Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Zu später Abschuss? Republikaner fordern Bidens Rücktritt
Auch während der Präsidentschaft von Donald Trump flogen chinesische Objekte über die Vereinigten Staaten – und zwar unbehelligt
Myrtle Beach im Februar ist, wenn man nicht Fan von langen Strandspaziergängen, Möwen-gekreische und jodhaltiger Seeluft ist, eine eher trostlose Veranstaltung. Umso größer war bei vielen Gästen des Badeortes an South Carolinas Küste der Enthusiasmus, als sich dort am Samstagnachmittag am azurblauen Winterhimmel für ein paar Minuten im Stile von „Top Gun“die Fortsetzung der Weltpolitik mit anderen Mittel ereignete.
Mit einer Lenk-rakete vom Typ AIM-9X Sidewinder hatte das Usmilitär auf Anordnung von Präsident Joe Biden aus einem F-22kampfjet
das Spionage-ballon-drama beenden und dem geopolitischen Rivalen China eine schwere Demütigung zufügen lassen.
Als der fliegende Agent wie eine zerknitterte Serviette ins Meer stürzte, waren etliche Strandgänger aus dem Häuschen. „Das ist meine Luftwaffe, Kumpel!“, hieß es da. Dutzende klatschten patriotisch Beifall: „Well done!“Gut gemacht.
Davon war im politischen Washington nichts zu spüren. Noch bevor die ersten Trümmerteile aus dem Wasser gefischt werden können, von deren Auswertung sich das Pentagon wertvolle Hinweise auf die Spionage-kapazitäten Pekings verspricht, verlegten sich die mit neuer Mehrheit im Repräsentantenhaus ausgestatteten Republikaner darauf, das Weiße Haus unter Feuer zu nehmen.
Präsident Biden wurde mit Rücktrittsforderungen überzogen. Angedroht wurden Tribunal-anhörungen in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments. Einige schwadronierten von der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens. Begründung: Joe Biden habe den bereits am 28. Januar in den amerikanischen Luftraum eingedrungenen Ballon eine Woche lang sensible Daten abschöpfen und zu spät abschießen lassen Dass das Verteidigungsministerium früh erklärte, der Ballon stelle militärisch keine Gefahr dar und sei in puncto Erkenntnisabschöpfung eher ein Leichtgewicht, wurde ignoriert.
Wie in einer konzertierten Aktion wiederholten prominente Außen- und Militär-politiker wie Michael Mccaul und Roger Wicker stattdessen den aus Position des Ohrensessel-generals
erhobenen Vorwurf, Biden habe eine „peinliche, desaströse Vorstellung von Schwäche abgeliefert“und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten aufs Spiel gesetzt.
In einem Nebensatz teilte das Pentagon am Sonnabendabend mit, dass während der Trump-präsidentschaft von 2017 bis 2021 drei (!) ähnliche Spionage-ballons aus China über den USA gekreuzt seien, ohne dass die Sache an die große Glocke gehängt wurde. Auch habe Trump, der 45. Commander-inchief der USA, nie den Befehl erteilt, die Fracht aus Peking abzuschießen. Von diesem Umstand, den das Trump-lager zunächst unkommentiert ließ, erfuhr dessen letzter Verteidigungsminister Mark Esper nach eigenen Worten jetzt zum ersten Mal.
Dass das Us-militär den Ballon sieben Tage unbehelligt ließ, aber rund um die Uhr mit allen zur Verfügung stehenden Technologien beschattete, wird in Geheimdienstkreisen überwiegend als „absolut richtig“bewertet. Dadurch, so der Geheimdienst-experte Malcolm Nance, habe man minuziös überwachen können, was die Chinesen hochauflösend fotografieren, filmen und abhören wollten und wie sie die Daten per Link an die militärischen Zentralen in Peking weitergereicht haben.