Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Wie ein elektrisches Zuggerät Freiheit schenkt
Carolin Gothe ist auf den Rollstuhl angewiesen. Dank der Hilfe von Spendern kann sie nun ohne Hilfe unterwegs sein
„Bergab den Fahrtwind zu spüren, ganz allein über den Weg zu bestimmen und meine Geschwindigkeit. Das ist ein tolles Gefühl“, sagt Carolin Gothe. Auf einem Waldweg unterwegs zu sein, war für die 36-Jährige bis vor wenigen Wochen nicht allein möglich. Familienmitglieder oder Freunde mussten sie schieben. Mit ihrem elektrischen Rollstuhl lassen sich solche Wege nicht befahren. Der ist zwar bequem und wichtig, aber schon Gehwege können mit ihm eine Herausforderung sein. Kaputtes Pflaster oder Laub bergen die Gefahr, dass der Rollstuhl stecken bleibt oder die Räder durchdrehen, erzählt die Sondershäuserin.
Noch immer freut sich Carolin Gothe über die Unterstützung
Ein elektronisches Zuggerät, das sie vor ihrem Rollstuhl anbringt, ermöglicht ihr seit März diese neue Mobilität und noch ein bisschen mehr. Das Geld – rund 8000 Euro – stammt aus Spenden. Am ersten Advent hatte sie einen Aufruf in sozialen Netzwerken gestartet. Und war anschließend selbst überrascht, wie groß die Hilfsbereitschaft der Menschen in ihrem Umfeld, aber auch von Fremden war. Selbst hätte sie das Geld auch mit noch so viel Sparen nicht aufbringen können. Eine weitere Mobilitätshilfe bei der Krankenkasse nicht bekommen. Sich damit abfinden, wollte sie aber auch nicht. Sie habe schon immer gekämpft, sagt Carolin Gothe. Und auch wenig Berührungsängste über sich und ihre Krankheit zu erzählen. „Wer etwas wissen möchte, der kann fragen“, sagt sie. Und weil ihr ihre Unabhängigkeit ebenso wichtig ist, habe sie es einfach mal ver
sucht. Ein seltener Gendefekt, HMSN Typ 1 A, mit untypischem Verlauf, verursacht eine schwere, fortschreitende Polyneuropathie. Seit ihrer Kindheit leidet sie an starken Schmerzen in den Füßen, im Laufe der Jahre auch in allen anderen Gliedmaßen, Nerven und Muskeln. Seit 12 Jahren ist sie deshalb auf den Rollstuhl angewiesen, kann sich nur noch auf kurzen Strecke zu Fuß bewegen.
Über die Unterstützung, die sie in den vergangenen Monaten erfahren
habe, freue sie sich immer noch. „Ich bin so vielen Menschen dankbar“, sagt die 36-Jährige. „Ehemalige Lehrer, Nachbarn, Freunde, aber auch völlig Unbekannte, so viele Menschen haben gespendet“, erzählt sie.
Zwei Tage vor ihrem Geburtstag Ende Februar hatte sie das Geld zusammen und konnte das Gerät mit Akku bestellen. Dazu kam noch ein Gewichtsrucksack, den sie bei Touren mit Steigungen anbringt und gefederte Räder für ihren alten Rollstuhl.
Vor diesen spannt sie seit März das Gerät.
Zum Frauentag wurde es geliefert, auf der Motorradmesse in Erfurt hat sie es das erste Mal getestet. Da war sie noch in Begleitung ihrer Mutter, aber dass sie dort ganz unabhängig von ihr stundenlang unterwegs war, das sei schon ein tolles Gefühl gewesen. Das elektronische Zuggerät mit Akku verfüge auch über eine deutlich größere Reichweite, als der elektronische Rollstuhl, der nach etwa 13 Kilometern
nicht mehr kann. Die Tour bis zum Spatenbergturm über die Possenallee, die bislang immer das Ende der Touren für Carolin Gothe markierte, hat sie inzwischen auch allein erreicht. Anschließend ging es ganz allein bergab.
„Ein Gefühl wie damals, als Kind, als die Eltern das erste Mal das Rad losgelassen haben“, beschreibt sie ihren Weg. Nicht ganz einfach sei das Lenken, man müsse auf der holprigen Piste schon aufpassen und gut lenken.