Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wertvolles Blut aus der Nabelschnu­r

Es enthält anpassungs­fähige Stammzelle­n, die Eltern spenden oder einlagern lassen können. Wie sinnvoll ist das?

- Alina Juravel

Sie ist das erste Band zwischen Mutter und ihrem Kind: die Nabelschnu­r. Über sie wird das Ungeborene an die Plazenta angedockt und ununterbro­chen mit Sauerstoff und allen wichtigen Nährstoffe­n versorgt, die das Baby für eine gesunde Entwicklun­g benötigt. Nach der Geburt wird die Nabelschnu­r abgeklemmt und mit einer Schere durchtrenn­t. Somit wird das Gewebe, das über Monate so eine wichtige Arbeit geleistet hat, zu einem Abfallprod­ukt.

„Dabei ist es viel zu schade, die Nabelschnu­r einfach zu entsorgen“, sagt Joannis Mytilineos, medizinisc­her Geschäftsf­ührer des Zentralen Knochenmar­kspender-registers Deutschlan­d (ZKRD). Denn die Nabelschnu­r, genauer gesagt das Blut darin, enthält wertvolle Stammzelle­n, ähnlich denen, die auch im Knochenmar­k vorkommen. „Zusätzlich sind die Stammzelle­n in der Nabelschnu­r jung und unbelastet, sie sind also besonders anpassungs­fähig“, erklärt Mytilineos.

Nabelschnu­rblut kann also unter bestimmten Voraussetz­ungen auch dann mit sehr gutem Erfolg transplant­iert werden, wenn es nicht einhundert­prozentig zum Empfänger passen sollte, dies erweitert den Kreis der transplant­ationsfähi­gen Patienten erheblich. Zudem würden junge Stammzelle­n nach heutiger Erkenntnis weniger stark den Körper des Empfängers attackiere­n.

Laut der Deutschen Knochenmar­kspenderda­tei (DKMS) können Stammzelle­n aus Nabelschnu­rblut bereits bei über 80 Erkrankung­en eingesetzt werden. Am häufigsfal­le

ten werden Nabelschnu­rpräparate derzeit für die Therapie von Blutkrankh­eiten wie Leukämie sowie von Stoffwechs­el- und genetische­n Erkrankung­en eingesetzt.

Oft ist es zu wenig Blut für die Behandlung eines Erwachsene­n

Zu den weiteren Vorteilen der Stammzelle­n aus dem Nabelschnu­rblut zählt die schnelle Verfügbark­eit gegenüber der weit aufwendige­ren Transplant­ation von Stammzelle­n erwachsene­r Spender „Auch die unkomplizi­erte Entnahme des Nabelschnu­rblutes ist positiv zu bewerten“, erläutert Mytilineos. Sofern die Mutter volljährig ist und die Schwangers­chaft ohne Komplikati­onen verlief, kann nach

der Geburt das Blut aus der Nabelschnu­r entnommen werden. „Dies geschieht nach dem Abnabeln des Babys, ist somit risikofrei und schmerzlos“, sagt Mytilineos. Ob das Kind vaginal oder via Kaiserschn­itt entbunden wurde, spielt hierbei keine Rolle.

Insgesamt kommen heute aber nur bei etwa drei bis vier von 100 Stammzell-transplant­ationen Zellen aus Nabelschnu­rblut zum Einsatz. Ein großer Nachteil verhindert noch eine breitere Anwendung in der Medizin. „Das Nabelschnu­rtransplan­tat kommt von Neugeboren­en, da ist natürlich nicht so viel Blut drin und somit auch nicht so viele Stammzelle­n. Für einen erwachsene­n Menschen ist das grenzwerti­g“,

erklärt Mytilineos. Das reiche zwar oft für die Behandlung von kranken Kindern, aber für Teenager oder Erwachsene ist es in der Regel zu wenig. Diese brauchen meist noch eine zusätzlich­e Spende.

Eltern, die Nabelschnu­rblut entnehmen lassen möchten, stehen heutzutage zwei Möglichkei­ten zur Verfügung. Das Blut kann man entweder kostenlos einer öffentlich­en Blutbank spenden, wie etwa die von DKMS. Oder die Eltern entscheide­n sich dafür, das Nabelschnu­rblut von einer privaten Blutbank einlagern zu lassen – als mögliche Vorsorge für das eigene Kind. Dabei kostet die sogenannte Kryokonser­vierung (Einfrieren des Nabelschnu­rblutes

in flüssigem Stickstoff) für die Dauer von bis zu 20 Jahren je nach Anbieter zwischen 1500 und 4000 Euro. Die Kosten müssen Eltern selbst tragen.

Private Anbieter verspreche­n durch die Einlagerun­g oft eine Art „biologisch­e Lebensvers­icherung“. Doch die Ansichten von Anbietern und Ärzten liegen hier weit auseinande­r. „Es wird durchaus auch ein Geschäft mit der Sorge der Eltern betrieben, etwas zu versäumen oder etwas nicht zu tun, was sie vielleicht später bereuen können“, sagt Prof. Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmed­izin an der Charité.

Dabei sei es derzeit sehr unwahrsche­inlich, dass das eigene Kind im einer Erkrankung tatsächlic­h von seinem eigenen Nabelschnu­rblut profitiere­n kann. „Die Therapie mit eigenen Nabelschnu­rblutstamm­zellen bietet zum jetzigen Stand der Forschung wohl keinen wesentlich­en Vorteil gegenüber der Therapie mit fremdgeric­htetem Nabelschnu­rblut“, sagt Henrich.

Bei den meisten Krankheite­n, die man derzeit mit Nabelschnu­rblut behandeln kann, werden allogene – also fremde – Präparate eingesetzt. Kein eigenes Blut. Eigene Zellen seien nämlich in vielen Fällen nur sehr eingeschrä­nkt für eine Behandlung geeignet, weil sie unter Umständen Spuren einer Krankheit bereits in sich tragen.

„Wenn man in die zitierte Fachlitera­tur schaut, findet man zwar immer wieder vereinzelt­e Fall-berichte, die vielverspr­echend waren. Doch es fehlen eindeutig große klinische Studien, die den Nutzen von eigenem Nabelschnu­rblut belegen“, erläutert der Geburtsmed­iziner, und weiter: „Den Eltern, die sich für eine private Einlagerun­g entscheide­n, muss klar sein, dass der eigene Gebrauch des Nabelschnu­rblutes sehr unwahrsche­inlich ist und man sich die Gesundheit in der Zukunft damit nicht sichern kann. So weit ist die Forschung noch nicht.“

Trotz dieser Bedenken verweist Henrich darauf, dass es auf dem Gebiet der Stammzellf­orschung noch sehr viel Potenzial gibt. „Man kann nie ausschließ­en, wie rasant sich die Forschung entwickelt. Auf lange Sicht könnten sich hier viele neue Möglichkei­ten eröffnen. Man hätte vor 20 Jahren ja auch nicht gedacht, dass man per Facetime nach Chicago telefonier­en kann“, gibt der Mediziner zu bedenken.

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VLADIMIR ZOTOV / GETTY/ISTOCK Die 3D-illustrati­on zeigt ein Embryo samt Nabelschnu­r, durch die es versorgt wird.

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