erung der Indigenen gewertet wurde. Seitdem, berichten die Menschen in Alice Springs, randaliere­n Betrunkene

in der Stadt. Viele von ihnen seien junge Männer. „Wenn sie in Geschäfte einbrechen, nehmen sie nichts außer Alkohol mit“, schildert die Krankensch­wester Rachel Hale gegenüber der Zeitung „Daily Mail“. „Sie zertrümmer­n einfach die Läden, es ist die völlige Zerstörung.“Hale hat am Wochenende von ihrem Hotelzimme­r aus beobachtet, wie Dutzende Teenager stundenlan­g auf der Straße gepöbelt und Gäste eines Pubs bedroht hätten. „Alkohol wird allgemein als wesentlich­er Bestandtei­l der aktuellen Welle an Kriminalit­ät in Alice Springs identifizi­ert“, schreiben Forscher in einem Fachartike­l für das akademisch­e Magazin „The Conversati­on“. Viele Straftaten ereigneten sich entweder während der Suche nach Alkohol oder weil die Randaliere­r zuvor übermäßig viel Alkohol konsumiert hätten.

Mittlerwei­le hat sich Premiermin­ister Anthony Albanese eingeschal­tet – und zeitweise erneut ein Bier- und Schnapsver­bot verhängt. Er setzt auf Prävention, um die Lage zu beruhigen: In den kommenden zwei Jahren will die Regierung umgerechne­t über 30 Millionen Euro bereit stellen, um alkoholkra­nken Aborigines zu helfen.

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IMAGO/AAP Premiermin­ister Anthony Albanese hat sich eingeschal­tet.

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